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Brandenburg: Die Tränen der Befreier

„Ich lebe noch“, grüßen die polnischen Soldaten im Irak jetzt ihre Familien übers Radio – ihr erster Kamerad ist gefallen, und daheim diskutiert man über die Zukunft der Mission

Von Sandra Dassler

Der Mann sitzt auf einem Barhocker und stiert ins Leere. Die wenigen Gäste, die am Freitagnachmittag das Restaurant des Stettiner Garnisonsklubs betreten, werden von der Chefin des Hauses diskret aufgeklärt: „Ein Freund von Major Kupczyk.“ Die Besucher nicken verständnisvoll und dämpfen die Stimmen.

Es nutzt wenig. Die Gesprächsfetzen erreichen den stillen Mann an der Bar trotzdem immer wieder. Dann schüttelt er sich ein wenig, stöhnt leise auf und schaut vorwurfsvoll zu den Plaudernden. Doch worüber sollten die Besucher des Garnisonsklubs einer Soldatenstadt wie Stettin an diesem Tag anderes reden als über den „ersten polnischen Toten im Irak“? So jedenfalls ist die Nachricht 24 Stunden zuvor um die Welt gegangen. So wurde aus dem 44-jährigen Major Hieronim Kupcyk, dem Freund des Mannes an der Bar, dem Vater der 21-jährigen Studentin Marta, dem Ehemann der Buchhalterin Jolanta, eine Zahl in einer Statistik.

Ein Anruf aus Kerbela

„Habt ihr gehört, dass seine Frau auch in der Armee ist?“, fragt einer der Gäste seine Tischnachbarn. Die nicken. Sie haben es alle gehört oder gelesen: Für Jolanta Kupczyk war der Donnerstag vergangener Woche ein ganz normaler Arbeitstag in der „12. Mechanisierten Brigade“ der polnischen Armee in Stettin. Weil ihr Mann der gleichen Einheit angehörte, erfuhr sie fast als eine der Ersten, dass er südlich von Bagdad bei einem Überfall auf einen Konvoi schwer verwundet worden war. Der diensthabende Offizier Marian Kolacinski hatte es ihr mitgeteilt. „Wir haben alle gehofft, dass es gut enden würde“, erzählt er: „Aber nach einer Stunde habe ich einen Anruf aus Kerbela bekommen: Sie konnten Major Kupczyk nicht retten.“ Der Offizier hat Jolanta Kupczyk dann nach Hause gefahren – kurz bevor die ersten Journalisten aufkreuzten.

Der Wachmann in der Kaserne der 12. Brigade schüttelt nach einem kurzen Telefongespräch den Kopf: Seine Vorgesetzten würden niemanden empfangen, sagt er: „Sie bereiten die Beerdigung für Major Kupczyk vor – das verstehen Sie doch.“ Durch das Glasfenster kann man in den Besucherraum neben der Wache schauen. Eine etwa 40-jährige Frau streichelt die Hände ihres kahl geschorenen Sohnes. Der Soldat sieht genauso kindlich aus wie die meisten Jungen einer kleinen Truppe, die im Gleichschritt aus der Kaserne marschiert. Der Vorgesetzte – ein großgewachsener Offizier mit Schnauzer und vielen Lachfältchen sagt über seinen gefallenen Kameraden nur: „Niemand wird Ihnen hier etwas anderes sagen als dass Hieronim ein guter Soldat war. Und ein guter Mensch.“

Alle polnischen Soldaten im Irak sind gute Menschen, sagt Beata Zygarlicka. Sie ist in den Garnisonsklub gekommen, um ihren Freund zu treffen. Voll Entsetzen hat die Tochter eines Kapitäns der Kriegsmarine gerade die Meinungen einiger Stettiner in den Zeitungen gelesen. „Was hat Polen mit dem Krieg der Amerikaner im Irak zu schaffen?“ fragt ein Leser von „Glos Szczecinski“ und ein anderer: „Früher haben wir alles gemacht, was die Russen wollten, und nun diktieren uns die USA, was wir tun sollen.“

„Wieso Krieg? Das hat doch nichts mit Krieg zu tun“, sagt Beata im Garnisonsklub. „Unser Land leistet im Irak humanitäre Hilfe, es geht um die Erlösung des Volkes von einem Diktator.“ Die 40-Jährige ist Schauspielerin am Stettiner Theater und probt zur Zeit die Aufführung des Stücks „Befreiung“ nach einem Drama von Stanislaw Wyspianski. Es spielt um die Jahrhundertwende und handelt vom Kampf gegen die damaligen Besatzer. „Für uns Polen ging es immer um Befreiung – das ist unsere Mentalität“, sagt Beata und vertritt damit einen unter polnischen Intellektuellen weit verbreiteten Standpunkt. Er war schon zu hören, als die polnische Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September den USA auch militärische Unterstützung zusagte und sich später zunächst mit rund 200 Soldaten an den Einsätzen im Irak beteiligte.

Seit Anfang September dieses Jahres verwaltet Polen fünf irakische Provinzen, in denen überwiegend Schiiten leben. Die Warschauer Regierung hat stets versichert, die Soldaten seien nur im Land, um medizinische Hilfe zu leisten, die Infrastruktur sowie die Wasser- und Lebensmittelversorgung aufzubauen. Im Gegensatz zum größten Teil der Eliten standen die meisten polnischen Bürger dem Einsatz schon immer eher ablehnend gegenüber. Sie meinen, dass es dabei auch um den Zugang Polens zu Ölquellen und Rohstoffen geht und natürlich um die Akzeptanz des neuen Nato-Mitglieds beim Vorbild Amerika.

Schüsse aus dem Hinterhalt

Trotzdem hatten alle gehofft, dass die irakische Bevölkerung die polnischen Soldaten als Befreier sehen würde. Deshalb ist der Schock über den Tod von Hieronim Kupczyk so groß. Der Major war mit 15 Kameraden von der Militärbasis Camp Dogwood zurückgekehrt. Dort hatten die Polen irakische Polizisten geschult. Der Überfall kam aus dem Hinterhalt. Kupczyk wurde von einer Kugel am Hals getroffen und blutete stark. Seine Kameraden konnten die Angreifer nicht verfolgen, weil sie Kupzyk schnell ins polnische Lazarett von Kerbela brachten. Aber auch eine eineinhalbstündige Operation konnte den Stettiner nicht mehr retten.

Beata Zygarlicka hat mit ihren Kollegen vom Theater lange diskutiert, ob das Leben ein zu hoher Preis für die Befreiung eines Volkes ist. „Auch wenn ich verrückt würde, falls so etwas meinem Freund passiert, letztlich muss man das Risiko wohl eingehen“, sagt sie. „Unsere Soldaten sind auch dort, um die Welt und uns alle vor den hasserfüllten muslimischen Fundamentalisten zu schützen.“ Ihr Freund Hubert Romanowski, schaut zweifelnd: „Ich glaube, dass die meisten polnischen Soldaten in den Irak gehen, weil sie damit gutes Geld verdienen.“

Polen hat nur Freiwillige in den Irak geschickt. Die Soldaten verdienen dort ungefähr das Dreifache ihres Heimatsolds. Das schmälert freilich nicht die Trauer der Menschen um Hieronim Kupczyk. Viele Stettiner kämpfen angesichts steigender Arbeitslosigkeit um ihre soziale Existenz, obwohl ihre Heimatstadt immer reicher zu werden scheint. In der Innenstadt drängen sich Hotels und Parkhäuser um das gigantische Einkaufszentrum „Galaxy“, das erst vor kurzem eröffnet wurde. Neben Kinos, Restaurants und Spielhöllen präsentieren sich unter der Stahl-Glas-Kuppel auch Mercedes Benz und Kentucky Fried Chicken.

„Stettin muss den Vergleich mit deutschen Städten nicht scheuen“, sagt Oberst Eugen Prändl vom Multinationalen Korps Nordost, das seit 1999 hier, kurz hinter der EU-Außengrenze, stationiert ist. Zum Korps gehören rund 170 Soldaten aus Dänemark, Deutschland und Polen. Die Brigade des gefallenen Major Kupczyk würde dem Korps im Kriegsfall zugeordnet werden. Das Korps wurde auf Wunsch der Warschauer Regierung eingerichtet, es soll die polnische Armee auf den Beitritt in die Nato vorbereiten.

Prändl ist der dienstälteste deutsche Offizier. Als die Nachricht aus dem Irak eintraf, sagt er, sanken in den „Baltic Barracks“ die Fahnen aller drei Nationen auf Halbmast. Zuletzt war im Mai dieses Jahres in den Medien vom Stettiner Drei-Länder-Korps die Rede. Da verärgerte der Vorschlag des polnischen Außenministers, das gesamte Korps in den Irak zu schicken, seinen deutschen und dänischen Amtskollegen. Beide hatten nichts davon gewusst und lehnten den Vorschlag ab. Ist der deutsche Oberst froh darüber, dass seine Regierung keine Soldaten in den Irak schickt? Eugen Prändl überlegt nur kurz: „Natürlich bin ich froh. Aber wenn die deutsche Regierung ihre Haltung ändern sollte, dann würde ich gehen. Ich bin Soldat.“

Das Militär ist einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Im Garnisonsklub treffen sich wochentags Mädchen und Frauen, deren Freunde und Männer im Irak-Einsatz sind. Sie werden hier bei Bedarf psychologisch betreut und trösten sich gegenseitig. Seit Kupczyks Tod sind die meisten von ihnen im seelischen Ausnahmezustand. Joanna wurde schwarz vor Augen, als sie die Nachricht vom Tod des Majors hörte: „Als mein Ehemann etwas später aus dem Irak anrief, musste er mehrfach wiederholen, dass es ihm gut geht.“ Anna kann kaum mehr schlafen, seitdem ihr klar wurde, dass es auch ihren Mann hätte treffen können: „Die Gegenstände fallen mir aus den Händen. Ich würde alles tun, damit er nach Hause kommt.“

Kupczyks Tod hat im Land heftige Diskussionen entfacht. Springers neue Boulevardzeitung „Fakt“, titelte am Sonnabend: „Sollen wir im Irak bleiben? 81 Prozent der Polen meinen NEIN“. Polens Politiker kündigen nun den schnellstmöglichen Rückzug an und versprechen, noch mehr für die Sicherheit der Soldaten im Irak zu tun. Sie hoffen, dass bei der heutigen Beerdigung von Major Kupczyk die Trauer der Menschen nicht in Protestaktionen umschlägt.

Das polnische Radio sendet seit Beginn der Irak-Mission jeden Morgen die Grüße von Soldaten an ihre Familien zu Hause. Seit vergangenem Donnerstag beginnen viele mit den Worten „Ich lebe noch.“

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