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Brandenburg: Erst stundenlange Folter, dann ein Mordversuch

Prozess um Gewaltorgie gegen 14-Jährigen

Mit einer Ohrfeige fing es an. Weil Martin (Name geändert) „Behauptungen aufgestellt“ habe, sagt Mike S. den Richtern. „Erst hat Marcel zugeschlagen, und irgendwann habe ich auch mitgemacht.“ Mike S. ist 19. Er sitzt seit gestern mit drei Freunden – zwei Männern von 35 Jahren und einem 17-jährigen Schüler – vor Gericht. Es geht um sinnlose Gewalt, um Brutalität, die sprachlos macht: Die vier Angeklagten sollen einen Jugendlichen stundenlang gefoltert haben. Als die Polizei etwa 30 Stunden später eintraf, lag der damals 14-jährige Martin fast zu Tode misshandelt in einer Badewanne.

Die drei erwachsenen Angeklagten müssen sich wegen versuchten Mordes verantworten, weil sie nach den Misshandlungen in einer Plattenbauwohnung in Marzahn ihr Opfer mit Stromschlägen töten wollten. Während Marcel G. und Thomas Gi. schweigen, spricht Mike S. über den Tag im Juni letzten Jahres, an dem sie „sauer“ waren auf ihren Bekannten Martin. An ihm wollten sie, die die Tage mit „Saufen und Kartenspielen“ verbrachten, ihre Macht demonstrieren, weil er sie durch Prahlerei gereizt hatte.

„Er hat behauptet, dass er bereits eineinhalb Jahre in Moabit im Knast saß“, meinte S. Das habe Marcel G. wütend gemacht. „Da ist es so passiert“, sagt der fast kahl geschorene, beruflose Mann. Martin wurde geschlagen, gefesselt und getreten, dann mit einem Butterfly-Messer malträtiert. Mike S. stach als Erster zu.

„Marcel meinte, ich würde mich nicht trauen“, sagt S. den Richtern. Damit der Teppich im Wohnzimmer nicht blutig wird, holten sie eine Decke. „Ich stach rein, die ganze Klinge“, schildert S. im Prozess. Der Vorsitzende Richter will wissen, warum er das tat. Mike S. weiß keine Antwort. „Thomas stach auch, aber erst am nächsten Tag.“ Die Misshandlungen nahmen kein Ende. Sie zündeten einen Feuerwerkskörper auf seiner nackten Haut. Martin wurde mit einer Schaufel gegen den Kopf geschlagen, immer wieder mit dem Butterfly-Messer in Oberschenkel und Gesäß gestochen. Sie zwangen ihn laut Anklage, Glas zu essen und von einer Kerze abzubeißen.

Es gab kein Erbarmen. Als ihnen im Laufe des nächsten Tages bewusst wurde, dass die Sache mit einer Anzeige enden könnte, wollten sie den Jungen mit Stromschlägen töten. Sie zerrten Martin ins Bad, ließen Wasser in die Wanne und hievten ihr Opfer hinein. Ein Fön wurde eingeschaltet. „Ich warf ihn ins Wasser“, gesteht der 19-Jährige, der im Dezember Vater einer Tochter geworden war. Doch der Schutzschalter rettete Martin. Sie wiederholten den Versuch. „Einmal hat er gezuckt und ist zusammengesunken“, meint S. emotionslos.

Dann gingen sie ins Wohnzimmer, wo auch der 17-Jährige saß. „Ich finde die ganze Sache heute krank“, sagt der schmächtige Schüler. Er will wie Mike S. alles auf den Alkohol schieben: „Aber wir hatten alle viel getrunken.“ Die Freundin des Schülers, die zwischendurch kurz in der Wohnung war, hatte die Polizei alarmiert. Martin soll morgen als Zeuge aussagen. „Er war immer ein schwieriges Kind, doch jetzt ist es noch schlimmer“, sagt seine Mutter.

Kerstin Gehrke

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