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Brandenburg: Ingrid Stolpe geht in Rente – in den Ruhestand geht sie nicht

Die Ärztin und frühere First Lady hat ihre Praxis in Potsdam aufgegeben

Potsdam. In Potsdam ist es die Neuigkeit des Tages: Ingrid Stolpe, Brandenburgs frühere „First Lady“ und eine der bekanntesten Ärztinnen der Landeshauptstadt, hat ihren Beruf jetzt aufgegeben. Ganz auf ihre Art, ohne öffentliches Brimborium, von einem Tag auf den anderen – nach fast vierzig Berufsjahren und obwohl sie in Potsdam längst eine Institution geworden ist. Warum so plötzlich? „Ganz einfach, weil ich in vier Wochen 65 werde!“, sagt sie. Irgendwann müsse schließlich Schluss sein. Ein Abschied, zu dem sich ihr Mann Manfred noch nicht hat durchringen können.

Seit 1965 hat die gebürtige Jenaerin in Potsdam als Medizinerin praktiziert. Erst in der örtlichen Poliklinik, dann, nach der Wende und kurzer Arbeitslosigkeit, in einer Praxisgemeinschaft, spezialisiert auf die Behandlung von Krebskranken. Ihr Mann war Ministerpräsident von Brandenburg geworden und sie hatte, mit 52 Jahren, den Sprung in die Selbständigkeit gewagt, sich dabei hoch verschuldet. Fast täglich machte sie seitdem Hausbesuche bei ihren Tumorkranken, kurvte schon in aller Hergottsfrühe quer durch Potsdam. Wenn einer stirbt, so bekannte sie einmal, „sterbe ich immer ein bisschen mit“.

Ihr Beruf ging für sie vor, „Landesmutter“ wollte sie nie sein und wurde sie auch nicht. Die Rolle der „First Lady“ blieb immer der „Nebenjob“, mit jenen eher lästigen, ihr fremden Repräsentationspflichten („Bei Königen muss ich mit“), die sie auf das Minimum begrenzte. Das unterschied sie von anderen Ministerpräsidentengattinnen. Und das blieb auch so, als ihr Mann Bundesminister wurde.

Trotzdem habe sie die Mehrfachbelastung in den letzten 12 Jahren geschlaucht und gesundheitliche Spuren hinterlassen, sagt Ingrid Stolpe. „Ich war am Ende meiner Kräfte, meiner physischen Leistungsfähigkeit.“ Daher sei ihr der Gang in den Ruhestand jetzt auch leichter gefallen, obwohl für viele ihrer Patienten eine Welt zusammenbrach. „Manche habe ich 30 Jahre betreut.“ Im Übrigen, so gesteht sie, sei sie auch angesichts der Gesundheitspolitik ganz froh, „dass ich aussteigen kann“. Immer hatte sie gehofft, mit dem jeweils neuen Gesundheitsminister werde es besser – und immer vergeblich. Alles drehe sich nur noch um’s Geld, ständig würden Budgets gekürzt, Reglements aufgestellt, Ärzte und Patienten verunsichert. „Man arbeitet mehr am Papier als am Patienten.“

Wohl auch deshalb ist trotz ihrer Liebe zum Beruf ein Weitermachen für sie nicht mehr in Frage gekommen. Da ist sie anders als ihr Mann, der, seitdem er Bundesminister ist, noch weniger Zeit hat als früher. „Der ist ja so ein Pflichtbewusster. Jetzt hetzt er bundesweit umher.“ Dabei hatte sie damals, unmittelbar nach Stolpes Amtsübergabe an Matthias Platzeck, noch gejubelt. „Ich bin glücklich, dass mein Mann den richtigen Zeitpunkt für seinen Rücktritt gefunden hat.“ Schließlich habe sie selbst seit seinem 65. Geburtstag 2001 „intensiv daran gearbeitet, dass er den Platzeck ranlässt“. Ihr Mann wollte damals ja wirklich aufhören. Bis dann im letzten Moment der Kabinettsbildung im Oktober 2002 der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee dem Kanzler absagte, für das Kabinett plötzlich ein Ostdeutscher fehlte und Manfred Stolpe sich doch wieder einspannen ließ. So ist nun doch Ingrid diejenige von den beiden, die als erste vom Arbeitsleben lässt.

So unspektakulär wie sie jetzt aufhörte, so war sie die meiste Zeit in Erscheinung getreten. Erst in den letzten Jahren vor Stolpes Abtritt als Regierungschef erlebten die Brandenburger plötzlich in Interviews und Talkshows eine schlagfertige, kluge, elegante „First Lady“, die mit beiden Beinen im Leben stand.

Jetzt aber freut sie sich zunächst einmal auf die neu gewonnene Zeit: Auf Theater- und Konzertbesuche, auf den Urlaub, der sie Anfang August zusammen mit ihrem Mann und der ganzen Familie nach Schottland und Südengland führen wird. „Ich bin gespannt auf die Gärten, auf die Rosen. Dann beginnt mein Rentnerdasein!“

Doch viel Freizeit, das ahnt Ingrid Stolpe, werde ihr wohl auch in Zukunft nicht bleiben. Da sei schon Enkelsohn Felix, 21 Monate jung, davor. Auch habe sie sich vorgenommen, ihren Mann – gemeinsame Stunden sind rar – doch öfter auf bundesweiten Terminen zu begleiten. Und natürlich will sie ihr soziales Engagement fortsetzen – für Mukoviszidose-Kranke, für die alljährliche Aktion, die sozial benachteiligten Kindern aus Südbrandenburg Ferien in der Schweiz ermöglicht.

Und vielleicht, sagt Ingrid Stolpe, schaffe sie es ja sogar, ein Büchlein mit gesammelten Episoden aus den letzten Jahren zu schreiben. „Es täte mal Not. Um zu zeigen, dass die da oben auch nicht anders leben.“

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