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Kälber auf der 85. Internationale Grüne Woche Berlin.

© imago images/snapshot

Update

Kühe im Messestress: Darum sehen Tierschützer die Grüne Woche kritisch

Alle reden über das Tierwohl, doch auf der Grünen Woche ist die Zeit stehen geblieben. Es hagelt Kritik am Umgang mit den ausgestellten Lebewesen.

Anni ist eine imposante Erscheinung, eine Dame von Gewicht. 800 Kilogramm bringt sie auf die Waage, für eine Rasse, die für die Fleischproduktion gezüchtet worden ist, ist das normal.

Nicht normal ist allerdings, wo sich Anni derzeit aufhält. Das riesige Gelbviehrind verbringt seit vergangenem Donnerstag seine Tage und Nächte auf der Grünen Woche.

Bis Sonntag geht das noch so. In der Tierhalle 25 hat die Kuh eine Box, die etwas größer ist als sie selbst. Wenn sich Anni umdrehen will, ist das nicht leicht. Etwa so, wie ein Lkw wendet.

Ein ungewohntes Leben für die Siebenjährige. Normalerweise lebt sie in Vorpommern, auf dem Gut Bad Sülze. Von Mai bis Oktober steht Anni auf den Moorwiesen, im Winter im Stall. Jetzt ist sie mit dem Tiertransporter in die Hauptstadt gekommen. Genauso wie die Kälbchen, die aus Oberfranken nach Berlin gereist sind und sich nun zu viert eine Box teilen. Oder das Wagyu-Rind, das mit ansehen muss, wie Rumpsteaks seiner Artgenossen für 68 Euro das Stück feilgeboten werden.

Kuh Anni auf der Grünen Woche.
Kuh Anni auf der Grünen Woche.

© Heike Jahberg

Während Deutschland über Tierhaltung diskutiert und Aktivisten für mehr Tierwohl auf die Straße gehen, scheint an einem Ort die Zeit stehen geblieben zu sein: bei der Grünen Woche. Auf der weltgrößten Ernährungsmesse stehen Pferde und Rinder wie eh und je in ihren Boxen, um Großstadtkindern zu zeigen, dass Kühe doch nicht lila sind.

Nebenan in der Heimtierhalle, die mit ihren nackten Wänden den Charme einer Großgarage versprüht, hocken Katzen und ihre Züchter in kleinen Verschlägen hinter Maschendraht. Entfernt ähnelt das Ensemble dem Rotlichtviertel Amsterdams, in dem käufliche Liebesdienerinnen hinter Schaufenstern sitzen und Kundschaft anlocken. Neben den Katzen wartet in einem Minizimmer eine Wohngruppe aus fünf Schäferhunden und zwei Menschen auf Hundefreunde. Es herrscht eine Atmosphäre wie auf einem Campingplatz. Bizarr.

Tierschützer sehen die Tierschau kritisch. Das betrifft große wie kleine Tiere. Obwohl die Zuschauer keinen direkten Zugriff hätten, sei es für die Katzen „Stress, tagelang die Besucher und den Lärm um sich herum zu haben und aus der gewohnten Umgebung herausgerissen zu sein“, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Gleiches gelte für Rassekaninchen, die keine Rückzugsmöglichkeiten hätten. Und auch für die Nutztiere sei die Grüne Woche mit „erheblichem Stress verbunden“ – der Tiertransport, die vielen Menschen, der Lärm, die schlechte Luft. Das sieht auch Berlins Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt so. „Das Licht und der Lärm setzen die Tiere auf der Grünen Woche unter Stress“, sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel.

Tierschützer sind alarmiert

„Die Tiere werden aus der gewohnten Umgebung herausgerissen und von der vertrauten Herde beziehungsweise anderen Bezugstieren getrennt“, ärgert sich Ina Müller-Arnke, Nutztierexpertin der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. Müller-Arnke sieht „absolut keine Notwendigkeit, Tiere auf Messen auszustellen. „Vielmehr wollen Aussteller mit den „süßen“ Tieren lediglich Besucher anlocken“, sagte die Tierschützerin auf Tagesspiegel-Anfrage.

Dass die Tiere Publikumsmagneten sind, räumt die Messe Berlin freimütig ein. Messesprecher Wolfgang Rogall findet das gut. „Viele Kinder kommen auf der Grünen Woche zum ersten Mal mit Kühen, Schafen oder anderen Nutztieren in direkten Kontakt“, gibt er zu bedenken. Auch Themen wie Artenschutz und Biodiversität würden den Besuchern hier näher gebracht.

Dass die Tiere im Dauerstress sind, sieht die Messe nicht so. Viele der ausgestellten Tiere würden aus Tierparks oder von Züchtern kommen und seien es daher gewohnt, öffentlich ausgestellt zu werden.

„Die Tiere werden aus der gewohnten Umgebung herausgerissen und von der vertrauten Herde beziehungsweise anderen Bezugstieren getrennt“, bemängeln Tierschützer.
„Die Tiere werden aus der gewohnten Umgebung herausgerissen und von der vertrauten Herde beziehungsweise anderen Bezugstieren getrennt“, bemängeln Tierschützer.

© imago images/snapshot

Die meisten Aussteller, die ihre Tiere auf die Messe bringen, haben einen Grund dafür. Katzenzüchter wollen ihre Rassekätzchen verkaufen, 750 bis 850 Euro werden - je nach Rasse - für den Katzennachwuchs aufgerufen, andere zeigen ihre Deckrüden.1200 Euro bekommt man, wenn ein zur Zucht zugelassener großer Pudel mit Stammbaum eine Hündin begattet.

In der Nutztierhalle macht das Wagyu-Rind Werbung für Stefan Rottensteiner und seine Firma Marblelution Wagyu. Der Südtiroler sucht Landwirte, die die teuren Rinder auf ihre Wiesen stellen.

Tierarzt weist Kritik zurück

Henning Wendt, Geschäftsführer der Besamungsgenossenschaft Wölsau, organisiert den Messeauftritt von gleich mehreren Rindern, darunter auch von Anni. Die Genossenschaft verdient ihr Geld mit der Besamung von Rindern und verkauft Bullensperma. Die Rinder in der Nutztierhalle sind quasi lebendige Katalogbilder, stehen aber auch zum Verkauf.

Ein Kälbchen aus der Vierer-Gruppe hat bereits den Eigentümer gewechselt. 800 Euro müsste man für so ein Jungtier zahlen, Anni wäre wohl 2000 Euro wert.

Wendt ist Tierarzt. Kritik an der Tierhaltung auf der Messe weist er zurück. Die Tiere seien entspannt und hätten genügend Platz, findet er.

Tiere werden darauf vorbereitet

Auch Annis Eigentümer Christian Rohlfing verteidigt den Messeauftritt. "Wir suchen die Tiere gezielt aus und bereiten sie auf die Messe vor", sagte der Landwirt dem Tagesspiegel. Schon vier Wochen vor der Reise zur Ausstellung werden die Tiere auf dem Gut in Vorpommern in eine 16 Quadratmeter große Box gebracht, um sie auf die beengteren Verhältnisse in Berlin einzustimmen. Auch an den Lärm sollen sie sich gewöhnen, indem die Tiere in ihrer Box Radio hören. Zudem reisen die Messetiere vom Gut nie allein, sondern mindestens zu zweit. Auch Anni hat eine Kollegin vor Ort, eine Pustertaler Sprinze, doch die steht einige Boxen entfernt bei den anderen Kühen ihrer Rasse.

Für Anni würde sich Rohlfing zwar einen größeren Stall auf der Grünen Woche wünschen. Der Bewegungsdrang der Kühe sei im Winter aber nicht besonders groß, gibt der Eigentümer des Gutes zu bedenken. Die Kühe würden gern auf dem weichen Stroh liegen und wiederkäuen. Rohlfing war zu Beginn der Messe in Berlin, um mit Verbrauchern ins Gespräch zu kommen, wie er sagt. Über Tierhaltung, die Erhaltung alter Rassen und weitere grundsätzliche Fragen. Dazu dient auch der Messeauftritt seiner Tiere.

Das wirkliche Leben ist schlimmer

Bei der Messe Berlin weist man darauf hin, dass Tierärzte rund um die Uhr vor Ort sind und die Tiere 24 Stunden lang von einer Stallcrew und einem Stallmeister betreut werden.

Trotz der Kritik an der Tierhalle räumt Berlins Verbraucherschutzsenator Behrendt ein, dass die Verhältnisse im wirklichen Leben noch schlimmer sind. „Würden die realen Bedingungen der Massentierhaltung auf der Grünen Woche gezeigt, würde vermutlich niemand mehr in die Tierhalle kommen wollen“, sagt der Senator.

Der Tierschutzbund sieht das auch so, fordert aber dennoch mehr Platz und eine Rückzugsmöglichkeit für die Nutztiere. Ganz schlimm dran sind nach Meinung der Tierschützer aber noch ganz andere Tiere: die Greifvögel am Stand der Jäger. Tierschützer haben beobachtet, dass die Tiere auch von Kindern angefasst werden durften. „Absolut nicht akzeptabel“, „unnötig“, ärgert sich Sprecherin Lea Schmitz.

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