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Brandenburg: Ingrid Stolpe: Im Nebenjob First Lady

Von der "Knöllchenjagd" und vom nervigen Dauerstau in Potsdam kann Ingrid Stolpe ein Lied singen. Ist das "P-AY", das auf dem Nummernschild ihres weißen Golf zu lesen ist, darauf eine Anspielung?

Von der "Knöllchenjagd" und vom nervigen Dauerstau in Potsdam kann Ingrid Stolpe ein Lied singen. Ist das "P-AY", das auf dem Nummernschild ihres weißen Golf zu lesen ist, darauf eine Anspielung? "Der Verkehr in dieser Stadt ist einfach furchtbar", sagt sie nur.

Die niedergelassene Allgemeinmedizinerin, die sich auf die Betreuung von Krebspatienten spezialisiert hat, hetzt "ja meist schon morgens, kurz nach sieben aus dem Haus" Die Blutproben, die sie persönlich von ihren Klienten abholt, müssen rechtzeitig vor Abfahrt des Labor-Boten in der Praxis sein.

Die Frau des "MP", wie sie das Amt ihres Mannes nur nennt, ist vor allem Ärztin. Erst an zweiter Stelle steht jener "Nebenjob", den sie nun bereits ein Jahrzehnt ausübt: First Lady. Die Brandenburger haben sich längst daran gewöhnt, einen "Landesvater", aber keine Landesmutter zu haben. Der "im Westen üblichen Rolle" der Ministerpräsidenten-Gattin pur kann Ingrid Stolpe wenig abgewinnen. Aus prinzipiellen, mit ihrer ostdeutschen Prägung erklärten, aber auch aus ganz praktischen Gründen: "Ich könnte ja gar nicht aufhören: Erst müssen die Schulden der Praxis bezahlt sein."

Dabei bekennt sie freimütig, dass Praxis, Haushalt und dieser ungewöhnliche Nebenjob schwer unter einen Hut zu bringen sind, dass dies an Kräften zehrt. So sehr, dass Ingrid Stolpe wohl nicht gerade zum Jubel ihres Mannes, der schon das Gegenteil verkündet hatte, in diesem Jahr resolut die Thüringer Klöße von der familiären Weihnachtsspeisetafel strich. "Es hat sich ausgekloßt, wir gehen essen."

Sicher, die Protokolltermine, wenn auch aus Rücksicht auf ihren Beruf eingeschränkt, gehören zum Pflichtprogramm. "Bei Königen", so hat sie einmal erklärt, "muss ich eben mit!" Was nicht ausschließt, dass sie inzwischen durchaus so viel Spaß daran gefunden hat, um "als Rentnerin" vielleicht sogar ein Buch darüber zu schreiben: Jedenfalls sammelt Ingrid Stolpe längst penibel Episoden und Speisekarten.

Und der Regierungschef weiß andererseits zu schätzen, dass seine Frau "mitten im Leben" steht, dass ihre Sprechstunde ein "gutes Barometer" für die Stimmung im Lande ist. Dennoch steht Ingrid Stolpe erstaunlich selten im Rampenlicht: Die 62-Jährige macht keinen Hehl daraus, dass sie mit den Medien nach den Stasi-Schlagzeilen über ihren Mann "auf Kriegsfuß" stand.

Als der Ostdeutsche Rundfunk jetzt ein Portrait über sie drehen wollte, fanden sich im dortigen Archiv ganze 21 Beiträge - aus zehn Jahren.

Doch die erst in jüngerer Zeit nachlassende öffentliche Abstinenz - Ingrid Stolpe trat jetzt sogar in einer Talkshow auf - hat einen merkwürdigen Nebeneffekt: Wenn man von ihrer Schirmherrschaft über das märkische Weihnachtspostamt in Himmelpfort einmal absieht, ist auch ihr karitatives Engagement unbekannt geblieben. Wer weiß schon, dass die Stolpe-Frau schon vor Jahren ein Kinderhilfswerk "Aktion Umwelt für Kinder" auf die Beine gestellt hat, das sich um umweltgefährdete und arme Kinder aus Südbrandenburg kümmert?

"Da benefize ich bis zum Geht-nicht-mehr." Für einen Erlebnisspielplatz in Annahütte; oder dafür, dass jährlich 50 Kinder aus dieser Gegend, in der viele Umweltvergiftungen aus DDR-Zeiten nachwirken, einmal Urlaub in der Schweiz machen können. Da sind auch noch der Landesverband zur Bekämpfung der Mukoviszidose, der Frauenselbsthilfeverband zur Krebsvorsorge und, und ... . Inzwischen ist die First Lady ohne Promi-Allüren allerdings zurückhaltender mit solchen Zusagen geworden.

"Schirmherrin ist man ja immer gleich für die Ewigkeit." Wofür sie sich gern engagieren würde? "Für den Aufbau des Potsdamer Stadtschlosses", antwortet Ingrid Stolpe prompt. "Das würde mir richtig Spaß machen." Seit 1959 - es war das Jahr des Schlossabrisses - leben Stolpes nun schon in Potsdam. Dass diese Stadt in den ersten zehn Jahren nach der Wende so langsam zu Potte kam, war der gebürtigen Thüringerin ein Graus. Kommt man aus Dresden oder Erfurt hierher zurück, so gestand sie einmal, "ist man wieder im grauen Osten." Um so mehr hofft Ingrid Stolpe nun, dass die Bundesgartenschau im Jahr 2001, "dieses Geschenk des Himmels", Potsdam wirklich den ersehnten Durchbruch bringen wird. Und sie hat in aller Stille Geld gesammelt, damit die marode Treppe im Botanischen Garten von Sanssouci rechtzeitig rekonstruiert werden kann. Zunächst aber freut sich Ingrid Stolpe auf Silvester: Weil es einer jener seltenen Tage sein wird, den sie gemeinsam mit ihrem Mann verbringen kann, der in letzter Zeit "nicht einmal mehr Urlaub" nimmt. "Hoffentlich bricht nicht wieder einer aus dem Gefängnis aus."

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