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Brandenburg: Ein langer Riegel quer zur Lagerachse

ORANIENBURG .Der neugierige Spaziergänger über das einstige SS-Truppenlager in Oranienburg bleibt nicht lange allein.

ORANIENBURG .Der neugierige Spaziergänger über das einstige SS-Truppenlager in Oranienburg bleibt nicht lange allein.Die Polizei fährt Streife, befragt die Besucher und überprüft die Zulassung der abgestellten Pkw.Spätestens der Blick über die lange Mauer erklärt die für leerstehende Kasernen ungewöhnliche Bewachung: Gleich nebenan beginnt das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen.Im SS-Truppenbereich befanden sich Unterkünfte für die Wachmannschaften, Heizhaus und Bad, Kasino, ein riesiger Exerzierplatz und nicht zuletzt die Villa des Lagerkommandanten Theodor Eicke.Bis zu 3000 SS-Leute waren hier stationiert.An diesem Ort begann im Zuge der Kriegsvorbereitung der Aufbau der Totenkopfstandarten zu Eliteformationen.Über die Zukunft dieses rund 40 Hektar großen Geländes an der Straße nach Bernau wird seit sechs Jahren heftig gestritten.

Jetzt erhitzt ein neuer Vorschlag des amerikanischen Architekten Daniel Libeskind die Gemüter nicht nur in der nördlich Berlins gelegenen Kreisstadt.Er will einen rund 500 Meter langen und 50 Meter breiten Neubau quer über das Gelände legen, um sich bewußt von der Ordnung der SS-Planung abzusetzen.Doch das Landesdenkmalamt erhebt Widerspruch.Es sieht die "historisch-topographischen Zusammenhänge" gestört.Selbst Kulturminister Steffen Reiche konnte in einem Gespräch zwischen Brandenburgs obersten Denkmalchef, Professor Detlef Karg, und dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, keine Einigung erzielen."Es wird weiter diskutiert", sagt Reiches Pressesprecher.Günter Morsch begrüßt den Libeskind-Vorschlag.

Der größte Teil des Truppenlagers steht seit dem Ende der DDR leer.Damals verstummten erstmalig nach mehr als einem halben Jahrhundert die militärische Parolen im weiten Rund, denn die Kasernierte Volkspolizei und die NVA hatten das Gelände ohne Berührungsängste ab 1950 genutzt.Das traf nach der Wende auch auf das Oranienburger Polizeipräsidium zu, das in einen Teil der Gebäude einzog.Das übrige Geländes blieb unberührt.

Dabei hatte schon 1993 ein internationaler Wettbewerb den Entwurf eines Wiener Architekten zum Sieger gekürt: Wohnhäuser und Geschäfte sollten für immer die sensible Vergangenheit des Geländes tilgen.Ganz anders wollte schon damals Daniel Libeskind mit dem Truppenlager umgehen: Abriß der meisten Gebäude und Flutung der Hälfte des Gebietes.Das Wasser sollte die Verbindung zum KZ herstellen.Schließlich waren kurz vor Kriegsende die Häftlinge auf einen Todesmarsch in Richtung Ostsee getrieben worden.

Doch nach dem Wettbewerb passierte in Oranienburg nichts.Kritik an der geplanten Wohnbebauung kam vor allem von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die die alten Gebäude erhalten wollte.Denn nirgendwo sonst sei die "Geometrie des Terrors" so wie in Oranienburg erhalten geblieben.Unterhalb des in Form eines gleichseitigen Dreiecks gebauten KZ gruppierten sich der SS-Truppenbereich, die Ein- und Zweifamilienhäuser der obersten Wachleute und die in einer idyllischen Ecke gebaute Villa des Lagerkommandaten.Zusammen mit dem Industriehof, Werkstätten und anderen Grundstücken erstreckte sich der gesamte KZ-Lagerkomplex auf 380 Hektar.Ganze fünf Prozent davon nimmt die heute durch Mauern und Wachtürme begrenzte Gedenkstätte ein.

"Unser Entwurf orientiert sich gerade an diesem Netzwerk der Außenlager und Infrastruktureinrichtungen des KZ", erklärt Martin Ostermann vom Libeskind-Büro.Dazu gehörten auch der Bahnhof, das T-Gebäude der KZ-Inspektionen und das Klinkerwerk am Oder-Havel-Kanal.Die Besucher sollten auf neuen Wegen das Gelände erreichen.Alle vor 1945 entstandenen Gebäude würden erhalten, alle übrigen Bauten abgerissen."Der Neubau hat von uns den Namen "Hope Incision", also Einschnitt der Hoffnung, erhalten", sagt Ostermann."Das in seiner Geschoßzahl von zwei auf fünf ansteigende Haus bietet Platz Gewerbe-und Dienstleistungen." Da der Bau außerhalb des SS-Truppenlagers beginne, könne er als Mittler zwischen der Stadt Oranienburg und der Gedenkstätte fungieren.

"Die Gedenkstätten-Stiftung unterstützt den neuen Libeskind-Vorschlag", sagt Pressesprecher Horst Seferens."Der vorgesehene Riegel quer zur Lagerachse macht als Moment der Verfremdung und Irritation durchaus Sinn.Vor allem die Erhaltung aller authentischen Zeugnisse aus dem SS-Truppenlager findet unsere Zustimmung." In das Kasino, als "Grünes Ungeheuer" bekannt, sollen Ausstellungen ziehen.Die Villa Eicke wird zur Jugendbegegnungsstätte.

Die Zeit drängt.Denn unmittelbar nach dem Abzug der NVA-Soldaten und noch vor den Polizeistreifen müssen Randalierer in vielen Häusern gehaust haben.Scheiben sind zerschlagen, Türen eingetreten und Mauern niedergerissen.Wind und Regen haben zusätzliche Schäden verursacht.

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