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Blick ins Atelier.

© Thilo Rückeis

Ruthild Hahne: Ernst beiseite

Thälmann und Toskana – beides passte in das Leben der DDR-Bildhauerin Ruthild Hahne. Ein Besuch in ihrer Pankower Werkstatt.

Als Ruthild Hahne in einer Gärtnerei den Pfirsichbaum für ihren Garten auswählte, verlangte sie, die Früchte sollten unwiderstehlich schmecken. Man solle gar nicht mehr aufhören können zu essen. Genau so ist es heute, sagt ihr Sohn und blickt in den prallvoll hängenden Baum, der über 50 Jahre später früchteschwer in der Sonne leuchtet.

Aber schwerer noch als der Baum an seinen Früchten, habe die Mutter an ihrem Schicksal zu tragen gehabt, heißt es: Ruthild Hahne, Bildhauerin, Mitbegründerin der heutigen Kunsthochschule Weißensee, Lieferantin von Büsten von Lenin, Liebknecht, Pieck und Ulbricht, Bewohnerin des Wohn- und Atelierhauses in der Straße 201, Nummer 1, Eckhaus, grauer Madenputz. Die Fenster rufen: „Moderne!“ Das Atelier sagt: „Sozialismus!“ Und die Bildhauerin ersehnte: „Italien!“

Aus der Kombination dieser Wünsche von Architekt, Gesellschaft und Künstlerin entstand ein einzigartiges Haus in der Pankower Erich-Weinert-Siedlung, erbaut für „Die schaffende Intelligenz“. 1953 übersiedelte die Bildhauerin, aus reichem Hause und 43 Jahre alt, von Charlottenburg hierher. Ihr außergewöhnlicher Staatsauftrag lieferte den Grund für ihr riesiges Atelier: Sie sollte ein Monumental-Denkmal von Ernst Thälmann entwerfen, geplant für das Gelände von Hitlers Reichskanzlei. Mit einem Kollektiv arbeitete sie an einer sechs Meter hohen Figur, hinter der sich zwei Menschenzüge vereinen sollten.

Stefan Hahne, Ägyptologe, Sohn ihres Lebensgefährten, in diesem Haus aufgewachsen, lässt sich 60 Jahre nach dem Einzug der Bildhauerin auf ein Sofa fallen. Kühles Nordlicht im Atelier. Arbeiter und Bäuerin im Maßstab 1:2. Rechterhand die Thälmann-Figur, die Faust gereckt. „Man muss sich das Atelier weiß vorstellen.“ Die Luft gefüllt mit weißem Staub, den die Familie dann in die Wohnung trug.

Der monumentale Thälmann-Zug wurde nie errichtet. Aber ein Denkmal ist es doch geworden, wenn auch in anderem Sinn. Der Sohn, heute 67, passt darauf auf, nach allen Regeln des Denkmalschutzes: Das Atelierhaus ist nun ein Museum, in dem Stefan Hahne noch immer wohnt. Als Junge hatte er die ehrenvolle Aufgabe, den Ton regelmäßig zu wässern, damit er feucht und elastisch blieb. Aber während der Jahre, die seine Mutter an diesem Werk arbeitete, gingen die Beteiligten auf diverse Arten zu Boden.

1959 stürzte Ruthild Hahne bei der Arbeit vom Gerüst. Die ehemalige Ausdruckstänzerin und orthopädische Turnlehrerin wusste, dass sie ihren Rücken keinesfalls bewegen durfte. Hätte eine Kollegin ihr nicht sofort ein Brett untergeschoben, „sie wäre gelähmt gewesen“.

In der Monumentalplastik, sagt Hahne, sei eine gewisse Verzerrung des Maßstabs schon angelegt. So gut war Ruthild Hahne ausgebildet, bei Arno Breker, dass sie wusste: Sie würde die natürlichen Proportionen verzerren müssen, damit eine Skulptur dieser Größe noch natürlich wirkte. Die Beine gehörten kürzer, die Körperteile in der Ferne, der Kopf und die Faust, umso größer.

Am 4. Februar 1963 – es gibt ein Foto davon – stürzte Ernst Thälmann selbst mit einem lauten Knall einfach um. Der Balken, auf dem er stand, war wegen der ständigen Feuchtigkeit von Schwamm befallen und porös geworden. „Die Faust hatte Übergewicht“, sagt Hahne. Neigte sich zur Seite, der nasse Ton war nicht mehr zu retten. Die Bildhauerin begann von vorn.

Keinesfalls möchte ihr Sohn den Eindruck erwecken, er wolle hier die DDR ausstellen und ihre Helden gutheißen. Es ist ihm wichtig, dass „Muttern“ nicht primär eine politische, sondern eine gute Bildhauerin war. Erst nach dem Krieg habe sich Hahne auf Politikerbüsten spezialisiert. Man vergeudet ja sein Talent mit den Anforderungen der Zeit. Gießt es in ihre Formen. Manche Formen bleiben. Andere nicht. „Man tut immer so, als sei sie eine Ost-Berliner Künstlerin, die im Auftrag gehandelt habe“, sagt Stefan Hahne. Weil ihre Büsten in Schulen und an öffentlichen Plätzen standen. Er hält das für eine politisch gewollte Ungenauigkeit. „Sie war eine West-Berliner Künstlerin mit westdeutschem Pass, die spät in den Osten gegangen ist.“ Freiwillig. Nachdem sie für ihr Engagement in der Widerstandsgruppe „Die Rote Kapelle“ unter den Nationalsozialisten zu vier Jahren Gefängnis verurteilt war, aus dem sie 1945 zur Roten Armee fliehen konnte.

Doch seit Ruthild Hahne, Fabrikantentochter, geboren 1910, aufgewachsen in einer großbürgerlichen Villa in Schmöckwitz mit Haushälterin, Gärtner und Chauffeur, 1920 in Italien gewesen war, brannte sie auch für den Süden. Italienisch sprach sie fließend, seit sie 1941 ein Jahr in der Villa Massimo in Rom verbracht hat. Von einem eckig vorstehenden Romeo- und-Julia-Balkon vor ihrem Pankower Fenster konnte der Architekt sie gerade noch abbringen, sagt Stefan Hahne.

Im Nordlicht, das durch die Atelierfenster fiel, wuchs nach seinem Sturz erneut Ernst Thälmann heran. Aber hinter der Atelierwand an der Südseite lag die Toskana, da wuchs der Pfirsichbaum. Ernst war hinten, Dolce Vita vorne. Steinerne Sockel für die Pergola. Glyzinie. Oleander. Pfirsich und Wein. Stefan Hahne mähte mit der Sense den Rasen. Für eine Weile schien es möglich, das Beste aus beiden Welten zu haben.

Im Garten steht heute hüfthoch Michelangelos David-Plastik. Plastik im Sinne von: kein Marmor. „Aus China“, sagt Hahne. Er nutzt die Figur, um Besuchern zu zeigen, wie die Zeit und ihre Vorstellung sich in letztgültige Formen gießt.

1965 hatte sich Ruthild Hahnes Denkmal offiziell erledigt. Der Platz war mit dem Mauerbau ins Sperrgebiet gefallen. Auch der Stil schien überholt. Während Stefan Hahne, damals Teenager, in der Schule war, kam noch einmal Walter Ulbricht für eine Porträt-Sitzung im Atelier vorbei. „Muttern wollte ihn noch einmal überreden“, sagt er. Damit das Denkmal doch noch etwas würde. „Aber das Einzige, was real passierte: Er hat sie überredet.“ Nämlich Ulbrichts Büste nach seinen Vorstellungen zu „verbessern“ durch eine geglättete Oberflächenstruktur und eine belebtere Iris.

Als „Trostpflaster“ habe ihr die DDR zwei vierwöchige Reisen nach Syrien und Indien bezahlt, „die sich aber nie mehr in ihrer Arbeit niedergeschlagen haben“. Denn der Thälmann sollte ihre letzte Arbeit und ihr Lebenswerk gewesen sein.

Man darf sich Ruthild Hahne nicht als gebrochene Frau vorstellen. Sie hat dann über 30 Jahre ihrer zweiten Leidenschaft gefrönt, dem Reisen. Das Geld kam aus dem Erbe ihres Vaters, Mieteinnahmen aus Häusern in Dortmund und Düsseldorf. „Als sie 1953 von Charlottenburg nach Pankow gezogen war, hatte sie auch ihren westdeutschen Pass behalten.“

Frankreich und Italien erfuhr sie sich mit dem Auto. Auf Capri war sie vielleicht 25-mal, und ach, die ungezählten Kreuzfahrten, vier Mal hat er sich breitschlagen lassen mitzukommen. Im Atelier entstanden keine Skulpturen mehr, dort parkte sie ihren Citroen.

Während seine Mutter durch die Welt fuhr, wurde Stefan Hahne Ägyptologe, er wurde selbst Vater und zog erst 1993 wieder in Pankow ein, als Ruthild Hahne seine Hilfe brauchte. Oben im ersten Stock lag sie in den letzten Jahren bis 2001 und wurde von Stefan gepflegt. Er kochte und erfüllte ihre ausgefallenen Wünsche. Er briet ihr Auberginen und tauchte Robinienblüten in Eierteig. Kurz vor ihrem Tod hat sie ihn adoptiert.

Am Tag des offenen Denkmals, am 8. September, führt Stefan Hahne durch das Haus seiner Mutter. Auch das gegenüberliegende Max-Lingner-Haus ist geöffnet.

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