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Brandenburg: Fall Ermyas M.: Zeuge wurde nicht gehört

Seit Mai wissen die Ermittler von einem Schweizer, der sich der Tat bezichtigt. Vernommen wurde er nicht. Schon deshalb müsse der bisherige Hauptverdächtige Björn L. frei gelassen werden, meint sein Verteidiger

Von Sandra Dassler

Potsdam - Zweimal war Björn L. in den vergangenen dreieinhalb Monaten bereits aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Zweimal musste er wenig später wieder in die Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel einrücken. Heute kommt der 29-jährige Potsdamer vielleicht zum dritten Mal frei.

Björn L. soll gemeinsam mit dem 30-jährigen Thomas M. am Ostersonntag den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. in Potsdam durch einen Faustschlag ins Gesicht lebensgefährlich verletzt haben. Wochenlang lag das Opfer im Koma, der Generalbundesanwalt Kay Nehm ermittelte wegen versuchten Mordes mit rassistischem Hintergrund. Im Mai wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Potsdam zurückgegeben. Gegen die beiden Verdächtigen wird nunmehr lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, Thomas M. ist seit Wochen auf freiem Fuß, nur Björn L. blieb im Gefängnis.

„Ein Skandal“, findet sein Verteidiger Matthias Schöneburg: Am Montag war bekannt geworden, dass sich Marco Sch., ein 27-jähriger Schweizer, bereits am 27. Mai beim damaligen Verteidiger von Björn L. gemeldet hatte. Er gab an, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Der Verteidiger informierte am 31. Mai die Staatsanwaltschaft. Doch die hat den in Potsdam geborenen Schweizer bis heute nicht vernommen. Der meldete sich nun auch beim Verteidiger Schöneburg, der Björn L. seit kurzem vertritt. „Er sagte, mein Mandant habe nichts mit der Tat zu tun und er könne es nicht ertragen, dass ein Unschuldiger für ihn im Gefängnis sitze“, erzählt Schöneburg. Der erfahrene Strafverteidiger hat seine beim Oberlandesgericht (OLG) eingereichte Haftbeschwerde gestern noch um einen Punkt ergänzt: Weil die Staatsanwaltschaft den Schweizer bislang nicht vernommen hat, habe sie gegen das bei Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot verstoßen. Allein deshalb müsse sein Mandant entlassen werden. Heute will das OLG entscheiden.

Der 29-jährige Björn L. wurde unter anderem durch eine Stimmenanalyse belastet: Als der 37-jährige Familienvater Ermyas M. in der Tatnacht angegriffen wurde, hatte er versucht, seine Frau anzurufen. Diese ging nicht ans Telefon, ihre Mobilbox aber nahm den Wortwechsel zwischen dem Opfer und zwei Männern auf. Es fand offenbar zunächst eine verbale Auseinandersetzung statt, bei der Ermyas M., der angetrunken war, das Wort „Schweinesau“ gebrauchte, die beiden mutmaßlichen Angreifer hingegen Worte wie „Oller Nigger“ und „Scheißnigger“. Die Ermittler gehen nach wie vor davon aus, dass eine der Stimmen Björn L. zuzurechnen ist, den seine Freunde „Piepsi“ nennen, und der – wie auch der zweite Verdächtige – die Tat bestreitet. Der 27-jährige Schweizer hatte dem Anwalt gesagt, auf der Mobilbox sei seine Stimme zu hören gewesen. Er gab auch an, der rechten Szene in der Schweiz anzugehören. Außer ihm seien noch eine Frau und zwei Freunde an der Tat beteiligt gewesen.

Am 31. Mai informierte der damalige Verteidiger von Björn L. die Potsdamer Staatsanwaltschaft über den Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit er nicht einschätzen konnte. „Wir haben das natürlich ernst genommen“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Benedikt Welfens. „Wir prüften, ob die Personalien und die Adresse stimmen – sie stimmten. Dann haben wir bei der Schweizer Polizei nachgefragt, ob der Mann der rechten Szene angehört – das wurde verneint. Über die Frau und die Freunde hatten wir keine nähere Informationen. Der damalige Verteidiger half uns nicht weiter. Wir haben bei ihm mehrfach nachgefragt, er hat nicht reagiert.“

Matthias Schöneburg findet das absurd: „Nicht der Verteidiger, sondern die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Zeugen zu vernehmen und Hinweisen nachzugehen.“ Erst am 13. Juli stellte die Staatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen an die Schweizer Behörden. „Nächste Woche wird Marco Sch. vernommen“, sagt Staatsanwaltschafts-Sprecher Welfens, der alle Vorwürfe entschieden zurückweist. Da es bislang keine Zweifel an der Tatbeteiligung der beiden Verdächtigen gebe, dafür aber sehr wohl Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Schweizers, habe man die Ermittlungen durchaus in einem „angemessenen Zeitrahmen“ geführt. Die Behörden in Luzern waren gestern wegen des Nationalfeiertags in der Schweiz für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

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