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Ermyas M.: "Grottenschlechte" Beweislage

Die Aussagen der Zeugen sind widersprüchlich. Am fünften Verhandlungstag im Prozess zum Angriff auf Ermyas M. in Potsdam geben vor allem ehemalige Mithäftlinge des Hauptangeklagten Björn L. ihre Eindrücke zu Protokoll.

Potsdam - Manche kennen den 29-Jährigen persönlich, andere nur vom Hörensagen. Zur Aufklärung, was in der Nacht zum Ostersonntag im vergangenen Jahr tatsächlich geschehen ist, tragen sie zwar nicht bei. Doch nach Auffassung der Verteidigung wirken einige Angaben für Björn L. entlastend.

Ermyas M. hatte bei dem Übergriff schwerste Kopfverletzungen erlitten. Vor dem Angriff gegen 4 Uhr morgens hatte er mehrfach versucht, seine Frau anzurufen. Bei einem Anruf schaltete sich ihre Handy-Mailbox ein. Diese zeichnete einen Teil des sich gerade entwickelnden Streits zwischen Opfer und Tätern auf. Dabei fiel unter anderem die Äußerung "Scheiß Nigger".

Ein ehemaliger Mithäftling des Hauptangeklagten will sich an eigene frühere Aussagen nicht mehr erinnern können. Noch im Juni 2006 hatte der heute 20-Jährige bei einer Polizeivernehmung Björn L. belastet. Dieser solle bei einer Unterhaltung mit Mithäftlingen gesagt haben, "hätte ich mal richtig reingetreten, dann wäre er nicht mehr aufgestanden". Er selbst sei bei dem Gespräch nicht dabei gewesen und kenne Björn L. nicht. Vor Gericht kann sich der Zeuge an diese Aussagen nicht mehr erinnern. Der Staatsanwalt beantragt daraufhin zwei Wochen Beugehaft und eine Geldstrafe von 200 Euro wegen "Vortäuschens fehlender Erinnerung". Das Gericht weist den Antrag aus Mangel an Beweisen ab.

Verteidigung sieht sich durch Aussagen bestätigt

Ein anderer Zeuge sagt, Björn L. habe im Gefängnis stets glaubwürdig seine Unschuld beteuert und sei ein sensibler Mensch. "Das ist kein Typ, der in das Klischee einer Justizvollzugsanstalt passt", sagt der 35-Jährige. Gleichzeitig beschuldigt er einen anderen Häftling, gegen Björn L. ausgesagt zu haben, um sich "die Freiheit zu erschleichen". Für Hinweise, die zur Aufklärung einer Tat beitragen, können Häftlinge vor Ablauf der Strafe entlassen werden.

Ein dritter Zeuge und Häftling erklärt, ihm sei zugetragen worden, dass Björn L. zwar seine Unschuld beteuert habe. L. könnte aber auch gegenüber Mitgefangenen gesagt haben, er hätte besser zuschlagen sollen. Er verspricht sich von seinen Hinweisen eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis, wie er selbst vor Gericht angibt.

Die Verteidigung sieht sich durch die Aussagen bestätigt. "Es gab hier noch nicht einen Zeugen, der rechtfertigt, dass mein Mandant in Haft saß", sagt Anwalt Matthias Schöneburg. Die Beweislage sei "grottenschlecht". Zugleich wirft er der Polizei vor, die Zeugen nur oberflächlich befragt zu haben.

Rassistische Motivation nicht beweisbar

Björn L. wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er soll Ermyas M. am frühen Ostersonntagmorgen mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der zweite Angeklagte, der 31 Jahre alte Thomas M. aus Potsdam, steht wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht. Zunächst war man von einem rassistisch motivierten Mordversuch ausgegangen. Dieser Tatvorwurf ließ sich jedoch nicht aufrecht erhalten. So ging der Fall an die Potsdamer Behörden zurück, und die Tatverdächtigen kamen unter Auflagen aus dem Gefängnis frei.

Ein ehemaliger Nachbar von Björn L. bestätigte weitgehend seine für den Hauptangeklagten belastenden Aussagen. Er will den Hauptangeklagten auf dem Mitschnitt an dessen hoher Stimme erkannt haben, nachdem er Björn L. bei der Festnahme im Fernsehen gesehen hatte. Björn L. trägt seit seiner Kindheit wegen seiner hohen Fistelstimme den Spitznamen "Pieps". Anwalt Schöneburg erklärt, "ohne die Fernsehbilder hätte dieser Zeuge die Stimme gar nicht erkannt". Der Verteidiger fügt hinzu: "Der Prozess läuft gut für uns". (Von Alexander Burkhardt, ddp)

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