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Brandenburg: Gewalt von Rechts: Zieht Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich?

Einen Tag nach dem Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof in Potsdam hat das Landeskriminalamt die Ermittlungen vom Polizeipräsidium Potsdam übernommen. Zuvor hatte das Präsidium bereits eine Sonderermittlungsgruppe gebildet.

Von Frank Jansen

Einen Tag nach dem Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof in Potsdam hat das Landeskriminalamt die Ermittlungen vom Polizeipräsidium Potsdam übernommen. Zuvor hatte das Präsidium bereits eine Sonderermittlungsgruppe gebildet. Ob sich Generalbundesanwalt Kay Nehm einschaltet, blieb offen. Nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge im April 2000 hatte Nehm die Ermittlungen an sich gezogen. "Wir stehen laufend in engem Kontakt mit den Brandenburger Behörden", hieß es in Karlsruhe. Bei der Polizei ging unterdessen ein möglicherweise Erfolg versprechender Hinweis aus der Bevölkerung ein. Bislang ist jedoch nicht bekannt, wer "Die nationale Bewegung" ist, deren Bekennerschreiben sich am Tatort fand. Durch den Anschlag war die Trauerhalle des Friedhofs beschädigt worden. Ministerpräsident Manfred Stolpe nannte das Verbrechen eine "besondere Schmach" für Brandenburg.

In dem Hinweis aus der Bevölkerung geht es nach Informationen des Tagesspiegels um ein Fahrzeug, dessen Kennzeichen fehlen. Ob diese Spur zur "Nationalen Bewegung" führt, war gestern unklar. Die Ermittler scheinen jedoch den Brandanschlag in die Straftatenserie der ominösen Gruppe einzuordnen. Seit dem 10. Januar 2000 ist die "nationale Bewegung" insgesamt 15 Mal in Erscheinung getreten, fast immer mit Bekennerschreiben oder -anrufen. Das Repertoire der kriminellen Aktionen reicht von Drohbriefen an linksalternative Kreise über antisemitische Schmähschriften bis zu Brandanschlägen auf türkische Imbissstände und nun den Potsdamer Friedhof. Diesen hat die "Nationale Bewegung" allerdings schon einmal heimgesucht. Am 23. Februar 2000 wurde zwischen zwei Gräbern ein Holzkreuz aufgestellt, versehen mit einem Hakenkreuz und einer Parole zum "Gedenken" an den SA-Mann Horst Wessel.

Der Brandanschlag auf die Trauerhalle des Friedhofs ist nach Meinung von Sicherheitsexperten Anzeichen einer neuen Qualität. Die "Nationale Bewegung" wird jetzt offenbar als "kriminelle Vereinigung" eingestuft. Von terroristischen Ansätzen wollen die Sicherheitsbehörden bislang nicht sprechen.

Der Aktionsradius der "Nationalen Bewegung" beschränkt sich auf Potsdam und die südöstliche Umgebung. Betroffen waren neben der Landeshauptstadt unter anderem Mahlow, Trebbin und Stahnsdorf. Die Taten seien jedes Mal "sehr konspirativ" begangen worden, heißt es bei den Sicherheitsbehörden, "das waren nicht die üblichen Skinheads". Außerdem sei die Resonanz der rechten Szene auf die Taten der "Nationalen Bewegung" ziemlich schwach. Als eher unwahrscheinlich gilt auch eine Verbindung zu den "National-Revolutionären Zellen". Diese Gruppe aus Neonazis in Berlin und Königs Wusterhausen hatte im Mai 1999 den Gang in den Untergrund angekündigt. Anhänger der "Zellen" hantierten mit Rohrbomben und Waffen, drei Anschläge auf Linke konnte die Polizei verhindern.

"Es riecht nach Kristallnacht"

Potsdams Jüdische Gemeinde steht unter Schock. Anrufe mit Äußerungen wie "Was sollen wir machen, wir haben Angst auf der Straße" gingen häufig bei ihm ein, sagte Rabbiner Nachum Pressman. "Es riecht wieder nach Kristallnacht", meinte Wolfang Weißleder, Friedhofsbeauftragter der Jüdischen Gemeinde. In der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 hatten die Nazis deutschlandweit Synagogen in Brand gesetzt, mehrere tausend jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet und geplündert sowie mindestens 91 Juden ermordet. 26 000 Juden wurden in die Konzentrationslager Sachsenhausen (bei Oranienburg), Dachau und Buchenwald verschleppt.

Mehrere tausend Mark Schaden

Von einer "Bewährungsprobe für alle Demokraten" sprach Ministerpräsident Stolpe, der den Anschlag als "ungeheuerliche antisemitische Schandtat" verurteilte. PDS-Landeschefin Anita Tack äußerte "tiefe Abscheu". Innenstaatssekretär Eike Lancelle kündigte eine verstärkte Bewachung der mehr als 70 jüdischen Einrichtungen im Lande an. Kulturministerium Johanna Wanka (parteilos) betonte bei einem Besuch des Friedhofs, "das Wichtigste ist, das wir den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde ihre Angst nehmen". Laut Wanka werden ihr Ministerium und die Stadt Potsdam die Kosten zur Deckung des Schadens "komplett" aufbringen. Durch den Brand wurde die hintere Tür der Trauerhalle zerstört, der Innenraum ist verrußt. Der Einbau einer neuen Tür und die Reinigung der Halle kosteten mehrere tausend Mark, sagte Potsdams Stadtkonservator Andreas Kalesse. Allein für eine nun notwendige feuerfeste Tür veranschlagt Kalesse ungefähr 5000 Mark.

SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness rief zu Solidarität mit den jüdischen Gemeinden auf. Es müsse klar sein, dass Staat, Gesellschaft und Politik die Entstehung neuer Gemeinden unterstützen "und die kleinen rechtsextremen Minderheiten, die dies verhindern wollen, unnachgiebig verfolgen".

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