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Brandenburg: Hilfe vom Amt nach finnischem Vorbild Kreis Oberspreewald-Lausitz plant Modellprojekt zur Betreuung von Schwangeren, Eltern und Kindern

Lauchhammer - Hendrik Karpinski ist Chefarzt und Geschäftsführer des Klinikums Niederlausitz, eines Verbundes von drei Krankenhäusern in Lauchhammer, Senftenberg und Klettwitz. Und er ist Kinderarzt.

Von Sandra Dassler

Lauchhammer - Hendrik Karpinski ist Chefarzt und Geschäftsführer des Klinikums Niederlausitz, eines Verbundes von drei Krankenhäusern in Lauchhammer, Senftenberg und Klettwitz. Und er ist Kinderarzt. Immer wieder hat er in den vergangenen Jahren kleine Patienten gesund gepflegt und bei ihrer Entlassung gedacht: Sie müssten nicht nur geheilt, sondern kontinuierlich betreut werden. Viele der Kinder kamen aus sozial schwachen Familien oder lebten allein mit Müttern, die mit der Versorgung und Erziehung überfordert waren.

Bald könnte der Wunsch nach einer kontinuierlicheren Betreuung Wirklichkeit werden. Denn auch anderswo im Land hat man sich Gedanken gemacht. Im vergangenen Jahr besuchte Brandenburgs Ministerpäsident Matthias Platzeck (SPD) Finnland. Nach seiner Rückkehr berichtete er begeistert von „Neuvola“, einem System, das in Finnland bereits 1944 entwickelt wurde, um werdende Mütter – und Väter – schon während der Schwangerschaft durch so genannte „Tanten“ zu betreuen und zu beraten. „Zur Geburt bekommen die Eltern eine Grundausstattung mit Babysachen – und nahezu alle finnischen Familien nehmen dieses freiwillige Angebot an“, schwärmte der Ministerpräsident. Auch nach der Geburt betreuen die „Neuvola“-Tanten „ihre“ Kinder und deren Familien. So können auch mögliche Entwicklungsdefizite schnell erkannt und gezielt behandelt werden.

Nach dem Vorbild von „Neuvola“ – das heißt einfach Beratungsstelle – soll nun in einem Pilotprojekt im Landkreis Oberspreewald-Lausitz eine enge Zusammenarbeit zwischen Kinderärzten, Kitas, Jugend- und Sozialämtern und Familienberatungen getestet werden. Chefarzt Hendrik Karpinski und seine Kollegen haben hierzu Kontakte zu verschiedenen Behörden geknüpft. Am kommenden Mittwoch wird der Chef der SPD-Landtagsfraktion und frühere Sozialminister Günter Baaske mit Beteiligten am Projekt ein Gespräch in Lauchhammer führen. „Im Herbst werde ich mit Familienministerin Dagmar Ziegler nach Finnland reisen, um mir das dortige System genau anzusehen“, sagte Baaske dem Tagesspiegel: „Damit wollen wir auch in Brandenburg erreichen, dass jedes Kind eine Chance für die Zukunft erhält – und dass Eltern und Kinder, wo nötig und gewünscht, Unterstützung erhalten.“

In Finnland ist „Neuvola“ tatsächlich ein fester Bestandteil in 99 Prozent aller Familien. Allerdings besteht auch ein gewisser Zwang, das kostenlose Angebot in Anspruch zu nehmen: Das staatliche Mutterschaftspaket und das Mutterschaftsgeld erhalten nur jene, die zu „Neuvola“ kommen. In hellen, freundlichen Räumen werden schwangere Frauen beraten und auf die Geburt vorbereitet und auch ärztlich betreut. Die Väter kommen meist mit. Nach der Geburt gibt es weitere Treffen in kleineren Gruppen, wo gesundheitliche und erzieherische Fragen behandelt werden. So lernen sich auch Familien gegenseitig kennen. Bis zum Schuleintritt gehen die Mütter mit ihren Kindern mindestens einmal im Jahr zur „Tante“ und sprechen über Fortschritte und Probleme. Die Therapeutinnen und Krankenschwestern von „Neuvola“ arbeiten auch mit Kindergarten und Grundschule zusammen. Da sie die Kinder von Geburt an kennen, können sie Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen wertvolle Informationen über die Heranwachsenden geben.

Kindstötungen – gar solch extreme Fälle wie der von Brieskow-Finkenheerd – wird man zwar selbst mit dem besten Betreuungssystem nicht verhindern können. Dennoch dürfte die gegenwärtige Diskussion um „Verwahrlosungstendenzen“ den Befürwortern des finnischen Modells etwas Unterstützung verschaffen. Ungeklärt ist nämlich noch, woher das Geld kommen soll. In Finnland zahlt der Staat, sprich: der Steuerzahler. Dafür erhalten die Eltern in Finnland weniger direkte finanzielle Unterstützung. Der Politologe Thomas Kralinski, der als Referent beim SPD-Landesverband arbeitet, findet das besser als die deutsche Regelung: „Nur mit Geldzuweisungen an die Eltern, das sehen wir doch täglich, ist das Wohl der Kinder noch lange nicht gesichert.“

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