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Gefangen. Manche Transmenschen wünschen sich nach der Geschlechtsangleichung ihren alten Körper zurück.

© Illustration: Irvandy Syafruddin

Nach der Geschlechtsangleichung: "Es hat alles nur schlimmer gemacht"

Ein Leben lang fragt er sich, ob er als Frau glücklicher wäre. Dann wagt Joachim die Operation. Doch danach ist gar nichts einfacher.

Joachim führte Buch über das, was er für seine Erlösung hielt. Mit dem Computer hatte er eine Tabelle gemalt, darin schwarze Lettern auf weißem Grund. Den wichtigsten Termin hatte er rot markiert, die Buchstaben vergrößert.

17. Juli 2014: „Operation“.

An jenem Sommertag wurde Joachim in einer Uniklinik der Penis abgenommen. An seiner Stelle formten die Ärzte eine Neovagina. Joachims Körper wurde zu dem einer Frau.

Der Eingriff sollte Joachims Leben verbessern. „Aber es hat alles nur schlimmer gemacht“, sagt er.

Wenn Joachim die Tür zu seiner Erdgeschosswohnung öffnet, hält man ihn für einen Mann. Er trägt seine Haare kurz, hat ein kantiges Gesicht und spricht mit tiefer, fester Stimme. Nur die Slipeinlagen in seinem Badezimmer verraten, dass die Person, die hier lebt, körperlich eine Frau ist.

Eine Geschlechtsangleichung ist endgültig

Dabei würde Joachim es am liebsten vergessen. Er hat die Frauenkleider weggeworfen, die Kosmetik entsorgt. Sogar Bilder, die ihn als Frau zeigen, hat Joachim gelöscht oder zerrissen. „Vernichtet“, sagt er. „Weil ich das nicht bin.“

Jahrelang hat er dafür gekämpft, eine Frau zu werden. Nun, da er eine ist, will er lieber wieder ein Mann sein.

Joachim ist einer von schätzungsweise mehreren Tausend sogenannter Transmenschen, die sich in Deutschland seit 1980 einer Geschlechtsangleichung unterzogen haben. Sie wurden im falschen Körper geboren und ließen ihn deshalb anpassen: von Mann zu Frau, von Frau zu Mann.

Für die allermeisten bedeutet die Operation eine Befreiung: Endlich können sie sein, wonach sie sich schon immer fühlten. Doch ein kleiner Teil hadert mit den Folgen. Manche würden den Eingriff am liebsten ungeschehen machen. Aber das geht nicht: Eine Geschlechtsangleichung ist endgültig.

Joachim ist einsam geworden

In Belgien erhielt ein transsexueller Mann 2013 Sterbehilfe, weil er nach der Operation „unerträgliche psychische Schmerzen“ litt. Die Veränderung hatte ihn noch unglücklicher gemacht.

Die Schweizer Trans-Ikone Coco erkrankte nach dem Eingriff an Osteoporose, mutmaßlich als Folge der Geschlechtsangleichung. Auf die Frage, ob sie sich wieder für eine Operation entscheiden würde, antwortete Coco: „Nein, eher bringe ich mich um.“ Sie nahm sich 1998 das Leben.

Die Operationsmethoden haben sich seitdem weiterentwickelt, die Betreuung reicht von Logopädie bis zur Begleitung durch Hormonspezialisten. Das alles konnte nicht verhindern, dass Joachim den Eingriff heute bereut.

Er lebt in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Holzmöbeln und Kuscheltieren, die fast so alt sind wie er selbst. An der Wand hängen Regale voller Krimis, vor der Tür brummt ein Rasenmäher, ansonsten ist es still. Joachim bekommt selten Besuch.

Er ist einsam geworden, vorsichtig. Es fällt ihm schwer, anderen zu vertrauen – erst recht den Medien, die, so findet Joachim, zu positiv über den Eingriff berichten. Nur nach vielen Vorgesprächen hat er sich bereiterklärt, seine Geschichte zu erzählen. Bedingung: Er darf nicht erkennbar sein. Deshalb sind sein Name und alle persönlichen Details verfremdet.

Mit 20 schluckt er die Antibabypille

Joachim wohnt in einer Kleinstadt, so austauschbar, dass sie überall in Deutschland liegen könnte. Helle Neubauten säumen breite Gehwege, ringsum erstrecken sich Felder, auf denen im Frühjahr gelber Raps blüht. Es ist ein Leben in geordneter Gewöhnlichkeit.

In diesem Durchschnitts-Deutschland wächst Joachim in den 50er Jahren auf. Er hat zwei ältere Brüder, Joachims Mutter hatte sich nun eigentlich ein Mädchen gewünscht. Tatsächlich hat Joachim schon früh das Gefühl, dass in seinem jungenhaften Körper manchmal eine Frau steckt.

Als Kind probiert er heimlich die BHs seiner Mutter an, wird in der Schule gehänselt, weil er angeblich „geht wie ein Mädchen“. Mit Anfang 20 überredet er Freundinnen, ihm die Antibabypille zu besorgen: Er hofft, dass ihm durch die Hormone ein kleiner Busen wächst. Bald füllt Joachim ein A-Körbchen. Während des Wehrdienstes versteckt er unter seiner Uniform deshalb einen Büstenhalter.

Joachim versteht selbst nicht, was mit ihm passiert. Manchmal schaut er in den Spiegel und ist sicher, darin eine Frau zu sehen. An anderen Tagen blickt ihm ein Mann entgegen. Joachims Selbstwahrnehmung gleicht einem Wackelbild, dessen Motiv sich ändert, wenn man es neigt.

Er macht zwei Ausbildungen, erst in einem technischen, dann in einem kaufmännischen Beruf. Er hat Ärger mit seinen Chefs und wechselt häufig die Jobs. Dabei sehnt Joachim sich nach Halt und Harmonie. So gerät er an Frauen, die ihn dominieren und ausnutzen: Sie bedienen sich an seinen Konten und betrügen ihn.

Der Eingriff zaubert kein neues Leben

Gefangen. Manche Transmenschen wünschen sich nach der Geschlechtsangleichung ihren alten Körper zurück.
Gefangen. Manche Transmenschen wünschen sich nach der Geschlechtsangleichung ihren alten Körper zurück.

© Illustration: Irvandy Syafruddin

Joachims weibliche Seite kommt immer dann hervor, wenn seine Beziehung besonders unglücklich ist oder sein Chef besonders unfair. Nach jedem Streit mit seiner Partnerin wirft ihm der Spiegel ein Frauenbild zurück. Dann nimmt Joachim wieder die Antibabypille und trägt im Haus lange, wallende Nachthemden. Joachims Partnerinnen können damit nicht umgehen. Drei Ehen gehen in die Brüche.

Heute sagt Joachim, das Frausein sei eine Flucht gewesen: Wenn er Kleider trägt, ist er in einer anderen Welt. Die Probleme, die er als Mann hat, treten in den Hintergrund. Sobald sich sein Leben beruhigt, kehrt auch der Mann in ihm zurück. Doch Joachims weibliche Seite verschwindet nie völlig.

50 Jahre lang lebt er mit diesem Bild von sich, das ständig auf der Kippe steht. Mal trägt er Hemden und Jeans, dann wieder Frauenkleider. Manchmal rasiert er sich die Haare auf den Unterarmen und spricht mit hoher, weicher Stimme. Anderntags ist er überzeugt, ein Mann zu sein – und nur das. Kosmetik und Kleider landen auf dem Speicher.

Immer wieder sucht Joachim Hilfe bei Therapeuten – die noch mehr Schaden anrichten. Einer spritzt Joachim beim ersten Termin Östrogen. Joachims Körperbau wird dadurch weiblicher, sein Bartwuchs weniger. Nach einigen Wochen sehnt er sich nach seiner männlichen Erscheinung zurück. Er setzt das Hormon ab, besucht einen anderen Psychologen. Der hält Transsexualität für eine Erfindung und überredet Joachim, sich seinen kleinen Busen amputieren zu lassen.

Ein bekannter Mediziner rät ihm zur Operation

Joachims Identität bleibt zerrissen, bis er im Herbst 2013 die Sprechstunde eines bekannten Psychiaters und Sexualmediziners besucht. Der sagt ihm: Sie sind eindeutig transsexuell. Der Arzt empfiehlt eine geschlechtsangleichende Operation.

Sein Termin fällt in eine Zeit, als sich die Gesellschaft für Menschen, die von der vermeintlichen Norm abweichen, öffnet. Jahrhundertelang wurden Homosexuelle und Transmenschen stigmatisiert und ausgegrenzt. Nun lautet die Botschaft: Jeder und jede soll leben können, wie es ihn oder sie glücklich macht. Zahlreiche Medien greifen das Thema Transidentität auf und berichten über die geschlechtsangleichende Operation. Studien empfehlen, den Zugang zu erleichtern.

Immer mehr und immer jüngere Menschen spüren, dass sie sich im falschen Körper befinden, und wünschen sich eine Operation, die das ändert. Einerseits dürfen Behörden und Beratungsstellen das Leid der Betroffenen nicht unnötig verlängern. Andererseits ist die Angleichung ein gravierender Eingriff, der sich chirurgisch kaum rückgängig machen lässt. In Deutschland müssen deshalb zwei Gutachter bestätigen, dass der oder die Betroffene dauerhaft im anderen Geschlecht leben will.

Als der Mediziner ihm zur Operation rät, ist Joachim fast 60 Jahre alt. Er lebt von staatlicher Unterstützung und führt die vierte Ehe mit einer Frau, die er über das Internet kennengelernt hat. Auch diese Beziehung ist unglücklich, sagt er. Die Frau gebe sein Geld aus, interessiere sich sonst aber kaum für ihn. Joachim zieht sich immer mehr zurück, flüchtet in seine Weiblichkeit. Die Operation erscheint ihm plötzlich als Chance auf einen Neuanfang, als Chance, „dem Elend zu entrinnen“.

Er erzählt Lügen, um den Eingriff anzuschieben

Den Großteil seines Lebens war Joachim unsicher, ob er wirklich transsexuell ist. Oder vielleicht nur ein Zwischenwesen. Nicht ganz Mann, aber auch nicht genug Frau. Doch nun fühlt er sich ermutigt. Von dem Arzt, den Medien, der Politik. Der Zuspruch, den er von offizieller Seite erfährt, lässt ihn hoffen. Die Operation soll ihm nicht nur zu einem neuen Körper verhelfen, sondern zu einem neuen, besseren Leben.

„Ich war wie im Rausch“, sagt Joachim. „Als hätte man mir Drogen verabreicht.“

Er holt seinen Ordner hervor: 29 Seiten, eingefasst in gelbes Plastik. Darin hat er jeden Arztbesuch notiert, jedes Psychologengespräch protokolliert. So behielt er den Überblick. Welche Dokumente fehlten noch? Wo musste er eine Sprechstunde vereinbaren? Wenn eine Anhörung gut gelaufen war, malte Joachim ein Herzchen hinter den Termin.

Die Mappe ist ein Logbuch der Lügen. Um den Eingriff schnell anzuschieben, erzählt Joachim den Gutachtern, er habe schon immer ausschließlich als Frau leben wollen. Das Motivationsschreiben, das er dem Antrag beilegt, verfasst er zusammen mit Transmenschen, die er im Internet kennenlernt. Joachim erfindet homosexuelle Erfahrungen und gibt an, sein Leben lang Östrogene genommen zu haben. So will er die Behörde dazu bringen, dem Eingriff möglichst bald zuzustimmen. „Es gibt wohl nichts, was ich mir mehr herbeisehne, als meine geschlechtsangleichende Operation“, schreibt er an seine Krankenkasse, die den Schritt bewilligen und finanzieren soll.

Die Sachverständigen irren sich nur selten

„Das meiste war Fantasie“, sagt Joachim heute. „Ich wusste ja, was sie hören wollten.“ Dass Joachim manchmal gerne ein Mann war, dass seine Partnerin nicht in die OP-Pläne eingeweiht ist – all das verschweigt er. Will es selber nicht mehr wahrhaben.

In den Sitzungen mit seinen Therapeuten präsentiert sich Joachim als jemand, der sich seiner Sache sicher ist. Er sehne sich danach, endlich eine Frau zu werden. Die Gutachter glauben ihm, obwohl es Anzeichen gibt, dass Joachim labil ist. Er hat in kurzer Zeit Ehefrauen, Berufe und Wohnorte gewechselt. Doch die Therapeuten deuten Joachims Probleme offenbar als Folge seiner Transidentität. Sie befürworten den Eingriff.

Wenn Joachim heute über diese Zeit spricht, klingt er gleichzeitig wütend und stolz. Die meisten Transmenschen brauchen Jahre, bis die Operation bewilligt wird. Joachim schaffte es in wenigen Monaten. Er täuschte Ärzte und Gutachter so perfekt, dass man ihnen keinen Vorwurf machen kann.

Tatsächlich irren sich die Sachverständigen nur selten. Dem Psychiater Bernd Meyenburg zufolge wollen „deutlich weniger als ein Prozent“ der Transmenschen nach der Operation zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren. Selbst bei Blinddarmeingriffen, sagt Meyenburg, sei die Fehlerquote höher.

Doch der Experte auf dem Gebiet sagt auch: Transmenschen hätten oft zu hohe Erwartungen an die Operation. „Einige glauben: Als Frau wird alles besser. Aber der Eingriff zaubert kein neues Leben.“

Die Rückverwandlung passiert schleichend

Gefangen. Manche Transmenschen wünschen sich nach der Geschlechtsangleichung ihren alten Körper zurück.
Gefangen. Manche Transmenschen wünschen sich nach der Geschlechtsangleichung ihren alten Körper zurück.

© Illustration: Irvandy Syafruddin

Der Psychiater plädiert dafür, Betroffene darauf vorzubereiten, dass ihr Umfeld sich abwenden oder die Partnersuche schwierig werden könnte. In jedem Fall solle man sich mit der Entscheidung Zeit lassen. Dass Joachim den Eingriff binnen zehn Monaten durchboxen konnte, obwohl seine Geschichte voller Widersprüche steckt, schockiert Meyenburg. „Ich hätte das auf keinen Fall befürwortet“, sagt er.

Doch niemand stoppt Joachim. Nur zehn Monate nach seinem Besuch bei dem Sexualmediziner wird er in eine Uniklinik eingewiesen und zur Frau operiert.

Nach dem Eingriff erwacht er in einem hellen Raum. Ein Dilator wird ihm eingesetzt, ein Gerät, das seine Vagina weitet. Joachim verbringt die Tage im Bett, raucht, liest Krimis. Er sollte froh sein, aber er ist es nicht. Er spürt kein Glück, nur Leere.

Seine Euphorie ist verflogen. Aus seinem Rausch wird ein Kater.

Joachim, der sich nun Jasmin nennt, wird in eine Reha-Klinik verlegt, wo sich Transmenschen von dem Eingriff erholen. Die Frauen und Männer in der Klinik genießen es, endlich den Körper zu haben, der zu ihnen passt. Joachim dagegen fühlt sich in seinem fremder denn je. „Da saß ich zwischen Althippies in kurzen Kleidchen und dachte: Hilfe, das bin ich nicht.“

Seine Frau packt die Koffer und geht

Seine Brüste fühlen sich an wie ein Fremdkörper. Wenn er in den Spiegel blickt, weiß er nicht mehr, wen er sehen soll. Das Wackelbild, das mal Frau, mal Mann zeigte, ist nun zur Unkenntlichkeit verschwommen.

Die Ärzte, Gutachter und die Trans-Community, mit der er sich online vernetzt, gratulieren ihm zu seiner Entscheidung. Seine Ehefrau nennt ihn „verrückt“. Nach der Operation packt sie ihre Koffer und geht. Joachim versucht, eine neue Partnerin kennenzulernen. Er meldet sich auf Dating-Plattformen und in Online-Foren an. Vergeblich. „Jede Frau rennt davon, wenn sie sieht, dass da unten nichts mehr ist“, sagt er.

Joachims Freunde rufen nach dem Eingriff nicht mehr zurück. Seine Schwägerin beschimpft ihn: „Wie konntest du das der Familie antun?“ Joachim hofft, wenigstens einen neuen Job zu bekommen. Bei Vorstellungsgesprächen versichert man ihm, Transmenschen würden bei gleicher Qualifikation bevorzugt behandelt. Doch er hört nie wieder von den Firmen.

Auch körperlich geht es ihm nach dem Eingriff schlecht. Wegen eines Harnverschlusses muss er notoperiert werden. Er baut Muskeln ab, kommt schnell aus der Puste. Jeder Spaziergang fällt ihm schwer.

Irgendwann wirft er seine Kleider auf den Müll

Vor dem Eingriff war Joachim innerlich zerrissen. Aber er hatte Freunde und fand immer wieder eine Partnerin, die ihm Sicherheit gab. Nun tuscheln die Menschen auf der Straße, wenn Joachim ihnen entgegenkommt. Er ist zwar eine Frau, aber er ist allein, ausgegrenzt und gebrechlich. Joachim fragt sich: „Was für eine Scheiße hast du da eigentlich gemacht?“

Der Zeitgeist, so sieht es Joachim, hatte ihm suggeriert, dass sich sein Leben als Transfrau verbessern würde. Dass eine Geschlechtsidentität außerhalb der Norm inzwischen akzeptiert sei. Doch Joachims Alltag kann dieses Versprechen nicht halten. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine Lücke.

„Ich erlebte Joachim F. in diesen letzten zwölf Monaten als sehr belastet durch die ungewollte Trennung der Ehefrau und seine Einsamkeit“, schreibt seine Psychologin. „Für mich nachvollziehbar stellt er inzwischen das Konzept Transsexualität ganz infrage.“

Joachims Rückverwandlung passiert schleichend. Irgendwann hört er auf, sich Arme und Beine zu rasieren. Achtet weniger auf seine Figur, kauft Jeans in Größe 42 statt 40. Er zieht seine Absatzschuhe seltener an, schließlich wirft er sie auf den Müll. Dieses Mal will er nichts behalten, nicht einmal seine Kleider. Zum Schluss schneidet er sich die Haare wieder kurz und kehrt zu seiner tiefen Stimmlage zurück. Das Testosteron, das er nimmt, verändert seinen Körperbau. Nun ähnelt er wieder dem Mann, der er vor der Operation war.

„Die Operation hat mir nichts gebracht“

Joachim hat sich zum Rauchen auf den Balkon gesetzt. Er führt eine Strichliste: Gestern waren es 22 Zigaretten, neulich auch mal 15. Es müssen noch weniger werden. Joachim kann sich das Rauchen eigentlich nicht leisten.

Eigentlich kann er sich gar nichts leisten: nicht das Vereinsheim, wo er früher manchmal ein Bier trank. Keine Ausflüge, keinen Kinobesuch. Die Lücke in seinem Lebenslauf und seine Gebrechlichkeit haben die Arbeitssuche noch schwieriger gemacht. In seiner Freizeit liest Joachim die alten Bücher, die in den Regalen stehen, oder schaut Youtube-Videos. Manchmal gönnt er sich eine Packung Schoko-Dominosteine oder Gummibärchen, an Weihnachten backt er Linzer Torte, „zur Feier“.

Joachim sagt, er kenne mehrere Transmenschen, die mit Folgen der Operation kämpften. Einer dieser Bekannten wohnt in einer Kleinstadt in Österreich, die genauso unscheinbar ist wie Joachims Heimatort. Die Möbel in seiner Wohnung sind moderner, aber sein Leben genauso schwierig wie Joachims. Ihre Erfahrungen gleichen sich: Auch dieser Mann wurde nach der Geschlechtsangleichung von seiner Frau verlassen. „Die Operation hat mir nichts gebracht“, resümiert er heute. „Ich habe nur meine Familie verloren.“ Auch er lebt inzwischen wieder als Mann. Ein Trans-Verband schreibt auf Anfrage, man halte Artikel über Menschen, die die Geschlechtsangleichung bereuen, „nicht für sinnvoll“. Evangelikale und konservative Gruppen könnten den Einzelfall zur Regel stilisieren und so „für ihre Zwecke missbrauchen“.

Er will wenigstens seinen Namen wiederhaben

Kein Zweifel: Joachims Schicksal ist die Ausnahme. Und niemand weiß, wie sein Leben ohne den Eingriff verlaufen wäre. Er litt unter seinem männlichen Äußeren und wünschte sich die Operation ausdrücklich. Womöglich würde er den Schritt nicht bereuen, wenn sein Umfeld ihn als Frau angenommen hätte. Es kann sein, dass Joachim unter anderen Umständen glücklich mit seiner Entscheidung wäre.

Die Operation habe Joachim psychisch verändert, schreibt seine Therapeutin in einem neuen Gutachten. Joachim sei mit der Geschlechtsangleichung „der Wunsch abhandengekommen, als Frau zu leben“.

Joachim hat die Psychologin um das Schreiben gebeten. Er will, dass die Behörden ihn künftig wieder als Mann führen. Seinen männlichen Körper bekommt er nicht zurück. Aber er will wenigstens seinen Namen wiederhaben.

Das Gericht gibt Joachims Wunsch statt. Am 31. Juli 2017, drei Jahre nach der geschlechtsangleichenden Operation, wird aus Jasmin offiziell wieder Joachim.

Dieser Termin steht nicht mehr in seinem Kalender. Joachim hat aufgehört, ihn zu führen.

Alexandra Rojkov

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