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Brandenburg: Heimatgefühl in der "Platte"

Sanierungsträger will Tristesse aus Potsdamer Wohnquartieren vertreiben / Abriß "illusorisch"VON ALEXANDER PAJEVI¿C POTSDAM.Plattenbauten sind ein zentraler Baustein der Stadtentwicklung in ostdeutschen Städten, allein im Land Brandenburg stellen sie 385 000 Wohneinheiten.

Sanierungsträger will Tristesse aus Potsdamer Wohnquartieren vertreiben / Abriß "illusorisch"VON ALEXANDER PAJEVI¿C POTSDAM.Plattenbauten sind ein zentraler Baustein der Stadtentwicklung in ostdeutschen Städten, allein im Land Brandenburg stellen sie 385 000 Wohneinheiten.Zwar meiden Planer inzwischen diesen Begriff, da er zum Synonym für die Tristesse der sozialistischen Stadtplanung geworden ist.Umfragen zufolge wird die "Platte" vielerorts aber mehr geschätzt als ihr Ruf vermuten läßt.In Orten wie dem nordostbrandenburgischen Schwedt, wo eine große Zahl dieser Wohnungen leersteht, ist hingegen sogar ein Teilabriß geplant. In Potsdam wohnt fast die Hälfte der Einwohner in sieben nunmehr meist neutral als "Neubaugebiete" bezeichneten Stadtteilen, die in den Jahren zwischen 1955 und 1990 in Plattenbauweise entstanden sind."Für die nächsten fünfzig Jahre werden diese Gebäude noch ein Bestandteil des Wohnungsangebots sein", sagt Rainer Baatz, Geschäftsführer der Gesellschaft für behutsame Stadtentwicklung "Stadtkontor".Sie erarbeitet seit für das Stadterneuerungsamt in Potsdam Konzepte zur Verbesserung des Wohnumfeldes in den drei Neubaugebieten Am Stern, Drewitz und Am Schlaatz.Insgesamt rund neun Millionen Mark von Bund und Land stehen zur Verfügung.Unabhängig davon ist der Umbau der Gebäude bereits in vollem Schwunge; die Sanierungsarbeiten werden sich aber noch über das Jahr 2000 hinziehen. Ein besonderer Ansatz, den Stadtkontor in Potsdam verfolgt, besteht aus kurzfristigen Verbesserungen, die die Bewohner der Viertel selbst organisieren können; Hilfe bekommen sie dafür in Bürgersprechstunden.Vorbild dafür ist die "Goldene Hausnummer" aus DDR-Zeiten, die als Anreiz dienen sollte, den eigenen Wohnblock in Ordnung zu halten."Für viele Leute ist das Heimat", sagt Baatz.Stadtteilzeitungen, in denen die Vorhaben beschrieben werden, sollen zu einer besseren Identifizierung mit dem Wohnviertel führen.Um in den Raum zwischen den Gebäudeblöcken mehr Leben zu bringen, wurden Stadtteilzentren, Fußgängerzonen, Sport- und Spielflächen konzipiert; in Drewitz soll auf einem Parkplatz ein zentraler Treffpunkt enstehen, auf dem es auch Märkte geben könnte. In Potsdam sei ein Rückbau der Plattenbauten "völlig illusorisch", sagt Baatz."Das sind wesentliche Elemente der Wohnungsversorgung; auch wenn sie nicht mehr den heutigen Vorstellungen entsprechen." Den kürzlich vorgestellten "Masterplan" der Fachhochschule Potsdam, in dem vorgeschlagen wird, alle Plattenbausiedlungen abzureißen und Potsdam als das "Versailles von Berlin" auferstehen zu lassen, kann er dann auch nicht ernstnehmen.Das sei eine akademische Übung, "fern von aller Realität", sagt Baatz.Problematisch würden die Viertel erst, wenn die Gebäude leerstünden, und das sei in Potsdam nicht in relevantem Maß der Fall. Unlängst kündigte Brandenburgs Bauminister Hartmut Meyer an, daß es im Falle von Leerstand zu einem "sensiblen" Rückbau von Plattenbauten kommen werde - ein Euphemismus für Abriß.Kurz darauf gab die Stadtverwaltung von Schwedt, wo 2800 Plattenbauwohnungen nicht vermietet sind, bekannt, daß davon bis zum Jahr 1999 740 verschwinden sollen. Daß die "Platte" besser zu sein scheint als ihr Ruf es will, hat auch ein Sozialgutachten ergeben, das die Stadt Brandenburg bei der Berliner Topos Stadtforschung für das Neubaugebiet Hohenstücken in Auftrag gegeben hatte."Nach der Wende sind die Experten aus dem Westen gekommen und dachten, sie würden die Bewohner glücklich machen, wenn sie ankündigen, alles wegzureißen", sagt Topos-Forscher Sigmar Gude.Dabei hätte die Befragung von 7500 Haushalten gezeigt, daß die Zufriedenheit zum einen relativ hoch ist und zum anderen sich schon mit verhältnismäßig geringem finanziellem Aufwand, wie er etwa im inzwischen sanierten "Sonnenhof" in Hohenstücken betrieben wurde, deutlich steigern läßt."Es ist erstaunlich, wie sensibel die Bewohner auf positive Veränderungen reagieren". Allerdings hat die Umfrage auch ergeben, daß sich ein großer Teil der Bewohner kaum an den Stadtteil gebunden fühlen; etwa 20 Prozent denken daran, fortzuziehen - ein ähnlicher Wert, wie ihn etwa Sanierungsgebiete in der Berliner Innenstadt aufweisen.Unzufriedenheit sei in den Plattenbauten vor allen Dingen über das Wohnumfeld vorhanden."Es passiert sozial zu wenig in den Vierteln." Das sieht Gude in erster Linie als eine Hypothek aus DDR-Zeiten: Für die soziale Identifikation war dort der Wohnort weniger wichtig als der Arbeitsplatz.

ALEXANDER PAJEVI¿C

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