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Ankunft in Brandenburg. Seit Mitte September sind mehrere hundert Flüchtlinge in ehemaligen Ministeriumsgebäuden in Potsdam untergebracht.

© dpa/ R. Hirschberger

Erstaufnahmelager in Potsdam: Ein Platz für die Würde

Rotkreuz- und Rothalbmond-Chef Elhadj As Sy hat eine Flüchtlingsunterkunft in Potsdam besucht und erzählt, was die Menschen am dringendsten brauchen.

Als Elhadj As Sy in Potsdam eintrifft, ist es bereits dunkel. In einem Transportwagen des Deutschen Roten Kreuzes ist der 57-Jährige mit einer kleinen Delegation hierher gekommen, zu einer der vier DRK-betriebenen Erstaufnahmeeinrichtungen in Brandenburg. Das Blaulicht bleibt selbstverständlich ausgeschaltet, auch wenn es hier um eine ernste Angelegenheit geht. Vorsichtig klettert der hünenhafte Generalsekretär der Internationalen Rotkreuz- und Halbmondbewegung (IFRC) aus dem Fahrzeug und schaut durch die Dunkelheit zu den hell erleuchteten Fenstern mehrerer Backsteingebäude.

Vor kurzem noch waren hier Brandenburgs Umwelt- und das Sozialministerium beheimatet, eigentlich sollte dann das Bundespolizeipräsidium einziehen. Eigentlich – denn seit Mitte September sind hier vor allem syrische und afghanische Flüchtlinge untergebracht. Die Bundespolizei bleibt vorerst im alten Gebäude, in direkter Nachbarschaft der Erstaufnahmestelle in der Heinrich-Mann-Allee. „Häufig fühlen sich Flüchtlinge sogar sicherer, wenn sie die Polizei sehen – anders als in ihren Heimatländern“, sagt Elhadj As Sy.

Die Leichtbauhallen stehen schon

Seit 2014 ist As Sy Generalsekretär der IFRC und hat seither Flüchtlingslager und Unterkünfte in vielen Ländern gesehen. Gerade war der gebürtige Senegalese in Griechenland, vor vier Wochen hat er syrische Einrichtungen des Roten Halbmondes in Damaskus und Homs besucht. Er kennt also die Verhältnisse, aus denen viele Menschen nach Deutschland geflohen sind. „Die Qualität der Versorgung hier ist sehr hoch, aber noch wichtiger: Die Menschen können ihre Würde wiederherstellen.“

In einem großen Zelt auf dem Hof verteilen Catering-Mitarbeiter das Abendbrot – Brötchen, Käse, Wurst – an die Bewohner der Unterkunft. Viele Kinder laufen umher, rund die Hälfte der aktuell etwa 500 hier untergebrachten Menschen sind minderjährig. Vor allem Familien leben in den Gebäuden, und sie haben es vergleichsweise gut: Die alten Büroräume werden jeweils von einer Familie genutzt, die darin auf Feldbetten oder Matratzen schläft. Das wird für einige Neuankömmlinge bald anders sein. Am Rand des Geländes sind schon vier Leichtbauhallen aufgebaut. Sobald sie Fenster haben und beheizt sind, ziehen auch hier Flüchtlinge ein.

Jedes zweite Kind hustet bei der Ankunft

Auf dem Gelände gibt es außerdem eine Kleiderausgabe und einen Arzt, der sich um Erkältungen und kleinere Wehwehchen kümmert – und davon gibt es jetzt immer mehr. Die Gesundheit der Ankommenden verschlechtere sich zusehends, jedes zweite Kind huste, erklärt ein Mitarbeiter. As Sy, früher leitender Funktionär beim Kinderhilfswerk UNICEF und beim Aids-Programm UNAIDS, spricht während seines Rundgang immer wieder die Kleinsten an. Im Essenszelt, in den Fluren der Unterkunft und im Spielzimmer unter dem Dach streichelt ihnen über die Köpfe. Ihr Verhalten ist für ihn ein wichtiger Indikator für die Situation in der Unterkunft. „Wenn ein Kind lächelt, ist das spontan und nicht gezwungen.“

Die Kinder, denen As Sy begegnet, haben viel durchgemacht, einige dürften traumatisiert sein, und dennoch spielen sie und laufen ungezwungen umher. Die Stimmung in der Erstaufnahmestelle sei gut, sagt ein DRK-Mitarbeiter, viele seien sogar traurig, wenn sie nach einigen Wochen weitergeschickt würden – besser wird es, das vermuten sie schon, wahrscheinlich nicht. Eigentlich sollte jeder nur ein bis zwei Wochen hier bleiben, weil aber die erforderlichen Erstuntersuchungen im Krankenhaus nur schleppend vorangingen, sind es oft bis zu sechs Wochen. Die Wartezeit verbringen die Flüchtlinge damit, den Handykontakt zu Verwandten herzustellen und sich von der Flucht zu erholen. Einige dürfen auch als Freiwillige mithelfen – eine willkommene Ablenkung.

Was zählt, ist die menschliche Behandlung

Die Zustände in der Heinrich-Mann-Allee sind nicht der Standard, auch nicht in Deutschland, das weiß Elhadj As Sy. In anderen Einrichtungen, etwa im ehemaligen Flughafen Tempelhof, den Notunterkünften im Olympiapark, bis vor Kurzem auch in den Zeltstädten in Spandau oder in Eisenhüttenstadt, geht es weit weniger komfortabel zu: In den Zelten machten Kälte und Feuchtigkeit den Flüchtlingen zu schaffen, in den Hallen gibt es kaum Privatsphäre, dafür ohrenbetäubenden Lärm aus vielen hundert Kehlen auf kleinstem Raum.

Trotzdem – die Menschen in Potsdam hätten mit ihm nicht über das Essen oder die Unterkunft gesprochen, sagt As Sy. "Sie sprechen über Sicherheit und Würde." Wichtig sei vor allem, dass die Geflüchteten menschlich behandelt würden. Gerade freiwillige Helfer, die selbst mal Flüchtlinge waren, wüssten, was es bedeutet, menschlich empfangen und behandelt zu werden.

Das sei selbst in Griechenland möglich, wo viele Menschen als Folge der Wirtschaftskrise schon mit der eigenen Situation zu kämpfen haben. Während seines Besuchs in Athen hätten Nachbarn einer Unterkunft Tüten mit Spenden gebracht – nicht viel, aber immerhin. Auch ein Erlebnis im Balkan kann er nicht vergessen. „Einfach, arme Ungarn kamen im Grenzgebiet aus ihren Häusern, mit Brot, Wasserflaschen und Kleidung auf dem Arm zu den gestrandeten Menschen – in einem Land, das als flüchtlingsfeindlich gilt.“ Es seien solche einfache Aktionen, deren Wirkung auf die Flüchtlinge man nicht unterschätzen dürfe. „Sie sehen die ausgestreckte Hand, das ist wichtig.“

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