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Nur fünf Plätze gibt es in der Berliner Schutzwohnung für queere und trans Personen.

© Sebastian Willnow

Bei Gefahr durch Gewalt und Zwangsheirat: In Berlin gibt es die erste Schutzwohnung für queere Personen

Queere Personen, die bedroht werden, können in einer Berliner Schutzwohnung Zuflucht finden. Doch diese bietet nicht genügend Platz für alle Betroffenen.

Jetzt herrscht Alarmstufe eins, das war den Mitarbeitern des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) sofort klar. Vor ihnen stand, vor wenigen Tagen, eine aufgelöste, queere Person, geflohen vor den massiven Drohungen ihrer Familie.

Innerhalb weniger Stunden zog sie in eine Wohnung am Stadtrand, 155 Quadratmeter groß, vier Zimmer, zwei Balkone, ein Zimmer mit 40 Quadratmetern Fläche. Die Adresse ist geheim, nur sechs Personen, abgesehen von der betroffenen Person natürlich, kennen sie. Vier beim LSVD, zwei beim Kreisverband Spree-Wuhle der Arbeiterwohl (AWO).

Der erste Einzug in die Schutzwohnung für homosexuelle und trans Menschen hatte stattgefunden. Eine Rettungsinsel für alle, die im Namen der Familienehre oder von Zwangsheirat bedroht werden. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es eine solche Schutzwohnung.

Aber die nächsten Einzüge werden schnell folgen. Am Montag stellten LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert, Christian Meyerdierks, der stellvertretende Kreisvorsitzende der AWO Spree-Wuhle und Margit Gottstein, Staatssekretärin für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, die Details zu dem Projekt Schutzwohnung vor.

Die AWO ist Trägerin der Wohnung, die Senats-Justizverwaltung fördert das Projekt in diesem Jahr mit 100.000 Euro, und der LSVD entscheidet, wer in die Wohnung darf.

Maximal fünf Plätze in der Schutzwohnung

Die grundsätzliche Antwort lautet: jede erwachsene, queere Person, die zwangsverheiratet werden soll oder der im Namen der Familienehre massive Gefahr droht. Maßstab ist die Bedrohungslage. Je größer die Gefahr, umso eher folgt der Umzug in die Wohnung.

Personen, bei denen die Situation nicht ganz so dramatisch ist, werden zu passenden Beratungsstellen vermittelt. Doch die Auswahl der Personen kann zur emotionalen Belastung werden, es gibt nur maximal fünf Plätze in der Wohnung.

Wer darf rein, wer muss draußen bleiben? Wenn in kurzer Zeit mehr als fünf Personen mit gleicher Bedrohungslage auftauchen, müssen ein paar abgewiesen werden. Lesbische Frauen können dann in Frauenhäusern unterkommen, aber für schwule Männer fehlen adäquate Anlaufstellen.

Die Schutzsuchenden sollen im Schnitt zwar nicht länger als acht Wochen in der Wohnung leben, bis sie dann eine Alternative gefunden haben. Doch niemand wird vor die Tür gesetzt, wenn er bis dahin keine Alternative hat.

221 Fälle von Zwangsheirat in 2017

Aber die fünf Plätze reichen bei weitem nicht aus. Denn das Problem in der Hauptstadt ist riesengroß. In Berlin sind 2017 insgesamt 221 Fälle von vollzogener Zwangsheirat bekannt geworden. Die Dunkelziffer kommt dazu. In 283 Fällen ist die Zwangsheirat zumindest angedroht worden. Von den insgesamt 504 Fällen sind in mehr als 90 Prozent junge Mädchen und Frauen Opfer.

Zu den Betroffenen gehören aber auch 41 Jungen und Männer. 20 von ihnen sind homosexuell. Es gibt aber Zahlen, die noch erschreckender sind: Elf Prozent der weiblichen Opfer waren 13 bis 15 Jahre alt, bei den männlichen Opfern lagen drei Prozent in diesem Altersschnitt. Bei den Frauen waren 62 Prozent volljährig, bei den Männern 55 Prozent.

In 444 Fällen ist die nationale Herkunft bekannt geworden. Fast die Hälfte dieser Opfer, 48 Prozent, stammen aus arabischen Ländern. In 92 Fällen hatten die Opfer türkische Wurzeln. In 390 Fällen ist die Religion der Opfer bekannt. 84 Prozent der Menschen, die von Zwangsheirat betroffen sind, haben muslimischen Glauben, sechs Prozent sind Jesiden, zwei Prozent Christen und ein Prozent Juden.

Regierung plant Schutzwohnung

Zwei Sozialarbeiter kümmern sich um die Betroffenen, aber sie haben keine Vollzeitstellen, weil dafür im Moment das Geld nicht reiche. Die rot-rot-grüne Regierung hatte eine Schutzwohnung zwar im Koalitionsvertrag verankert, aber zunächst blieb es beim politischen Willen.

[Alle Beratungsstellen sind über die Wohnung informiert, sie können ab sofort Betroffene auf diese Möglichkeit aufmerksam machen und sie zum LSVD schicken. Dort findet das Erstgespräch statt (Kontakt: Tel.: 030/22502215, Mail: zufluchtswohnung@lsvd.de, Montag bis Freitag 10 bis 15 Uhr).]

Die ursprünglich geplante Finanzierung mit Lottomitteln platzte, erst dann wurde Geld im Haushalt bereit gestellt. Die offizielle Zusage, dass die Wohnung auch 2020 finanziert wird, fehlt noch, aber davon kann man ausgehen. Die Person, die in höchster Not als Erste eingezogen ist, hat jetzt jedenfalls erstmal ihre Ruhe gefunden und kann durchatmen.

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