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Brandenburg: Expedition in den eigenen Wahlkreis

Außenminister Steinmeier erkundet für vier Tage Brandenburg – nur seinen Ortsverein besucht er nicht

Brandenburg/Havel - Noch übt man in Kirchmöser gegenüber dem neuen Genossen verständnisvolle Nachsicht. „Ein prominenter Reisender wie Frank-Walter Steinmeier ist an seinem Reiseprogramm relativ unschuldig. Das machen doch Leute der Landes-SPD oder aus seinem Büro“, sagt Andreas Wehnert. Der 51-Jährige ist Kassierer im SPD-Ortsverein Kirchmöser, den er im Januar 1990 einst mitgegründet hat. Kirchmöser ist auch die neue politische Heimat des Außenministers und früheren Kanzleramtschefs Steinmeier. Am 6. Juli ist der 51-Jährige als 19. Mitglied dem dortigen SPD- Ortsverein beigetreten. Und seit gestern tourt Steinmeier für vier Tage durch seinen künftigen Wahlkreis 60, in dem er bei der Bundestagswahl 2009 das Direktmandat holen will. Zum Auftakt radelte er vom alten Zisterzienser-Kloster Lehnin in die Spargelstadt Beelitz. Am Abend wollte er mit Genossen auf der Burg Ziesar feiern. Er wird in den nächsten Tagen Premnitz und Rathenow, am Freitag die Stadt Brandenburg besuchen. Nur in Kirchmöser selbst, dieser idyllischen Halbinsel inmitten von Havelseen, bei seiner eigentlichen Basis lässt sich Steinmeier merkwürdigerweise nicht blicken.

Aber Wehnert nimmt ihm das, wie gesagt, nicht übel. Man trifft sich hier einmal im Monat, hält in dem 4000-Seelen-Vorort der unionsregierten Stadt Brandenburg/Havel das sozialdemokratische Fähnlein hoch, so gut es eben geht. Die große und die kleine Politik sieht man eher bodenständig, pragmatisch. „Wenn etwas für Menschen erreicht wird, ist es egal, welche Partei das tut“, sagt Wehnert. Grabenkämpfe wie in der städtischen SPD gibt es hier nicht.

Und die Genossen hätten dem Neuen einiges zu zeigen. Wehnert erzählt von der stolzen Industriegeschichte, auf die Kirchmöser zurückblicken kann, das wie die Stadt Brandenburg immer ein Arbeiter- ort war, vor dem Zweiten Weltkrieg auch mit einer starken SPD. „Jeder deutsche Eisenbahner kennt Kirchmöser.“ Der Ort, eine Autostunde von Berlin entfernt, wäre nichts ohne die Bahn. Schon in den 1920er Jahren stand hier ein Ausbesserungswerk, 1928 kam die Zentralschule der Deutschen Reichsbahn dazu, der ganz Kirchmöser gehörte, bis auf den alten, von Bauerngehöften gesäumten Dorfkern.

Von dieser Geschichte zeugen heute nicht nur prächtige ziegelrote Industriegebäude, in denen wieder Firmen zumeist aus der Schienenbranche produzieren, ob Hochgeschwindigkeitsweichen oder Gleis-Reparatur-Triebwagen. Ein modernes Bahnstromwerk steht hier, ein Forschungszentrum der Deutschen Bahn AG. Und es siedeln sich neue Firmen an wie kaum anderswo im Land. „Kirchmöser brummt“, sagt Wehnert. Das erste Industriegebiet ist bereits ausgelastet. Ein zweites Gewerbegebiet wird gerade erschlossen, „natürlich mit Gleisanschluss“. Die neue Brücke, die Platanenallee – Wehnert gerät immer mehr ins Schwärmen.

Nur nach Kurt Beck fragt man ihn lieber nicht. Da wird der sonst Redefreudige einsilbig. „Ich möchte mich über den Vorsitzenden nicht auslassen. Wir Brandenburger haben so unsere Probleme mit Leuten, die von weit hinten kommen.“ Wäre Beck ein Kanzlerkandidat, der einer Angela Merkel Paroli bieten könnte? Wehnert schweigt ein hörbares Nein. Dann antwortet er: „Steinmeier ist von seinem ganzen Auftreten ein Sympathieträger.“

Derselbe aber ist auch Profi genug, zum Auftakt der Sommerreise etwaige Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur 2009 zu dementieren. Es gebe keinen Grund, diese Frage mitten in der Legislaturperiode zu entscheiden, sagt Steinmeier auf seiner Tour und versichert: „Die SPD wird ihre Personaldinge regeln.“

Dass Steinmeier doch noch nach Kirchmöser kommt, später, wenn der Rummel etwas nachlässt, da ist sich Wehnert sicher. „Vielleicht eher privatissime, ohne den Medientross.“ Er würde das SPD-Mitglied Nummer 19 jedenfalls zuerst auf den 65 Meter hohen Wasserturm, Baujahr 1916, führen, von wo der Außenminister ein atemberaubendes Panorama über die Havelseenplatte, seinen Wahlkreis genießen könnte. Wehnert weiß, dass alle, die einmal dort oben gestanden haben, von dieser Landschaft nicht mehr lassen können.

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