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Brandenburg: Fall Dennis: Rektorin beschuldigt Schulamt

Prozess um den toten Jungen in der Tiefkühltruhe: Er könnte noch leben, wenn die Zuständigen auf der Schulpflicht bestanden hätten

Von Sandra Dassler

Cottbus - „Dennis könnte noch leben“, hatte der damalige brandenburgische Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) im vergangenen Jahr schockiert konstatiert: „wenn Schule und Schulamt anders gehandelt hätten“. Spätestens beim gestrigen fünften Prozesstag gegen die Eltern des Jungen, dessen Leiche im Juni 2004 in einer Tiefkühltruhe der elterlichen Wohnung gefunden wurde, stellte sich heraus, dass Reiche leider Recht gehabt haben könnte.

Vor dem Cottbuser Landgericht sagte im Prozess gegen Angelika und Falk B. gestern die Leiterin der Carl-Blechen- Grundschule aus. Die Eltern von Dennis müssen sich wegen Misshandlung Schutzbefohlener sowie Totschlags durch Unterlassen verantworten. Sie sollen das Kind ab 1998 so stark vernachlässigt haben, dass es kurz vor Weihnachten 2001 an körperlicher Schwäche verstarb. Die Einschulungsuntersuchung, die für den Jungen im Frühjahr 2001 anstand, hätte den körperlichen Zustand des Kindes sicher offenbart – aber sie fand nicht statt. Die Schulleiterin sagte, sie habe wie immer die Liste der im Schuljahr 2001/2002 einzuschulenden Kinder vom Einwohnermeldeamt bekommen. Darauf stand auch Dennis B. Doch bis zum Stichtag am 28. Februar 2001 wurde der Junge nicht angemeldet. Daraufhin habe die Schule die Eltern angeschrieben und sie aufgefordert, Dennis anzumelden. Als keine Reaktion kam, informierte die Schulleiterin, so ihre Aussage, das zuständige Schulamt. Das Schreiben vom 10. April 2001 liegt dem Gericht vor. Damit habe sie ihrer Pflicht Genüge getan, meinte die Schulleiterin. Laut Dienstvorschrift habe nun das Schulamt alle weiteren Schritte veranlassen müssen. Der Leiter des Schulamts wird erst am kommenden Mittwoch vor Gericht aussagen – aus dem Untersuchungsbericht des Bildungsministeriums ist allerdings bekannt, dass das Schulamt lediglich prüfte, gegen die Eltern von Dennis ein Bußgeldverfahren einzuleiten. Da diese Sozialhilfeempfänger waren, wurde davon abgesehen. Das war alles. Im Untersuchungsbericht heißt es lapidar: „Der Vorgang ist 2001 nicht abschließend bearbeitet worden, so dass im Schuljahr 2001/2002 für Dennis Unklarheit bezüglich der Schulverhältnisse festzustellen ist (keine Anmeldung, aber auch keine Rückstellung).“

Die Schulleiterin hat das ungeklärte Fehlen des Jungen damals hingenommen: „Ich hatte ja das Schulamt informiert“. Erst als ein Jahr später Benjamin B., der kleine Bruder von Dennis eingeschult werden sollte und auch für ihn keine Anmeldung erfolgte, sprach sie mit ihrem Ansprechpartner im Schulamt über den Fall. „Er bat darum, dass ich mich um die Angelegenheit kümmern solle“, sagte sie vor Gericht. Das tat die Schulleiterin dann auch. Sie erreichte die 45-jährige Mutter Angelika B. schließlich telefonisch, vereinbarte einen Termin, zog das Jugendamt hinzu. Als die Mutter erzählte, dass Dennis in einem Berliner Krankenhaus sei, habe sie keine Zweifel gehabt, berichtete sie gestern. Auf Fragen der Richter und Anwälte, warum sie nie ein Attest anforderte oder sich darum kümmerte, ob Dennis im Krankenhaus unterrichtet werde, gab sie immer die gleiche Antwort: „Ich habe der Mutter vertraut. Die Jugendamtsmitarbeiterin hat das alles bestätigt und der jüngere Bruder ist ganz normal eingeschult worden.“

Das wurde Dennis übrigens dann auch – in Abwesenheit und ohne ärztliche Untersuchung. Monatelang stand er im Klassenbuch. Seine Eltern hätten sogar für beide Kinder eine einmalige Zuwendung zum Schulanfang beantragt und erhalten, sagte der Leiter des Cottbuser Sozialamts vor Gericht. Im Juni 2002, da war Dennis mindestens schon ein halbes Jahr tot.

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