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Brandenburg: Entdeckung der Realität

Michael Mara und Thorsten Metzner über ein bitteres Lehrjahr ANGEMARKT Für Brandenburg geht ein schonungsloses Jahr zu Ende. Fast brutal enthüllte es, wie es um das Land wirklich bestellt ist.

Michael Mara und Thorsten Metzner über ein bitteres Lehrjahr

ANGEMARKT

Für Brandenburg geht ein schonungsloses Jahr zu Ende. Fast brutal enthüllte es, wie es um das Land wirklich bestellt ist. Zuletzt brachte noch kurz vor Weihnachten ein Länder-Vergleich der Bertelsmann-Stiftung eine weitere bittere Wahrheit an den Tag: Brandenburg ist trotz der Hauptstadt Berlin in seiner Mitte das Bundesland, das sich „mit Abstand am schlechtesten entwickelt“ hat. Dazu passte, dass auch die Regierung der großen Koalition bei der Bewertung ihres Engagements und ihrer Aktivitäten abgeschlagen auf dem vorletzten Platz landete.

Mahnmal für das Versagen ist die Investitionsruine der Chipfabrik in Frankfurt (Oder). 1500 Arbeitsplätze sollte das Milliardenprojekt ins strukturschwache Ostbrandenburg bringen. Im November gab Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) das Aus bekannt. Kein Happy End in diesem Lehrstück für Missmanagement, provinziellen Größenwahn und politischer Naivität – natürlich nicht. Der voreilige Startschuss trotz ungeklärter Finanzierung durch den damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und seinen Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) kommt das Land teuer zu stehen: Knapp 100 Millionen Euro wurden in den Sand gesetzt.

Neue Offenheit

Immerhin: Den bitteren Realitäten folgten neue Töne der Politik: In seiner Regierungserklärung nach dem Chipfabrik-Fiasko zeichnete Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) im Dezember ein schonungsloses Bild. Ohne leere Versprechungen ging er nach eineinhalb Jahren Amtszeit erstmals auf Distanz zur Politik seines Vorgängers Stolpe, mit dessen Namen sich bereits die Pleiten von Lausitzring, Cargolifter und Landesentwicklungsgesellschaft verbinden. Platzecks Selbstkritik: „Wir müssen besser werden!“

Schon im Februar 2003 hatte sich ein Kurswechsel hin zu einem realistischeren Politik- und Regierungsstil abgezeichnet: Platzeck und sein Wirtschaftsminister Junghanns ließen sich von den wochenlang streikenden Premnitzer Chemiewerkern nicht erweichen – und lehnten neue Subventionen für die schon seit der Wende nicht wirklich lebensfähige Fabrik ab. Im Frühjahr beriet das Kabinett erstmals über ein lange unterschätztes Problem: die alarmierende demographische Entwicklung, die nach neuen Prognosen zur dramatischen Entvölkerung der Randregionen führen wird. Freilich, ein schlüssiges Konzept, wie sie damit umgehen will, hat die Regierung bisher nicht.

Zur neuen Offenheit passte auch ein Tabubruch kurz vor Weihnachten: Nach einer gemeinsamen Sitzung des Landeskabinetts mit dem Berliner Senat sprach Platzeck als erster Politiker der Regierung offen aus, was insgeheim den meisten klar ist: Der Termin für die geplante Volksabstimmung im Jahr 2006 über die Fusion von Berlin und Brandenburg wird nicht zu halten sein. Denn die Finanzprobleme Berlins werden bis dahin nicht gelöst sein, und die Brandenburger werden daher nach aller Voraussicht mit Nein stimmen. Der Aufschrei in Berlin war groß, doch Platzeck blieb dabei: Er mache keine „wolkigen Ankündigungen“ mehr. Von seinem Stellvertreter, Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), bekam er trotzdem Kritik zu hören: Man sollte doch nicht schon vorzeitig aufgeben.

Ja, auch in der seit 1999 regierenden großen Koalition lief es nicht glatt. Das Klima ist angespannt, das Verhältnis der Spitzen-Akteure ziemlich zerrüttet. Der heftigste Krach: Platzeck wies seinen Vize Schönbohm im März öffentlich in die Schranken, weil dieser eine CDU-„Solidaritätsadresse“ an US-Präsident George Bush unterzeichnet hatte, die den Einmarsch in den Irak unterstützte. Erstmals forderten da Sozialdemokraten offen den Regierungswechsel zu einer SPD/PDS-Koalition. Trotzdem– ein Rezept, den Vormarsch Schönbohms zu stoppen, fanden die Genossen bisher nicht: Bei der Kommunalwahl im Oktober wurde die Union zur stärksten Partei. Ein schweres Desaster für die Sozialdemokraten.

Nicht alles war schlecht

Doch muss auch gesagt werden, dass die große Koalition trotz der Spannungen 2003 wichtige Entscheidungen durchsetzte. So die umstrittene Gemeindereform, mit der die Zahl der Kommunen durch Fusionen auf rund 400 vermindert wurde. So der Sparhaushalt 2004, der im Dezember verabschiedet wurde. Ohne Turbulenzen ging auch der plötzliche Rücktritt von SPD-Bauminister Hartmut Meyer über die Bühne; Bildungs- Staatssekretär Frank Szymanski wurde sein Nachfolger.

Und die guten Nachrichten? Die gab es auch: In der Braunkohle-Stadt Senftenberg öffnete die erste Skihalle Ostdeutschlands. In den Babelsberger Studios wurde der Jules-Verne-Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ gedreht, in Potsdam der Grundstein für das neue Theater gelegt und das restaurierte Belvedere auf dem Pfingstberg eröffnet. Und: Teltow-Fläming wird in einem Vergleich des Magazins „Focus Money“ zum erfolgreichsten Landkreis Ostdeutschlands gekürt – denn hier wird klug in die Infrastruktur investiert.

2003 war ein Lehrjahr für Brandenburg. Die Zeit die Wunschträume ist vorbei.

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