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Theo Sommer bei einer Diskussion in der Akademie der Wissenschaften in Berlin.

© imago/Raimund Müller

Die Welt von Gestern: Abschied von einem Solitär – zum Tode von Theo Sommer

Er war ein begnadeter Journalist und ein Chefredakteur, wie es heute keinen mehr gibt. Nachruf eines Wegbegleiters.

Die biografischen Einträge besagen: Marion Gräfin Dönhoff, die Grande Dame des deutschen Journalismus, hätte den 28 Jahre alten Theo Sommer von der schwäbischen „Rems-Zeitung“ zur „Zeit“ geholt, wo er sie 1973 als Chefredakteur ablöste und es knapp zwanzig Jahre lang blieb. Die historische Wahrheit ist: Der „Ted“, wie alle ihn nennen, wurde in einem überdimensionierten Weidenkorb vor dem Hamburger Pressehaus abgelegt. Sonst hätte er nicht zum „Mr. Zeit“ heranwachsen können – als Starkommentator, Chefredakteur, Herausgeber, schließlich als „Editor-at- Large“. Er war ein Solitärgewächs, der die Zeit und die „Zeit“ geprägt hat – ein Menschenalter lang.

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Was ist ein „Editor-at-Large“? Das ist im Englischen ein Mensch auf „freiem Fuß“, der keine formale Verantwortung mehr trägt, aber überall im Blatt schreiben kann. Was Theo Sommer denn auch bis zum Schluss getan hat.

Wie er diesen Job selber definierte? Der Mann war nicht nur ein begnadeter Journalist, sondern auch von schnellem Witz. Weiland musste er diesen etwas übergewichtigen Autor, einen seiner Nachfolger an der Spitze der „Zeit“, auf einer internationalen Tagung vorstellen: „I am editor-at -large, this man is a large editor.“

Das Wörtchen „large“ darf man als „groß“ übersetzen, aber auch als „korpulent“. Die Leute haben den Gag genossen; auch der Betroffene musste lachen.

Überragende Karriere - ohne Karrierist zu sein

Eine beliebte Nachruf-Floskel lautet: „Leute wie X werden heute nicht mehr hergestellt.“ Das ist im Fall Sommer die ungekünstelte Wahrheit. Er hat an der University of Chicago studiert, in Tübingen seinen Doktor in Geschichte gemacht. Er hat Helmut Schmidt den Planungsstab im Verteidigungsministerium aufgebaut.

Er war in allen Hauptstädten der Welt zu Hause, parlierte glänzend auf Englisch. Er hat eine überragende Karriere hingelegt, ohne Karrierist zu sein. Wie er es nebenher schaffte, 16 Bücher zu schreiben, ohne eine Schreibmaschine, geschweige denn einen PC zu beherrschen, ist ein Geheimnis, das er mit ins Grab nahm. Dreimal hat er geheiratet, er war der Vater von fünf Kindern.

Das sind bloß dürre Fakten. Er war ein Man in Full wie der Titel eines Romans des US-Schriftstellers Tom Wolfe lautet – ein ganzer Kerl auf deutsch. Er konnte nicht nur glänzend räsonieren, sondern auch trinken – täglich einen Whisky am Nachmittag.

Wenn er in der Redaktionskonferenz auf den Tisch haute, löste er die Spannung mit einer schnellen Pointe auf. Kleinere Gemüter sind nachtragend, Ted war dazu drei Nummern zu groß. Der Autor dieser Zeilen, den er 1976 zur "Zeit" geholt hatte, lieferte sich einst ein telefonisches Brüllduell mit ihm und knallte den Hörer auf. Tags drauf war der gemeinsame Wutausbruch vergessen. War da was?

In den Konferenzen ging es oft hoch her

Deshalb bewunderten, verehrten und liebten ihn seine Leute. In der Konferenz ging es oft hoch her. Es wurde debattiert und disputiert – manchmal auch gegen Seine Majestät. Doch nahm der es gutwillig (oder klugerweise hin) hin. Er behandelte seine Redakteure nicht als Untergebene, sondern als Mitglieder einer verschworenen Gemeinschaft. Von gleich zu gleich lässt es sich streiten, ohne zu hadern oder zu schweigen.

Es half, dass unter dem theodorischen Regime bei jeder Konferenz je zwei Flaschen Courvoisier, Black & White und Sherry auf dem Tisch standen, was das Wohlbefinden nährte. Schnaps ölt das Räderwerk menschlicher Verstrickungen – genauso wie der Zug an der Zigarette damals für Gleichmut sorgte. Beides ist heute absolut tabu, die Wahl besteht lediglich zwischen Sprudel- und stillem Wasser. Entsprechend nüchtern laufen die Konferenzen ab.

Sollte denn niemand Angst haben? Gefürchtet war Teds ministerialgrüner Filzstift, den er Helmut Schmidt abgeguckt haben muss. Mit dem fuhrwerkte er im Manuskript, bis der Text saß. Ich holte mir einst den Entwurf einer Kollegin von ihm, um es an die Setzer weiterzugeben – ein Meer von grün. „Aber Ted, das können Sie doch nicht machen, das ist absolut demoralisierend.“

Er konterte: „Sag ihr, sie kann trotzdem ihren Namen drüber setzen.“ Aber auch diesen Gewaltakt hat er mit seinem flirtiven Charme wieder ausgebügelt.

Hochgebildet und charismatisch

Noch einmal: Solche Chefredakteure werden heute nicht mehr produziert: hochgebildet, charismatisch, wort- und gedankengewaltig. Die Topleute sind eher wie Manager, die sich im Kampf gegen die blitzschnellen sozialen Medien zuvörderst um Umsatz, Reichweite und Anzeigen kümmern müssen. Wenn sie auf Tour gehen, dann nicht um in Bilderberg, Davos oder Henry Kissingers Internationalem Seminar in Harvard zu brillieren. Sie müssen die Zeit nutzen, um die Kundschaft quer durch die Republik zu umschmeicheln.

Man kennt sie auch kaum im Lande selber; zu schnell dreht sich das Karussell an der Spitze. Die Chefs kommen aus den Journalismus-Schulen, schreiben kaum mehr Leitartikel, zitieren auch nicht historische Größen. Teds Lieblinge waren Bismarck, der französische Literat Paul Valéry, der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt. An Bildung klebt heute der Geruch des Elitären. Sommers Leitspruch aber lautete: „Die Leser müssen einmal pro Seite ein Wort nachschlagen.“ Heute werden solche Begriffe mundgerecht übertragen.

Heute steht die Demokratie festgemauert

Tempi passati. Die Generation von Marion Dönhoff, Rudolf Augstein („Spiegel“) und Theo Sommer konnte die Republik prägen, weil es nach Adolf Nazi so viel zu prägen gab – die Köpfe wie den Wiederaufbau. Sie haben die Trasse in eine noch unverwurzelte liberale Demokratie ziehen können. Diese Aufgabe hat Talente und Temperamente aufblühen lassen, die heute nicht mehr lebenswichtig sind, weil die deutsche Demokratie festgemauert in der Erden steht, trotz QAnon und Querdenkern.

Apropos Vergangenheitsbewältigung. Der blutjunge Theo besuchte eine elitäre Adolf-Hitler-Schule; er wollte kurz vor der Kapitulation zu den „Wehrwölfen“ stoßen, zum letzten Aufgebot. Was er als Teenie eigentlich werden wollte, fragte ich ihn. „Am liebsten Gouverneur in Chicago.“ Er wollte also schon als Hitlerjunge hoch hinaus; geschafft hat er es als Demokrat – mit einer Karriere, die mustergültig für die gesamte Republik war.

Wer groß denkt, denkt auch groß daneben

Geirrt hat er sich freilich nicht nur im Zwölfjährigen Reich. Ein Beispiel: Auf einer Deutschland-Konferenz im Oktober 1989 in Harvard, also ein paar Wochen vor dem Kollaps der DDR, verteidigte er die Zweistaatlichkeit, weil er wähnte, die Sowjetunion würde nie die Vereinigung hinnehmen. Die Teilung sei der Preis des Friedens – was seinerzeit zum Kanon der politischen Klasse gehörte.

Wer groß denkt, denkt auch groß daneben. Seine Devise war die des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson: „Die Einförmigkeit der Gedanken ist der Quälgeist der Kleinkarierten.“

Die Götter haben es dem Großkarierten vergeben. Er hat noch so lange gelebt, bis er seine mehrhundertseitigen Memoiren fast zu Ende geschrieben hatte. Am Montag ist er im Alter von 92 an den Folgen eines Sturzes gestorben. Im Olymp wird er weiterschreiben – mit einem grünen Filzstift.

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