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Brandenburg: „Eine einmalige Chance“

Berlin-Institut-Chef Reiner Klingholz über Wegzugsprämien und die Perspektive Brandenburgs

Herr Klingholz. Der Brandenburger Landtag hat Ihrem Institut 27 000 Euro gezahlt, damit Sie Strategien für die Zukunft Brandenburgs entwickeln. Haben Sie das Geld für „Stalinismus“ ausgegeben?

Der Stalinismus-Vergleich von Finanzminister Rainer Speer kann nur daher kommen, dass er das Gutachten nicht gelesen hat. Auf drei Zeilen sagen wir zum Thema Wegzugsprämien nur, dass es in Brandenburg Regionen gibt, wo die Infrastruktur stark zurückgefahren wurde.

Also führen Sie die Landespolitik nur fort?

Und zwar in der Art, dass man sich um die betroffenen Leute auch kümmert. Das macht man momentan nicht. In manchen Orten erweckt der Zigarettenautomat den letzten Anschein von öffentlicher Daseinsfürsorge. Wenn die Leute in die Zentren wollen, dann sollte man sie dabei unterstützen. So sparen beide Seiten Kosten.

Hätten Sie eine so kontroverse Diskussion Ihrer Vorschläge erwartet?

Dass viele Dinge in unserem Gutachten strittig sind, ist keine Frage. Die Wegzugsprämie hat jedoch jemand gezielt an die Öffentlichkeit gebracht, um damit Politik zu betreiben. Das ist Populismus.

Fällt Ihnen der Landtag als Auftraggeber mit der breiten Kritik jetzt in den Rücken?

Ich glaube, dass Landtag und Regierung ein sehr großes Interesse an dieser Diskussion haben. Die unbequemen Wahrheiten auszusprechen, überlässt man jedoch uns.

Die Prämien sind nur ein Teil der Studie. Welche Vorschläge machen Sie noch?

Die Gesellschaft der Zukunft kann mit dem Bildungsstand, den wir in den neuen Bundesländern haben, nicht existieren. Wir haben doppelt so viele Jungen wie Mädchen, die nicht mal den Hauptschulabschluss schaffen. Frauen wandern ab, weil sie keine adäquaten Partner finden. Über Struktur und Ansiedlung von Wirtschaft brauchen wir gar nicht zu reden, wenn wir dieses Problem nicht lösen.

Was noch?

Es braucht viel mehr Entscheidungs- und Finanzautonomie bei den Kommunen. Wird jetzt eine Schule geschlossen, fällt die Entscheidung in Potsdam. Das ist nicht gut. In Schweden beispielsweise läuft das anders. Wie dort sollte das Geld für die Schulen den Kommunen gegeben werden. Die können dann selbst entscheiden, ob sie lieber eine kleine Schule betreiben oder das Transportsystem ausbauen, damit eine andere erreichbar ist.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Wir müssen jetzt in die Praxis gehen. Das kann zum Beispiel in Modellregionen geschehen, die die Vorschläge testen. Die Zeit der Analyse ist vorbei. Brandenburg hat die einmalige Chance, Vorreiter in Ostdeutschland zu sein.

Also kann ganz Brandenburg eine Modellregion für Deutschland werden?

Wenn sie das schlau anstellen, ja. Schon damals als preußischer Staat hat Brandenburg bemerkenswerte Reformen eingeleitet, die den modernen deutschen Staat begründet haben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass Brandenburg zum zweiten Mal eine solche Vorreiterrolle einnehmen kann.

Reiner Klingholz ist Direktor des Berlin-

Institutes für Bevölkerung und Entwicklung. Mit ihm sprach Matthias Jekosch. Die Brandenburg-Studie finden sie unter www. berlin-institut.org.

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