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Brandenburg: Flughafen Schönefeld: Ein großes Fragezeichen

Überwiegend Freude und Genugtuung hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in den klagenden Nachbargemeinden von Schönefeld ausgelöst. Aber auch skeptische Stimmen sind zu hören.

Überwiegend Freude und Genugtuung hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in den klagenden Nachbargemeinden von Schönefeld ausgelöst. Aber auch skeptische Stimmen sind zu hören. Das Gericht hatte am Freitag die landesplanerischen Grundlagen der Ausbauplanung für nichtig erklärt, bei der Auswahl Schönefelds seien sie unzureichend beteiligt gewesen. So steht hinter dem Ausbau Schönefelds ein großes Fragezeichen. "Das ist ein Sieg des Rechtsstaates über die Arroganz der Macht", sagte der Bürgermeister von Schulzendorf, Herbert Burmeister (PDS). Er hat sich beim bisherigen Anhörungsverfahren als strikter Gegner aller Planungen für einen Großflughafen erwiesen. Er sieht seine 6800 Einwohner zählende Gemeinde schon als künftigen Standort für eine Privat-Universität mit 3500 Studenten.

Weniger euphorisch äußerte sich die Bürgermeisterin von Waltersdorf, Renate Pillart. Erst sollte die Reaktion des Landes abgewartet werden, um von einem Sieg zu sprechen zu können.

In den Dörfern rund um Schönefeld war die Gerichtsentscheidung auch gestern bevorzugtes Gesprächsthema. Während sich Mitglieder des Bürgervereins Berlin-Brandenburg gegenseitig auf die Schulter klopften und schon ihre nächsten Strategien überlegten, herrschte vor allem in Diepensee Ratlosigkeit. Die rund 300 Einwohner haben sich trotz aller Widerstände auf die baldige Umsiedlung eingerichtet. Ihr Dorf sollte einer Startbahn des Großflughafens weichen. Als Ersatz war eine neue Siedlung am Rande von Königs Wusterhausen vorgesehen. Die Stimmung schwankte zwischen Konfusion und Erleichterung. "Zehn Jahre Kampf haben ein erstes Ergebnis gebracht", meinte freudestrahlend eine Diepenseerin nach dem Urteilsspruch. Dagegen warnte ein anderer Einwohner: "Der Richterspruch gleicht dem zum Truppenübungsplatz Wittstocker Heide. Auch da wurden Planungsmängel aufgedeckt". Aber noch heute stritten sich Übungsplatzgegner und die Bundeswehr über die Urteilsauslegung. Das könne auch bei der Problematik Schönefeld eintreten, meinte er.

Dass im Gemeinschaftsbungalow von Diepensee und auf der großen Rasenfläche davor gestern Mittag gefeiert wurde, lag nicht an der Gerichtsentscheidung, sondern am 70. Geburtstag einer Rentnerin. Sie wohnt in einem der dreistöckigen Plattenbauten an der Karl-Marx-Straße, in die seit Jahren nur noch das Notwendigste investiert wird. Sie freute sich beispielsweise auf den Umzug ins neun Kilometer entfernte Deutsch Wusterhausen, der für den September nächsten Jahres geplant ist. Dort wird eine schmucke Neubauwohnung bereitstehen. "Wir kommen doch so oder so weg, lieber heute als morgen,", sagte Plattenbaubewohner Heinrich Bruns, "Deshalb ist die Stimmung gut." Es gäbe Entschädigungen, und wer ein Haus hat, bekomme ein neues. "Bis Juni 2003 ist alles erledigt, alles schon unterschrieben." Es gebe kein Zurück mehr. Bruns, der viele Jahre bei der Interflug arbeitete, fährt im "Bürgerbus" Rentner zum Einkaufen ins nahe Waltersdorf, eine normale Busverbindung gibt es nicht. Der Ort wirkt nahezu aufgeben, allein schon die viele grauen Häuser und schadhaften Dächer zeugen davon. "Hier ist alles tot", sagte Volkmar Walter, der seine Schwiegermutter regelmäßig in Diepensee besucht. "Die Geschäfte sind seit langem zu, selbst die Kneipe am Friedhof ist dicht." Die Häuser gelten als unverkäuflich, 30 Mark soll der Quadratmeter kosten, in der näheren Umgebung aber schon rund 400 Mark.

Im Dorf wird von der Faustregel gesprochen: Wer im Plattenbau wohnt, will weg, egal, wie die Entscheidung zum Schönefeld-Ausbau auch ausfallen mag. Wer aber ein eigenes Haus hat, will bleiben. Erna Schmiedchen zum Beispiel, vor 82 Jahren in Schlesien geboren, viermal umgezogen, bis sie 1949 mit ihrem Mann in Diepensee Wurzeln fasste. Ihr Haus gehört zu den wenigen hellen im Dorf, hinterm Gartenzaun beginnt direkt das Flughafengelände mit flachen, leerstehenden Plattenbauten, in denen einst das Wachpersonal wohnte. "Die Straße hier ist nur deshalb so schön, weil der Honecker hier immer vorbeikam", Nicht weit vom Zaun entfernt seien drei seiner Dienstmaschine abgestellt gewesen.

Das Haus wirkt mit seinem üppigen Garten wie ein paradiesischer Vorposten auf dem öden Flughafengelände. Den Lärm der Flugzeuge überhört die Bewohnerin seit Jahrzehnten, in Deutsch Wusterhausen hätte sie ihn vermisst. "Wir haben genug erlebt. Ich freue mich über das Gericht", sagte sie, "die Arbeit im Garten macht jetzt noch mehr Freude".

Auch die Leute im Gemeinschaftsbungalow freuten sich gestern über die Aussicht, vielleicht doch nicht alles aufgeben zu müssen. Andererseits sind die Weichen Richtung Umzug gestellt, "selbst wenn sich alles verzögert". Der neue Ort wird Königs Wusterhausen, Orsteil Diepensee heißen, als Deutsch Wusterhausen ist er in aller Munde.

Rentnerin Viktoria Scharfenort ließ die Diskussion gestern kalt. Sie war wieder einmal um vier Uhr vom Lärm der Triebwerke geweckt worden, und fast zwölf Stunden später schreckte sie die Budapest-Maschine aus dem Mittagsschläfchen. Sie schaute aus ihrem Wohnungsfenster und rief einem Nachbarn zu, dass es bald ein Ende habe. Schon im nächsten September. Dann werde sie in eine Seniorenanlage umziehen. In Deutsch Wusterhausen.

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