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Brandenburg: Die Sorben-Partei – ein Hilferuf

Sandra Dassler

Früher haben die Sorben die Berliner an ihre Brust genommen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Noch in den 20er Jahren waren sorbische beziehungsweise wendische Ammen in Berlin heiß begehrt. Heute aber nehmen die meisten Berliner die slawische Minderheit – wenn überhaupt – nur als folkloristischen Dreingabe bei einer Spreewaldtour wahr. Da unterscheiden sie sich kaum vom Rest der Bundesrepublik. In Cottbus hat sich am Sonnabend eine sorbische Partei gegründet. Na und? Muss man sich damit auseinander setzen? Was wollen die denn? Wir haben genug andere Probleme. Und überhaupt: Dienten die Sorben nicht vor allem Erich Honecker dazu, die „großartige Minderheitenpolitik der DDR“ international wirkungsvoll zu vermarkten?

Aber sie leben eben hier. Neben den Dänen, Friesen, Sinti und Roma gehören die Sorben zu den so genannten autochthonen Minderheiten in der Bundesrepublik, die anders als beispielsweise die Türken seit Jahrhunderten hier ansässig sind. Natürlich sprechen alle schätzungsweise 60 000 Sorben inzwischen auch deutsch, natürlich sind sie assimiliert und leben nicht in Ghettos oder Reservaten. Aber genau das ist ihr Problem: Mit der geglückten Integration verschwindet ihre Tradition. Vor allem verschwindet ihre Sprache. Und mit ihr stirbt die Literatur und die Kultur eines Volkes, das sich jahrhundertelang seiner osteuropäischen Wurzeln erinnert hat.

Deshalb kämpfen die Sorben so vehement um den Erhalt von Schulen mit sorbischem Unterricht. Deshalb können auch deutsche Kinder in ehemals sorbischen Dörfern von der ersten Klasse an Sorbisch lernen. Deshalb geben der Bund und auch die Landesregierungen in Brandenburg und Sachsen trotz aller Kürzungen immer noch eine Menge Geld aus, um sorbische Einrichtungen zu erhalten – ja, um sie sogar künstlich am Leben zu halten.

In Zeiten knapper Kassen lässt sich das gegenüber der deutschen Mehrheit nicht immer leicht begründen. Aber der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft bemisst sich nun einmal auch am Umgang mit ihren Minderheiten. Kleine Völker mittels Geld- und Aufmerksamkeitsentzug zum Untergang zu verurteilen, ist barbarisch. Auch demokratische und hoch industrialisierte Staaten sind davor nicht gefeit. In Norwegen beispielsweise war im vergangenen Jahr eine Ausstellung über die Geschichte und Kunst der Sorben unter dem Titel „Das Vermächtnis der Mittagsfrau“ zu sehen. An höchst prominenter Stelle – in den königlichen Museen von Stockholm. Tausend Kilometer weiter nördlich aber kämpfen die Samen um echte Anerkennung und um angemessene Museen und Räume für die Bewahrung ihrer Kultur.

Der sorbische Schriftsteller Jurij Koch hat vor Jahren einen international viel beachteten Essay über die „Schmerzen der sterbenden Art“ geschrieben. Fazit: Die überlebenden Arten können zwar triumphieren. Handelt es sich aber um Kulturen, so werden sie mit allem, was unwiederbringlich verloren ist, doch auch ärmer. Deshalb kann es uns nicht egal sein, ob die Sorben ihren kulturellen Überlebenskampf gewinnen. Die Gründung einer sorbischen Partei ist auch ein Hilferuf. Die Sorben haben keine politische Lobby in Deutschland. Schlimm ist das nicht. Nur traurig.

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