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Der niederländische Entertainer Robert Kreis war schon früh fasziniert von den jüdischen Künstlern der 20er Jahre, die Berlins Weltruhm begründeten. Er lebt in Berlin.

© imago images/POP-EYE/imago stock

Bundesverdienstkreuz für Robert Kreis: Entertainer haucht jüdischen Künstlern der 1920er Jahre neues Leben ein

Der niederländische Entertainer war schon früh fasziniert von den jüdischen Künstlern der 20er Jahre, die Berlins Weltruhm begründeten. Er lebt in Berlin.

Die Sehnsucht nach Berlin packte Robert Kreis schon mit 19 Jahren. Damals begann der Kolonial-Niederländer, der bis zum Alter von 10 Jahren auf Java in Indonesien gelebt hatte, seine dreijährige Ausbildung an der „Academie für Podiumbildung“ in Den Haag. Beim Stöbern in Antiquariaten und Archiven machte er eine für ihn überraschende Entdeckung: Dass das Nachtleben in Berlin in den 20er Jahren weltweit so berühmt wurde, lag vor allem an den jüdischen Künstlern jener Zeit. Deren Texte und Kompositionen zogen ihn fortan magisch an.

Damit hatte er seine Lebensaufgabe gefunden. In rund 8000 Auftritten seit 1973 hat er die Erinnerung an diese Künstler wachgehalten, hat ihre Texte und Kompositionen auf die Bühne gebracht, hat ihrem Stil mit Verve neues Leben eingehaucht. Das Publikum war fast immer begeistert – vom Sprachwitz, aber auch von den breit gefächerten Darstellungskünsten des tanzenden und musizierenden Interpreten. Am Mittwoch überreicht ihm Staatsministerin Claudia Roth im Bundeskanzleramt das Bundesverdienstkreuz.

Antisemitismus, Wohnungsnot, Inflation, Pandemie. Es ist schon beängstigend, was es für Parallelen gibt.

Robert Kreis über Gemeinsamkeiten der 1920er Jahre mit der heutigen Zeit.

Der intelligente Sprachwitz der Goldenen Zwanziger offenbart für Robert Kreis auch die Tiefe und die Schönheit der deutschen Sprache. Er liebt es, wenn seine Zuschauer über die Witze von damals lachen. „Die Leute genießen das so unbeschwert.“

Dabei gebe es auch so viele düstere Gemeinsamkeiten mit der heutigen Zeit, gibt er zu bedenken. Einige Themen von damals ließen sich mühelos in die Gegenwart transferieren: „Antisemitismus, Wohnungsnot, Inflation, Pandemie“, zählt er auf und fügt hinzu: „Es ist schon beängstigend, was es für Parallelen gibt.“

8000
Auftritte hat der Entertainer seit 1973 absolviert

Sein Talent als Entertainer hat er schon vor dem Studium in Den Haag entdeckt. Er war 16 Jahre alt, als seine Mutter ihn vor dem Gebäude der Holland-Amerika-Linie in Rotterdam aufforderte: „Geh‘ um die Welt, schau dir alles an.“ An Bord war er zunächst als Pianist im Einsatz. „So habe ich in spielerischer Weise erfahren, dass es mir einen riesigen Spaß macht, Leute zu amüsieren“, sagt er.

Seit 50 Jahren auf der Bühne. Robert Kreis hält die Erinnerung an die großen jüdischen Künstler der 20er Jahre wach.
Seit 50 Jahren auf der Bühne. Robert Kreis hält die Erinnerung an die großen jüdischen Künstler der 20er Jahre wach.

© IMAGO/Stephan Wallocha

Seine erste große Reise auf einem Kreuzfahrtschiff dauerte sechs Monate und ging gleich um die ganze Welt. Bis heute ist er dankbar, dass die Mutter ihm nicht nahegelegt hat, Friseurmeister wie sein Vater zu werden. „Meine Mutter war eine Traumfrau“, erinnert er sich. Ihr verdanke er den universellen Blick auf die Welt, den weiten Horizont.

Mit einer imaginären Kreuzfahrt begeisterte er vor Jahren seine Fan-Gemeinde im Wintergarten-Varieté. Beliebt sind auch seine „Kompottpourris“, Ausdruckstänze am Piano. Das für die 20er Jahre typische Menjou-Bärtchen gehört zu den Markenzeichen des Allround-Entertainers.

Nachlass vom Flohmarkt

Seine Programme sind auch deshalb so vielfältig und abwechslungsreich, weil Robert Kreis ein unermüdlicher Sammler ist. Was immer er auf Flohmärkten und aus Antiquariaten retten konnte vom Nachlass der großen jüdischen Künstler der 20er Jahre, Hefte zum Beispiel oder Schellack-Platten, das hat er in seine Sammlung aufgenommen. Alle seine Programme speisen sich aus dem eigenen Archiv.

Um die Jahrtausendwende hatte er ein besonders berührendes Erlebnis in Frankfurt am Main, das ihn bis heute nicht loslässt. Ein feiner älterer Herr „mit einem schönen Gesicht“, so um die 90 Jahre alt, kam nach dem Auftritt zu ihm und erzählte seine Geschichte.

Kurt Gerron in Auschwitz

Die Nazis hatten ihn einst in einen Viehwaggon gesteckt, in dem die Menschen dicht an dicht aneinandergepresst waren. Er kam mit einem anderen Mann ins Gespräch. Man tauschte Namen aus. Er sei Kurt Gerron, sagte der andere. DER Kurt Gerron? Ja, genau der.

Als der Zug in Auschwitz ankam, wurde der Name Gerron aufgerufen, und der Besucher erinnert sich, wie die Hoffnung aufflackerte bei dem anderen, es könne wegen seiner Kunst mit ihm eine Ausnahme gemacht werden. Vergeblich. Auch Kurt Gerron wurde ermordet.

Erst wurden die Künstler integriert, dann deportiert.

Robert Kreis, Entertainer, über das Schicksal vieler Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus.

Der beliebte Schauspieler und Sänger hatte es noch, wie viele andere Künstler, deren Lebensgeschichten Robert Kreis rekonstruiert hat, nach Amsterdam geschafft. Am Ende fiel er aber doch den Nazis zum Opfer. „Erst wurden die Künstler integriert, dann deportiert“, fasst Robert Kreis das schreckliche Schicksal so vieler Menschen zusammen.

Nicht alles muss immer traurig sein

Kurt Gerrons Lied „Das Nachtgespenst“ mag der 73-Jährige besonders gern. Er singt es immer in einem besonderen Programm, das er freilich nicht zu oft aufführt.

Wenn man die Rezensionen seiner Auftritte liest, fällt auf, dass sie meist enthusiastisch ausfallen. Er habe aber auch Kritik erlebt, sagt er. „Zu fröhlich, zu lustig“, schallte es ihm mal nach einem Auftritt im Jüdischen Museum entgegen. Das hat er nicht verstanden. „Warum muss denn immer alles traurig sein? Das Leben ist doch oft traurig genug.“

Ich habe das Gerüst zusammen gesungen.

Robert Kreis, Entertainer, über sein Konzert zugunsten der Gedächtniskirche in Berlin.

2008 hat er sich endlich einen alten Traum erfüllt und ist nach Berlin gezogen. Seinen Einstand gab er mit einem Konzert zugunsten der Gedächtniskirche. Zunächst habe niemand Geld für die Renovierung geben wollen, erinnert er sich. Sein Konzert sei die Initialzündung gewesen, dass später genug Geld auch vom Senat kam. „Aber ich habe das Gerüst zusammen gesungen“, sagt er stolz.

In Mariendorf wohnt der wahre Humor

In Mariendorf fühlt er sich seitdem sehr zu Hause. „Hier wohnen die richtigen Berliner“, hat er erfahren. „Die mit viel trockenem Humor, die schlagfertig und unerschütterlich sind.“ Und fügt ohne falsche Bescheidenheit hinzu: „Ich liebe sie, und sie lieben mich.“ Seine Auftritte streut er allerdings über das ganze Land. „Sonst vermisse ich Deutschland“, sagt er.

Nur echt mit Menjou-Bärtchen. Der holländische Entertainer Robert Kreis
Nur echt mit Menjou-Bärtchen. Der holländische Entertainer Robert Kreis

© promo

Sein Faible für die tiefgründige deutsche Sprache schimmert immer wieder durch in seinen Erzählungen. Mit Max Raabe ist er befreundet. Sie sähen sich zwar selten: „Aber wenn wir uns sehen, ist es immer ein Riesenfest.“ Er ist dem jüngeren Künstler dankbar, dass er auch weiterhin die Erinnerung an die Künstler seines Herzens am Leben hält: „Diese Ära darf nicht untergehen.“

Robert Kreis komponiert freilich auch selbst. Er mag es, Pingpong zu spielen mit dem Heute und dem Damals. Zum Abschied gibt er noch ein Beispiel für die Art Sprachwitz, die er mag. „Wenn ein Deutscher mit einem Ausländer geht, sind es zwei Ausländer, weil der Ausländer denkt, dass er einen Ausländer am Arm hat.“

Auf seinen nächsten Berliner Einsatz im Jahr seines 50-jährigen Bühnenjubiläums im Renaissance-Theater freut er sich schon. Für sein Lebenswerk wird dieser Auftritt ein echtes Heimspiel.

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