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Brandenburg: Eine recht verfahrene Situation

Anwälte wollen Prozess-Termine verschieben, weil Richter formal falsch ins Amt kamen

Potsdam - An Brandenburgs Gerichten sind erste Anträge auf Terminverschiebung von Verhandlungen eingegangen. Begründet werden sie damit, dass die Brandenburger Richter seit 1993 formal nicht ordnungsgemäß gewählt wurden (wir berichteten). Die Vorbereitungen für die Wahl des neuen Richterwahlausschusses wurden abgebrochen, wie das Justizministerium gestern bestätigte. Die Wahl des Ausschusses steht turnusmäßig nach der Landtagswahl an. Die Präsidenten der Gerichte seien bereits ersucht worden, „die bereits erfolgte Ausschreibung zur nächsten Wahl zum Richterausschuss zurückzuziehen“.

Anwälte wie der Potsdamer Strafverteidiger Nikolai Venn kündigten an, für laufende Verfahren die Besetzung des Gerichts prüfen zu lassen (siehe rechts). Die Anwaltskammer des Landes Brandenburg wollte sich nicht äußern. Er wolle „keine juristische Ferndiagnose“ abgeben, ohne die Sache genauer zu kennen, sagte Geschäftsführer Rüdiger Suppé. Nach Angaben der Neuen Richtervereinigung sind auch Anträge auf die Wiederaufnahme von Verfahren bereits gestellt worden.

Justiz-Staatssekretär Hans-Georg Kluge sagte, dass seinem Ministerium zumindest ein Antrag auf Verschiebung eines Prozesstermins bekannt sei. Die Gerichte seien aber nicht verpflichtet, solche Anträge zu melden. Die Entscheidung darüber träfen die Gerichte selbst. Doch nach einem dem Ministerium vorliegenden Gutachten hätten solche Anträge „praktisch keine Erfolgsaussichten“. Das ist auch die Meinung von hochrangigen Richtern des Landes. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes in Brandenburg, Wolf Kahl, sagte, die Richter seien wirksam ernannt worden, ihre Urkunden habe der Ministerpräsident unterschrieben. Die fehlerhafte Besetzung des Wahlausschusses rechtfertige eine Rücknahme der Ernennungen nicht.

Kahl warf Justizministerin Barbara Richstein (CDU) gestern „Panikmache“ vor. Richstein hatte nicht ausgeschlossen, dass Richter-Besetzungen beziehungsweise Urteile angefochten werden. Die Neue Richtervereinigung bezeichnete Richstein gar als „personifizierten Justizskandal“. Sie habe der Justiz durch inkompetente und dilettantische Reaktionen schweren Schaden zugefügt.

Das Justizministerium versicherte gestern, dass die bisherigen Richterwahlen in Brandenburg gültig seien, „obwohl die für die Wahlen maßgebliche Verordnung nicht mit dem höherrangigen Richtergesetz übereinstimmt und damit unwirksam ist“. Die Durchführungsverordnung sieht Personenwahlrecht für die Richter im Richterwahlausschuss vor, das Gesetz hingegen eine Listenwahl.

Inzwischen bahnt sich ein Streit zwischen Richterschaft und Ministerium um das künftige Wahlrecht an. Das Justizministerium will die Listenwahl durchsetzen, der Richterbund besteht auf dem bisher praktizierten Verfahren der Personenwahl. Inzwischen wird nicht mehr ausgeschlossen, dass nach der Landtagswahl im kommenden September zunächst der Rechtsausschuss Richter ernennen muss. Das Richtergesetz sieht für die Wahl des Richterwahlausschusses eine Frist von sechs Wochen nach Konstituierung des Landtages vor. Sie kann voraussichtlich nicht eingehalten werden. Gibt es keinen Richterwahlausschuss, muss der Rechtsausschuss des Landtages für die Aufgabe einspringen.

Michael Mara, Fatina Keilani

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