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Brandenburg: In jeder Sendung werden Gesichter gesucht

FALKENSEE . Als das albanische Satellitenfernsehen kürzlich junge Vertriebene in einem Flüchtlingslager zeigte, die kosovarische Lieder sangen, weinte die achtjährige Albina Rexhepi aus Falkensee.

FALKENSEE . Als das albanische Satellitenfernsehen kürzlich junge Vertriebene in einem Flüchtlingslager zeigte, die kosovarische Lieder sangen, weinte die achtjährige Albina Rexhepi aus Falkensee. Seit Kriegsbeginn verfolgte sie mit ihren Eltern täglich die Nachrichten über den Kosovo-Krieg. In manchen Nächten lief Albinas Mutter Kimete Rexhepi bis 4 Uhr morgens nervös in der kleinen Wohnung des Falkenseer Asylbewerberheimes auf und ab und verfolgte mit ihrem Mann Nusret deutsche oder albanische Nachrichten im Fernsehen oder hörte die Deutsche Welle. Immer wenn Menschen aus ihrer Heimat für Sekunden gezeigt wurden, rückte die Familie näher an den Apparat. Trotz mancher Hoffnungszeichen auf einen Frieden ändert sich daran nichts.

Konzentriert blickt Kimete Rexhepi auf den Bildschirm. Ihre dunklen Augen suchen noch immer nach Verwandten, Freunden und Bekannten. "Der Fernseher läuft bei uns ununterbrochen. Wir kaufen uns täglich mehrere Zeitungen. Manchmal hatte ich Angst, ich werde noch verrückt", sagt Kimete. Durch die geschlossene Tür dringt vom Flur das Weinen eines Kindes.

Im April 1993 floh die Familie Rexhepi aus ihrem eigenen Haus in Pristina nach Berlin und stellte 1994 einen Aslyantrag. Über das Aufnahmelager Eisenhüttenstadt kam die Familie dann nach Falkensee, westlich Berlin. Kimete ist mitten im heutigen Kriegsgebiet, in Kacanik, geboren. Die Stadt liegt an der Grenze zu Mazedonien. Ihr Vater war dort vier Jahre als Bürgermeister und mehrere Jahre als Leiter im Arbeitsamt tätig. Ihre Mutter arbeitete als Schneiderin, Kimete als Büroangestellte. Nusret heiratete sie in Pristina, der Geburtsstadt ihres Mannes. Dort sind auch zwei ihrer drei Kindern geboren. Sie sprechen albanisch und gehören dem Islam an. Sieben Jahre haben sie gemeinsam in Pristina gelebt, bevor sie sich zur Flucht entschlossen. "Mein Mann hatte zehn Jahre als Monteur bei der Post in Pristina beschäftigt. Ab 1989 mußten wir uns den serbischen Gesetzen fügen, die Kosovaren benachteiligten und bedrohten. Allein ein historisches Buch über Kosovo-Albanien zu besitzen, reichte schon aus, um im Gefängnis zu landen. Fast alle Kosovo-Albaner und auch mein Mann verloren ihre Arbeit. Albanische Universitäten und Schulen wurden geschlossen. Nicht erst heute, schon vor zehn Jahren waren wir ein unterdrücktes Volk und haben in Angst gelebt", sagt Kimete und hantiert in dem engen Wohnzimmer, das zugleich auch Küche ist.

Mehrere Wochen hatte Kimete nichts mehr von ihrem Bruder und ihren Eltern gehört. Ende März war ihr mitgeteilt worden, daß ihre Familie über die Grenze nach Mazedonien flüchten wollte. Jede Stunde, auch in der Nacht, versuchte sie ihre Familie zu erreichen. Funkstille. Sie gab Suchbefehle an die Deutsche Welle weiter. Täglich werden hier Nachrichten in ihrer Landessprache gesendet und Namen von Vermißten und Vertriebenen verlesen. Endlich kam am 19. April ein Anruf. Ihr Bruder durfte aus einem Flüchtlingslager in Mazedonien kurz telefonieren. "Ich bin müde. Wir leben noch", habe er gesagt. Auch ihr Vater und ihre Mutter seien dort in Sicherheit. Mehr Zeit für Fragen blieb nicht. Mit dem albanischen Wort: "Mirupafshim", zu deutsch "Auf ein Wiedersehen", habe er sich nach dem kurzem Telefonat verabschiedet. Kimete blieb vorerst im Ungewissen, ob sie jemals ihre Familie wiedersehen werde. "Dennoch konnte ich in dieser Nacht endlich wieder etwas ruhiger schlafen", sagt die 36jährige Frau und rückt die Spange im dunklen Haar zurecht. Anders ist es für ihren Mann Nusret.

Seine Eltern sind vor fünf Wochen in Deutschland angekommen. Beide befinden sich in einem Krankenhaus in Dortmund. Aber der gesundheitliche Zustand der beiden sei sehr schlecht, erzählt der 38jährige Kosovo-Albaner mit leiser Stimme. Sein siebenjähriger Sohn Albion streckt währenddessen die Hand mit dem Victory-Zeichen nach oben. Nusret zeigt ein vergilbtes kleines Foto. Das ist mein Vater. Meine Eltern kommen aus einem Camp in Stankovec. Ich weiß nicht, wie lange sie gelaufen sind." Als er sie vor 14 Tagen nach sechs Jahren zum ersten Mal wieder sah, habe er geweint. "Sie sind beide so furchtbar alt geworden und mein Vater hat fast keine Stimme mehr, ich konnte ihn kaum verstehen", sagt Nusret Rexhepi.

Kimete ist stolz. Sie besitzt sogar drei Fotos vom Haus ihrer Eltern in Kacanik. Ein großzügiges Gebäude mit blühenden Rosen im Vorgarten. "Das Haus ist zerbombt. Die gesamte Straße", sagt Kimete. Das habe sie im albanischen Fernsehen gesehen. "Falkensee ist nun unser neues Zuhause. Die Menschen sind freundlich zu uns und die Kinder haben sich gut eingelebt", sagt die Kosovarin. Ihre achtjährige Tochter Albina besucht die zweite Klasse der Falkenseer Geschwister-Scholl-Schule Grundschule, unterrichtet wird sie nach der Montessorie-Pädagogik.

"Als die Nato-Angriffe begannen, kam Albina weinend in die Schule", berichtet die Klassenlehrerin Gabriele Klemplien. "Alle Kinder waren über den Krieg schockiert. Über ihre Mitschülerin Albina wurde ihnen bewußt, wie nah der Konflikt ist, und was er für persönliche Schicksale nach sich zieht.

Gemeinsam überlegte der Klassenverband, wie geholfen werden könne. Die Schüler beschlossen schließlich, Spielsachen, Kleider und Einrichtungsgegenstände zu sammeln und diese den Kosovo-Flüchtlingen in einem Asylbewerberheim in Spandau zu bringen. Schon jetzt haben die Eltern und Schüler sehr viel zusammengetragen. Kimete Rexhepi wird die Fahrt als Dolmetscherin begleiten. "Ich freue mich darauf und zugleich habe ich Angst davor, die Flüchtlinge zu treffen und zu befragen. In meinem Herz bin ich den Flüchtlingen gleich. Ich fürchte zu weinen und keine Worte zu finden, wenn sie von ihren Erlebnissen berichten."

Einen Neubeginn können sich Kimete und ihr Mann nur in einem freien, demokratischen Kosovo vorstellen. Doch eine Euphorie über mögliche Friedensverhandlungen, kommt nicht auf. "In meiner Heimat ist alles zerstört. Und ich traue Milosevic nicht. Viele Häuser sind noch immer vermint." Sie wünschen sich eine Heimat, wo ihrer Kinder eine Zukunft haben. Doch diese liegt im Ungewissen. Sie müssen alle drei Monate ihren Asylantrag neu überprüfen lassen. Albina träumt nachts oft vom Krieg.

DOROTHEA FLECHSIG

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