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Die Übergabe des Morgensterns markierte auch die Amtsübergabe von Matthias Platzeck (rechts) zu Dietmar Woidke.

© dpa

Dietmar Woidke ist Brandenburgs neuer Ministerpräsident: Die Insignie der Macht in den Händen "des Großen"

Es war eine äußerst harmonische Amtsübergabe: Der scheidende Ministerpräsident ist mit sich im Reinen, übergibt gutgelaunt den Morgenstern an seinen Nachfolger, Dietmar Woidke. Der bekommt nicht nur von Parteikollegen viele gute Wünsche - sondern hat offenbar auch Unterstützer aus der Opposition.

Plötzlich ist er verschwunden. Natürlich war er der Erste, der „dem Großen“ gratulierte, wie er Dietmar Woidke immer nennt. Der ihn umarmt, gedrückt hat. Dann eilt Matthias Platzeck, seit ein paar Minuten Ministerpräsident a.D., mit dem ihm eigenen Sturmschritt aus dem Plenarsaal des brandenburgischen Landtags. Er huscht im allgemeinen Trubel durch eine Seitentür, unbeachtet, fast unbemerkt. Weil die Bühne jetzt dem Neuen gehört, er altmodisch auf Stilfragen Wert legt, keine sentimentalen Abschiedsszenen will.

Draußen, im Vorbeieilen sagt Platzeck noch diesen Satz: „Die Operation ist so schon gut gelaufen – aber das Ergebnis ist wirklich der Höhepunkt.“ Der Mann, der Brandenburg elf Jahre regierte, vorher Oberbürgermeister Potsdams und Umweltminister war, ist vergnügt, mit sich im Reinen.

Es ist eben nicht nur Regieren eine Kunst, sondern auch, in Größe abzutreten. Selbst geregelte Machtübergaben wie diese, die wegen Platzecks Schlaganfall ein paar Jahre vorgezogen werden musste, bergen Risiken. Doch es gibt hier keinerlei Querelen, im Gegenteil. Manchmal geht das, was man eine Ära nennen kann, unspektakulär zu Ende.

Drinnen, die Momente des Anfangs. Hier hat Dietmar Woidke, 51, gerade als neuer Ministerpräsident den Amtseid geschworen, als Christ natürlich mit der religiösen Formel „so wahr mir Gott helfe“. Jetzt wird der Mann, der mit seinen fast zwei Metern alle im Saal überragt, bestürmt, geherzt, befragt. Er, der bisweilen Hölzerne, wirkt wie befreit: „Es ist ein tolles Ergebnis. Vor allem ist es ein großer Vertrauensvorschuss.“

Nie hätte er damit gerechnet. Aber das, was Landtagspräsident Gunter Fritsch von der SPD um 10 Uhr 30 verkündet, ist wahrlich so etwas wie ein Paukenschlag: 87 abgegebene Stimmen, 59 Ja, 25 Nein, drei Enthaltungen. 55 Abgeordnete stellen Sozialdemokraten und Linke, also vier Stimmen für Woidke müssen aus den Reihen der Opposition von CDU, Grünen und FDP und zwei fraktionslosen Abgeordneten gekommen sein.

Das ist ein Wahlergebnis, das selbst Platzeck, der Menschengewinner, nie schaffte. Nicht, als er 2002 als „Hoffnungsträger“ zum Nachfolger Manfred Stolpes gewählt wurde und drei Koalitionsstimmen fehlten. Nicht nach der Landtagswahl 2004, als er den langjährigen Parteichef Steffen Reiche aus dem Kabinett schmiss und es sechs Abweichler gab. Und auch nicht 2009 bei der von Stasi-Enthüllungen begleiteten Regierungsbildung mit den Linken, wo zwei Stimmen aus den eigenen Reihen fehlten; als Christdemokrat Dieter Dombrowski während der Vereidigung in Häftlingskleidung protestierte.

Diesmal ist alles anders. Dombrowski ist einer der ersten Gratulanten in der Schlange. Ja, es gibt wohl niemanden, der dem netten Dietmar, der mit jedem kann, viele Jahre einfacher Abgeordneter war, diesen Start samt Bonusstimmen nicht gönnt. „Da spielt vor allem Sympathie eine Rolle“, sagt Axel Vogel, der Chef der Grünen-Landtagsfraktion. Natürlich ist auch Manfred Stolpe da, mit seinen 77 Jahren. Der alte Fuchs, nun Vor-Vorgänger Woidkes, der seine Brandenburger immer noch gut kennt, hatte mit dem Ergebnis gerechnet, sich aber leicht verrechnet. „Ich habe auf zwei Stimmen mehr getippt.“ Die vier, fügt Stolpe hinzu, „sind natürlich eine Offerte für das nächste Jahr“, wenn im Herbst gewählt wird. Dann wird Woidke, so er gewinnen sollte, entscheiden müssen, ob er mit den Linken weitermacht – oder doch wieder mit den Christdemokraten.

Der hält nun erst einmal Ausschau nach seiner Frau Susanne. Seine Familie ist angereist, die Töchter Luise, 13, und Anne, 26, die in Essen Kulturmanagement studiert. Alle wirken stolz, aber etwas schüchtern. Natürlich sei sie aufgeregt, sagt Susanne Woidke, auch unsicher vor dem, was da kommen mag. Doch „es ist ja nicht so, dass es jetzt von null auf hundert geht. Die Familie hat ja schon viele Jahre damit gelebt, dass er in der Politik ist“, sagt sie. Nur als sie gefragt wird, ob sie sich als First Lady sehe, da blockt sie resolut ab: „Der Begriff gefällt mir gar nicht. Er passt nicht zu mir. Er passt nicht zu diesem Land.“

Es ist ein gelöster Wechsel, der da über die Bühne geht. Dass dies so ist, hat mit beiden zu tun, dem neuen Brückenbauer, und dem alten.

Matthias Platzeck will es kurz machen, er spricht nur fünf Minuten, als er kurz nach zehn förmlich seinen Rücktritt erklärt, auf Rat seiner Ärzte, dem „Land des roten Adlers Gottes Segen“ wünscht. Einst hatte er es in einer Krise übernommen, die „kleine DDR“, mit gescheiterten Großprojekten, hoher Arbeitslosigkeit. Ein Brandenburg, das nicht vergleichbar ist mit dem, das er nun hinterlässt. „Wir sind kein Land ohne Probleme, wahrlich nicht. Aber die Fundamente sind stabil, die Strukturen wehrhaft“, sagt Platzeck. Nein, kein Wort zum Pannen-Flughafen BER, bei dem auch er so versagte. Dafür nutzt Platzeck, 59, seine letzten Minuten im Amt für eine versöhnliche Geste. „Streit ist wichtig. Er hat eine Grundbedingung: Er muss ohne persönliche Verletzungen geführt werden“, sagte er. „Ich habe mich seit 1990 immer bemüht, mich daran zu halten. Es ist mir leider nicht immer gelungen.“ Dann bittet er Saskia Ludwig, die frühere CDU-Fraktionschefin, und die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg „um Nachsicht“ für frühere harte Attacken, „dafür, dass mir die Pferde durchgegangen sind, die Vorlagen waren einfach zu gut“.

In der letzten Reihe des Plenarsaals sitzen einige Weggefährten, Hans-Otto Bräutigam etwa, der frühere Justizminister und Diplomat. Und Klaas Vollbrecht, der Unternehmer aus Potsdam, der immer zu Platzecks engsten Vertrauten zählte. Aus Cottbus ist Wieland Eschenburg angereist, einst sein Büroleiter im Umweltministerium, später auch im Potsdamer Rathaus. Er war schon viel früher an seiner Seite, damals als die Karriere von Matthias Platzeck begann, der nie Berufspolitiker werden wollte, „nicht so ein mechanisches Männchen“, wie er mal sagte.

Das war im Jahr 1987, in der DDR-Endzeit, auf dem Pfingstberg in Potsdam. Eschenburg, Platzeck und andere legten das marode Belvedere frei, räumten auf und engagierten sich im Verein Argus für die Rettung verfallener Häuser in der barocken Innenstadt. So wurde Platzeck politisiert. Hat er sich in den 26 Jahren verändert? „Ich glaube nicht“, sagt Eschenburg. Platzeck sei ein Dafür-Mensch, kein Anti-Mensch, der immer gegen etwas sei, sondern einer, „der Lösungen will, selbst wenn sie noch so klein sein mögen“. So sei er damals gewesen, mit seinem fröhlichen Wesen, und so sei er als Politiker auch geblieben.

Es war kein Zufall, dass Platzeck am Tag davor das Kabinett vor das Belvedere zum letzten Gruppenfoto stellte, dann im Restaurant Pfingstberg einkehrte, zur letzten Sitzung seiner Regierung. Es ist einer seiner Lieblingsorte, auch mit Angela Merkel war er öfter hier.

Ja, auch Symbolik muss vielleicht dazugehören. Es ist Mittag geworden, als Platzeck seinem Nachfolger das Dienstzimmer in der Staatskanzlei übergibt – und nicht nur das: Er überreicht Woidke jenen martialischen Morgenstern, den er selbst bei seinem Amtsantritt von Manfred Stolpe bekommen hatte.

Einst ein Abschiedgeschenk des russischen Generals Burlakow, nachdem die russischen Truppen 1994 aus Brandenburg abgezogen waren, „Brandenburg wirklich souverän war“, wie Matthias Platzeck scherzt. „Das ist die wirkliche Insignie der Macht.“ Und überhaupt verschlechtere sich Woidke ja, wenn er aus seinem Dienstsitz als bisheriger Innenminister vis-à-vis des Stadtschlosses „in diesen preußisch schlichten Raum“ umziehe.

Kurz darauf beginnt auch schon der Regierungsalltag für Dietmar Woidke, Brandenburgs Neuen, der zwischendurch seine Minister ernennt, die kurz entlassen waren. Viel Zeit bleibt ihm nicht, seine „eigene Furche“ zu ziehen. Nur noch ein Jahr, bis zur nächsten Landtagswahl in Brandenburg, dafür Probleme, mehr als ihm lieb sein können, ein desolates Bildungssystem, hohe Kriminalität, besonders in den Grenzregionen und im Berliner Umland, der Ärger um Windparks und die schmutzige Braunkohle, der Pannen-Flughafen. Wo wird er umsteuern? Und bringt er für all das die nötige Härte mit?

Heute gibt Dietmar Woidke seine erste Regierungserklärung ab.

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