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Letzte Weihnachtseinkäufe? Viele Supermärkte sind bis 24 Uhr geöffnet.

© Roland Weihrauch/dpa

Eine Supermarktkassiererin erzählt: "Persönlich finde ich Einkaufen schrecklich"

Sie vermisst den Bolle ihrer Kindheit. Kassiererin Bianka Schuster über Flirts, Bon-Rollen und einen Wunsch zum Fest.

Von Julia Prosinger

Frau Schuster, Sie arbeiten seit drei Jahrzehnten an der Kasse. Derzeit sind Sie bei Real in den Spandauer Arcaden angestellt. Montag ist Weihnachten, woran erkennen Sie das?

Es kommen Leute angewetzt für Ersatz-Glühlämpchen an der Lichterkette. Und verbreiten einen Stress, der alle ansteckt. Außerdem verkaufen wir mehr Rouladen und Kartoffelsalat als sonst.

Fertigkartoffelsalat?

Ich merke schon eine Tendenz zu Fertigprodukten in den vergangenen Jahren. Ich sage dann manchmal: Oh, welch’ Abwechslung, heute die Steinofen-Pizza mit Champignons! Merkwürdig finde ich nur, wenn die Kunden kurz vor Heiligabend noch Toilettenpapier oder Waschpulver kaufen. Dafür war doch nun wirklich genug Zeit.

Spüren Sie das Monatsende auf dem Band?

 Ja und die Höhepunkte, wenn die Konten gefüllt werden. Dazwischen viel rotes Geld. Die Armut ist mehr geworden, das merke ich auch daran, dass die Leute den Kassenbon genau kontrollieren. Und an den vielen Flaschensammlern vom Olympiastadion.

Alle kramen die letzten Cents zusammen.

Früher hatte man als Kassiererin ja noch den Trick zum Feierabend das Kleingeld rauszugeben, damit man es gleich nicht zählen muss. Heute werden die Kassen gewogen. Wenn es länger dauert, können wir stempeln und Überstunden ausbezahlt bekommen oder abbummeln. Früher kosteten uns Kunden, die kurz vor Ladenschluss reingestolpert sind, unsere Freizeit.

Kaufen Sie bei sich selbst ein?

Ich bevorzuge kleinere Läden. Bei uns bleibe ich an den CDs hängen, an den DVDs, da vergeht eine Stunde, bis man durch ist. Aber ich bin generell nicht so der Shopper. Wenn ich weiß, ich brauche eine Hose, besorge ich eine Hose. Persönlich finde ich Einkaufen schrecklich.

Woran erkennen Sie eine erfahrene Kassiererin?

Am Selbstbewusstsein. Ich bilde mir ein, schnell an der Körperhaltung zu sehen: Die ist flink und weiß, was sie macht. Manchmal haben wir Studenten, die können eine Grapefruit nicht von einer Orange unterscheiden.

Bei so viel Kontakt mit Kunden und Geld, was macht Ihr Immunsystem?

 Viele junge Kollegen haben dieses Desinfizier-Zeug neben der Kasse stehen. Vielleicht eine Generationensache. Ich denke immer: Dann ists zu steril und man ist noch anfälliger. Wer im Kindergarten Sand gegessen hat, ist auch nicht gestorben. 

Was schmerzt mehr nach der Schicht: Die Schultern oder die Ohren vom Piepen des Scanners?

Ich hör’ das nicht mehr. Drum mache ich es besonders laut, dann weiß ich, jetzt hab ich den Artikel. Aber ich freue mich abends auf die Stille. Zu Hause bin ich total ruhig. Der Rücken tut schon weh, ein Karton voller Milch wiegt einiges. Viele haben einen Burn-out. Die Arbeitsanweisungen werden immer mehr, der Personalmangel auch.

Haben Sie ein Mittel gegen den Stress?

Ein kleines Trampolin im Schlafzimmer. Darauf laufe ich mit Blick in den Spiegel. Und träume. Außerdem habe ich eine Enkeltochter, die ist mein Ausgleich. Ich selbst war ja sogar alleinerziehend. Während ich in den 80ern die Kunden abkassierte, musste ich nachdenken. Wann hole ich das Kind vom Hort ab, hat sie alle Schularbeiten gemacht, was koche ich heute? Manchmal war das ganz praktisch. Ich ließ mich inspirieren von dem, was vor mir übers Band entgegen kam. Rosenkohl - ach, ja, da wird mir die Entscheidung abgenommen. Einkaufen konnte ich in meiner Pause. Aber ich musste mich sehr gut organisieren, man kann ja nicht mal kurz weg. Ich hatte großes Glück, dass man mir damals erlaubt hat nur vormittags zu arbeiten, in einer 30-Stunden-Woche. Dafür eben auch sechs Tage! Das ist heutzutage kaum möglich, die meisten Arbeitgeber verlangen maximale Flexibilität.

Und auf Partys zeigen Sie Ihre Kopfrechen-Tricks?

Ich konnte immer gut rechnen. Aber wichtiger ist das Schätzen. Bei uns wiegen die Kunden noch selbst. Über die Jahre habe ich ein gutes Gefühl entwickelt: Ein ordentlicher Apfel hat ungefähr 200 Gramm. Wenn dann einer mit dreien kommt – das können nicht 100 Gramm sein.

Man weckt Sie nachts und fragt: Blumenkohl?

Dann sage ich: Nummer 25. Radieschen hat die 22, falls Sie das auch wissen wollen.

Was passiert, wenn nach der Schicht zu wenig Geld in der Kasse ist?

Meist findet sich der Fehler. Jeder hat mal fünf oder zehn Euro, die unerklärlich bleiben. Mein Lehr-Chef sagte: Besser zu wenig als zu viel in der Kasse. Sonst hat man den Kunden betrogen.

„Früher hatte ich mehr Stammkunden“

Bianka Schuster arbeitet seit 30 Jahren an der Kasse.
Bianka Schuster arbeitet seit 30 Jahren an der Kasse.

© Mike Wolff

Bert Daiberl, der Erfinder des Scanners, hat die Kasse mal die Stresszone genannt. Hat er Recht?

Klar, wir stehen unter Druck. Unterschiedlichste Kunden, auf jeden soll man anders eingehen. Bei 500 klappt’s, bei einem nicht: „Sie sind mir zu schnell.“ Dem nächsten bin ich nicht schnell genug. Und einer fängt mit mir wegen der Payback-Karte eine Diskussion über Datenschutz an.

Auch die Bänder wurden im Laufe der Jahre kürzer und enger, die Einpacktische abgesägt.

Wenn ich privat einkaufe, wende ich einen Trick an: Ich lege Waren, die gewogen werden müssen, an den Schluss. Dann kann ich derweil schon mal das Geld raussuchen oder einpacken.

Erzählen Sie uns vom Supermarkt Ihrer Kindheit.

Ich bin eine Schöneberger Göre, in der Kolonnenstraße gab es einen kleinen Bolle. Wir kannten die Kassiererin, man wusste, heute kommt die Tochter der einen zu Besuch, da kauft sie immer diese Marzipanschokolade. Und mit meinem Bruder habe ich Kaufladen gespielt: Ich saß an der Kasse, er musste einkaufen. Er war sechs Jahre älter, hatte natürlich null Interesse. Ich sagte, du kannst doch nicht das Brot nehmen, ohne zu bezahlen … Da habe ich wohl unwissentlich geübt.

Wie reagieren Sie heute, wenn einer was klaut?

Ich schaue auffällig, werde laut, „Na, was ist denn hier los?“, gebe ihm die Gelegenheit, es zurückzulegen. Hilft das nicht, rufe ich den Detektiv. Wir sollen uns keiner Gefahr aussetzen. Eigensicherung. Ich glaube, ich würde trotzdem dazwischengehen.

Wenn jemand Real beklaut, beklaut er auch Sie?

Es geht ums Prinzip. Bei Bolle musste ich häufiger mal vor Gericht, weil ich Diebe erkannt habe, die mit der Flasche unter der Jacke bei uns raus sind. Ein bisschen mulmig war mir schon, hoffentlich weiß der nicht, wo ich wohne ...

Viele beklagen, dass in den Supermärkten das Zwischenmenschliche abgenommen hat, keine Zeit mehr für Small-Talk bleibt.

Früher hatte ich mehr Stammkunden. Jetzt steht an jeder Ecke ein Supermarkt. Zwei Sätze über den Parkschein zu wechseln, ist schon das Äußerste. Ich vermisse das Beisammensitzen mit den Kollegen nach der Arbeit. Aber manche machen acht Stunden Schicht, andere fünf. Bei manchen glaube ich, sie seien ausgestiegen, dabei liegt es nur an den Öffnungszeiten.

Sollte man die wieder einschränken?

Bis 21 Uhr würde reichen. Ich wohn’ ja um die Ecke, aber einige Kollegen sind erst um halb zwei Uhr morgens in Schönefeld daheim. Früher in der Bäckerei, in der ich gelernt habe, saßen wir mittags beisammen, einer las, einer löste Kreuzworträtsel. Heute bin ich froh, eine halbe Stunde Ruhe zu haben, esse mein Käsebrot, danach ein Naschi.

Funny van Dannen singt: „Alle steh’n zusammen, bei Aldi vorm Regal“. Sie treffen im Supermarkt alle Einkommens- und Bildungsschichten. Sind Sie eine Art Sozialarbeiterin?

Früher haben wir alles besprochen: Krankheiten, Probleme bei der Arbeit, in der Partnerschaft. Ich hatte mal eine alte Dame als Kundin, die mich fragte, Mädel, kennste nicht jemanden, der bei mir putzen kann? Ich antwortete: Ach, das machen wir auch noch. Daraus wurde ein tolles Verhältnis, sie hat mir mehr anvertraut als ihrer Familie. Die Frau wurde fast 100, und ich war Ehrengast auf ihrer Beerdigung. Heute kennen uns die Kunden besser als wir sie. Man kann sich ja fragen, warum ältere Damen lieber um 18 Uhr kommen, zur Stoßzeit der Berufstätigen. Na, weil sie einsam sind und am Leben teilhaben wollen.

Und die fangen jetzt an mit Ihnen zu plaudern?

Ich versuche zu vermitteln: Ich habe alle Zeit, die ich habe, nur dir gewidmet. Aber jetzt muss ich mich mal um die anderen 20 Kunden kümmern, komm gut nach Hause, ich drücke dir die Daumen. Oder so.

Erhalten Sie in diesen Zeiten Geschenke?

Kleine Präsentchen, darf ich aber nicht annehmen. Genau wie Trinkgeld. Das ist schade, weil man auch dem Kunden die Freude nimmt, muss man denen oft mit Engelszungen erklären. Als ich Verkäuferin in einer Bäckerei lernte, gabs schon mal einen Schokonikolaus. Eigentlich wollte ich Masseur werden, medizinische Bademeisterin. Ich habe geturnt, da dachte ich, das passt. Doch dann hat mir das Verkaufen so viel Spaß gemacht. Ich hatte schon immer ein bisschen den Schalk im Nacken. Das kam gut an, an der Kasse. Am PC sitzen ist nicht meins. Außerdem wäre ich abhängig gewesen, von meinen Eltern. Und es wurden nur wenige übernommen, das war mir zu waghalsig.  

Wie sind Sie dann zum Supermarkt gekommen?

In der Bäckerei war ich „ Gewerbegehilfin im Bäckerhandwerk“ - das war Innung, die haben nicht Tarif gezahlt. Über diese kleinen Back-Shops in den Supermärkten bin ich dann reingerutscht in den Einzelhandel. Ein Sprung für mich ins Enorme. Später hat mein Chef bei Bolle oft gesagt: Mach doch mal Filialleiterin … aber die wurden als erstes gekündigt, wenn mal was war. Ich bin tendenziell immer fürs Sichere.

Haben Sie Sorge, dass Ihnen die Selbstbedienungskassen und personallosen Supermärkte der Zukunft irgendwann Ihren Job wegnehmen?

Ja. Oder online. Ohne Bestellen im Internet geht ja gar nichts mehr, zumindest in der Generation meiner Tochter. Die macht das abends im Bett mit dem Handy. Ist das Zeitalter. Genau wie mit dem Vegetarismus. Meine Oma hätte gesagt, alles Humbug, iss, was auf den Tisch kommt.

Man könnte auch einwenden: Freuen Sie sich doch, dann wird Ihre Aufgabe weniger monoton.

Nein, das mag ich mir nicht vorstellen. Eine Kassiererin ist für vier Kassen verantwortlich, rennt dauernd hin und her. Die Kunden muss man ja anlernen. Und dann machen die ständig Fehler.

„Jeder sortiert seine Kasse anders“

An der Kasse ist Konzentration gefragt, sonst kommt es zu Wartezeiten.
An der Kasse ist Konzentration gefragt, sonst kommt es zu Wartezeiten.

© imago/photothek

Haben Sie wie ein Fußballer eine Lieblingsposition, eine Kasse, an der Sie gern sitzen?

Auf jeden Fall! Die sieben – die zweite Kasse vom Eingang aus betrachtet. Da seh ich viel, und man sieht mich gut. Dort ist auch kein Zigarettenständer, eine Arbeitserleichterung. Es gibt Kollegen, die wiederum gern an versteckte Kassen gehen, die Raucher, die stehen dann öfter mal auf.

Sie hingegen packt der Ehrgeiz, wenn Sie eine lange Schlange sehen.

Absolut. Ich schaue, was bei den Kollegen für Kunden warten, und male mir aus, wer zuerst das Rennen macht.

Ihre Rituale für den Schichtbeginn?

Jeder sortiert seine Kasse anders. Ich arbeite von links nach rechts, links die Ein-Cent-Stücke, in der oberen Ablage die Ein- und Zwei-Euro-Münzen. Es gibt Kollegen, die machen absichtlich alles durcheinander, damit sie mehr aufpassen.

Um die eigene Konzentration herauszufordern?

Genau. Denn wir haben ja auch Coupons, Pfand- Bons, Jobcenter- und Restaurant-Gutscheine, das muss alles seinen Platz haben. Wir Alten schimpfen häufig mit den Jungen. Mensch, wie sieht denn deine Kasse aus, der Mülleimer quillt schon über. Persönliches darf nicht rumstehen. Wir wechseln ja häufig, eine geht zur Pause, die nächste muss ran. Jeder schließt seine Kasse ab, damit es zu keiner Verwechslung kommt. Und das Handy liegt natürlich ausgeschaltet im Schließfach. Die Aufmerksamkeit muss beim Kunden sein, sonst kommt es zu Wartezeiten.

Und wenn mal keine da sind ...

... räumen wir die Körbe an den Eingang, wechseln die Bon-Rolle, bestellen Münzen nach. Das ist auch das schöne an der Kartenzahlung, wenn das System mal länger braucht, hat man Zeit für sowas. Oder ich kann Münzen nachbestellen, wir haben einen Block, tragen es ein und schicken es unter unseren Kassen in die Rohrpost. Den Gegenwert in Scheinen lege ich gleich dazu. Bei Bolle musste man für sowas noch durch den ganzen Laden zum Schichtleiter laufen. 

Haben Kassierer so was wie einen Berufsstolz?

Ich für meinen Teil halte Ungerechtigkeit nicht aus. Wenn in unseren Supermarkt eine ältere Omi kommt und braucht länger mit ihrem Kleingeld oder dem Einpacken. Hinter ihr schimpfen die Kunden. Natürlich mische ich mich da ein.

Werden Sie laut?

Nein – immer so höflich, dass ich keine Kündigung kriege. Manchmal sind da natürlich welche, die pöbeln. Da sage ich: Komm, zähl bis drei, dann bist du schon dran. Anschließend bedanke ich mich für die Geduld.

Im Real-Markt gibt es Karten, da kann man einzelne Mitarbeiter loben. Ihre schönste Zuschrift?

Das ist mir unangenehm, es ist doch normal, dass ich die Kunden bediene. Gestern sagte eine ganz überrascht: Sie sind aber nett. Ich antwortete: Die anderen auch. Schön ist, wenn jemand sagt: Lassen Sie sich Zeit, trinken Sie in Ruhe. Anders als früher bei Bolle dürfen wir das nämlich, weil in den Arcaden die Luft schlecht ist.

Bekommen Sie denn keine Liebesbriefe?

Dafür bin ich zu resolut. Eine Kollegin hat mal Avancen von alten Herren bekommen, ich riet ihr, das musst du unterbinden. Ich sage maximal zu einem Mann, der eine Waschmaschine kauft: Wollen Sie die alte loswerden? Das ist mein Flirt.

Ein Weihnachtswunsch an Ihre Kunden?

Sie meinen: Auf Arbeit mir die Arbeit zu erleichtern? Ich finde gut, wenn sie vorbereitet sind, die Paybackkarte gleich zücken und nicht telefonieren, während ich sie bediene.

Das ist respektlos?

Zumindest unangenehm. Wir sind ja angehalten, den Kunden zu begrüßen. Haben Sie einen Parkschein, einen Pfand-Bon, wie war der Einkauf? Und dann traut man sich natürlich nicht, den Kunden zu stören. Das gleiche gilt, wenn er Kopfhörer trägt. Es sind doch nur zwei Minuten, kann man nicht mal kurz die Musik abstellen?

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