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Karriere in Brandenburg: Und stetig lockt die Heimat

Brandenburg hat ein Problem mit seiner Bevölkerung. Die schwindet, was gewaltige Kosten verursachen wird. Deshalb wirbt das Land jetzt offensiv um jene, die es verlassen haben.

So ist das mit Brandenburg. Schwieriges Image, stille, aber starke Heimatgefühle dahinter. Carmen Falkenberg kommt aus einem Dorf in der Nähe von Oranienburg. Fragt man Carmen Falkenberg, was sie mit „Zuhause“, mit „Heimat“ verbindet, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Nichts von dem, was ihr wichtig ist, hat mit Hamburg zu tun. Aber genau da war sie gelandet. Von 2008 bis Anfang dieses Jahres arbeitete sie in der Stadt, in der sich ihr in einem großen Handelsunternehmen eine Karrierechance bot.

27 Jahre ist sie alt, Industriekauffrau von Beruf, freundliches Lachen, selbstbewusste Ausstrahlung, eine offene, direkte Art zu reden. Das erste Jahr da oben in Hamburg sei „spannend“ gewesen, erzählt sie. Aber vom Reiz der Fremde war bald nichts mehr übrig – der kann sich schnell erschöpfen, wenn man viele Stunden auf der A 24 zwischen Hamburg und dem Berliner Autobahnring verbringt. Carmen Falkenberg pendelte: Das Wochenende zu Hause endete am Montag morgens um fünf Uhr, nachdem es am Freitagnachmittag begonnen hatte. Hamburg fand Carmen Falkenberg bald „spießig, steif, konservativ“ und schimpft: „Die Hamburger tun so, als wenn das direkt am Meer ist. Dabei fließt da nur die dreckige Elbe lang!“ Beruflich kam sie voran, die Abende waren öde. „Das wird hier einfach nichts“, dachte sie oft.

Nach vier Jahren im Norden hat sie einen Job bei einem großen Berliner Gesundheitsbetrieb gefunden. Sie wohnt jetzt wieder in dem Dorf, von dem sie aufgebrochen war. „Mir hat es hier eigentlich an nichts gefehlt“, sagt sie heute, denkt dabei an ihre Familie, ihre Schwester, ihre Erinnerungen, denkt auch ans Baden im See und daran, dass „Omi und Opa immer für uns da gewesen“ seien. Sie erzählt von der Kinderfußballmannschaft, die sie trainierte, von der Theatergruppe. Von den Sorgen, die sie sich machte, als ihr Opa im Krankenhaus lag und sie ihn nicht mal eben nach der Arbeit besuchen konnte.

Carmen Falkenberg hat ihren neuen Arbeitsplatz über eine Jobvermittlung im Internet gefunden, nicht über das Fachkräfteportal, das neuerdings für die Rückkehr von Exil-Brandenburgern wirbt. Aber immerhin hatte sie davon schon mal gelesen. Mit dem Portal, das als „Fachkräfte-Portal“ über die Internetseite www.brandenburg.de zu finden ist, geht die Landesregierung gegen die absehbaren Folgen der demografischen Entwicklung an. Gesucht werden Menschen wie Carmen Falkenberg: gut ausgebildet, karrierebewusst, aber auch heimatverbunden und nicht zu abgehoben.

Dennis Broistedt, 31 Jahre alt, ist auch so einer und gewissermaßen der Prototyp des Rückkehrers. Er hat Wirtschaftsinformatik studiert, danach in Bayern bei BMW gearbeitet und ist dann doch zurück nach Neuruppin gegangen, in seine Heimatstadt, wo er jeden Waldweg und jede Badestelle aus Kinder- und Jugendzeiten kennt. In Brandenburg werden demnächst zigtausende von seiner Art gebraucht.

Die Bevölkerungspyramide verändert ihre Form. Von der Tanne – unten viele Kinder, oben wenige Alte – zur Kiefer: schmaler Stamm, wenig Kinder, wenig Mittelalte – breite Krone, viele Alte und, wie man heute sagt: „Hochbetagte“.

Immer öfter hören die Politiker in Potsdam, dass Facharbeiter in Unternehmen fehlen, dass Stellen nicht besetzt werden können. In der Arbeitswelt wirkt sich heute aus, dass viele Ostdeutsche unter dem Schock der Wende und einer ungewissen Zukunft auf Kinder verzichtet haben und dass der Untergang der DDR- Wirtschaft viele andere gezwungen hat, in den Westen der Republik zu ziehen, um dort zu arbeiten. Zweieinhalb Millionen Einwohner hat Brandenburg. Noch. Bis 2030 erwartet das Statistikamt einen Verlust von 330 000 Menschen. Heute, so schreiben die Bevölkerungswissenschaftler, sei jeder fünfte Brandenburger im „Seniorenalter“. 2030 werde es jeder dritte sein. Das hat Folgen. Das Steueraufkommen im Land wird sinken, mehr Pflegekräfte und Ärzte werden für die Gesundheitsversorgung gebraucht. Die Kosten der Infrastruktur vom Wasser über Elektrizität bis zum Straßenbau werden steigen, jedenfalls pro Person gerechnet.

Mit dem Internet nach oben, mit dem Internet zurück nach Hause.

Da war es ein kurzer Weg von den finsteren demografischen Vorhersagen bis zum Aufbau des „Rückkehrerportals“. Thomas Krause-Heidenreich ist einer der Erfinder der Internetseite, studierter Wirtschaftsgeograf, angestellt bei der Landesagentur für Struktur und Arbeit. Die hat ihren Sitz in einem Potsdamer Gewerbegebiet, wo sich auch Technologie- und mittelständische Industrieunternehmen angesiedelt haben, ein Beispiel dafür, dass es mit Brandenburg jedenfalls im Berliner Umland aufwärtsgeht. Genau das, so Krause-Heidenreich, wollen die Brandenburger mit ihrem Fachkräfteportal transportieren. „Raum für Karriere“, lautet einer der Slogans, mit dem Fachkräfte im Internet angesprochen werden sollen.

Mit demselben Satz und dem Foto einer jungen Frau in einem Labor wirbt das Land auch auf den Fahrplänen, die in den Schnellzügen in Richtung Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg oder nach Prag auf den Sitzen liegen. In diesen Zügen säßen die Arbeitspendler, sagt Krause-Heidenreich. Die Anzeige enthält einen mit dem Smartphone lesbaren Code, der direkt auf die Internetseite weiterleitet. Die Klickzahlen auf der Internetseite seien dadurch auch gestiegen. Die Leute sollten, sagt Krause-Heidenreich, auf die Möglichkeiten aufmerksam gemacht werden, die sie heute in Brandenburg haben.

Manfred Stolpes „kleine DDR“, das ist Vergangenheit. Heute gibt es Hightech-Unternehmen, ein paar wenigstens, mit Platz für Leute wie Dennis Broistedt. Es gibt Industrie, 78 000 Arbeitsplätze im Berliner Umland, in der Lausitz, im Norden in der Gegend von Wittstock oder in Schwedt. Es gibt eine Versorgung mit Kita-Plätzen, von der man in Westdeutschland nur träumen kann. Alles Vorteile, die man publik machen und in der Werbung um Arbeitskräfte nutzen muss, dachten sich Krause-Heidenreich und seine Kollegen. Und die Nachfrage ist offenbar da. Einer Studie des Leipziger Leibniz-Instituts für Länderkunde zufolge ist jeder Zweite, der aus den alten Ländern in die neuen zieht, ein Rückkehrer. Allein 2010 sollen es mehr als 40 000 gewesen sein.

Aber der Weg zurück ist auch in Internet-Zeiten nicht so einfach. Noch weist das Portal nur Stellen auf, die über die Bundesanstalt für Arbeit angeboten worden sind. Wer bald zurück will nach Brandenburg, kann sich darauf nicht verlassen. Man sei dabei, das Fachkräfteportal deutlich zu erweitern und so einzurichten, dass Unternehmer freie Stellen direkt dort anbieten könnten, sagt Krause-Heidenreich. Wie viele den Weg durch das Fachkräfteportal zurück nach Brandenburg genommen haben, weiß niemand. Immerhin registrierten die Betreiber des Portals 21 000 Besuche auf der Internetseite, die seit ein paar Monaten im Netz ist. Die Leute befassten sich im Durchschnitt sieben Minuten mit dem Angebot, sagt Krause-Heidenreich. Ein Zeichen nicht nur oberflächlichen Interesses.

Krause-Heidenreich, der Portal-Erfinder, und Dennis Broistedt, der Internetfachmann aus Neuruppin, sind ungefähr gleich alt, 33 und 31 Jahre. Beide erzählen von den gleichen Erfahrungen: Ganze Jahrgänge bewarben sich deutschlandweit um Ausbildungsplätze. Wer etwas werden wollte, konnte dort nicht bleiben, wo er groß geworden war. „Die meisten sind halt weggegangen“, sagt Dennis Broistedt. Von fünfzig, sechzig Mitschülern seines Jahrgangs seien bloß zehn oder 15 in Neuruppin geblieben, schätzt er.

Den Job bei Edv Plan in Neuruppin hat Broistedt nicht über das Fachkräfteportal gefunden – ein Freund habe ihm von der Firma erzählt. Das kleine IT-Unternehmen, das alle möglichen Leistungen um Internetauftritte herum anbietet, liegt am Rande Neuruppins, in einem Verwaltungsneubau, den vor allem die Agentur für Arbeit nutzt. Gegenüber, in einem alten Backsteinbau, der aussieht wie aus Theodor Fontanes Zeiten, hat ein Schlachter seinen Betrieb.

Der kleine Internet-Dienstleister ist für Broistedt offenbar genau das Richtige. Er sitze nicht bloß am Rechner und programmiere, erzählt er. Er berate Kunden, er leite neue Projekte, werbe Aufträge ein, komme mit Menschen zusammen. Ein kleiner Betrieb, aber große Möglichkeiten. Und das in einer Stadt, von der er das Gefühl hat, das es mit ihr aufwärtsgeht, gelegen in einer Landschaft, in der er laufen, rennradfahren und schwimmen kann: Heimat. Dass Broistedt gern und viel Sport macht, ist ihm anzusehen. Dass er sich wohlfühlt in der Gegend, die er mal verlassen hat, in der er aber auch noch und wieder Freunde hat, ist der langen Liste aller Vorteile zu entnehmen, die er mit der Rückkehr nach Neuruppin verbindet. Er bringt sie schließlich in dem einen Satz zum Ausdruck, er habe „eine schöne Kindheit hier gehabt“.

Für die Kinder zurück - Selbstverwirklichung oder Einbahnstraße?

Lisa Blume* ist in der Prignitz aufgewachsen. Dann ist sie nach Berlin gegangen, ist nach Berliner Art fünf, sechs, sieben Mal umgezogen, hat die Stadtkultur erlebt, gemocht – und sie wieder hinter sich gelassen. Um zurückzukehren in die Prignitz, in diesen besonders ländlichen Teil des Landes Brandenburg, wo Acker an Acker stößt. Die Prignitz gehört schon heute zu den am dünnsten besiedelten Gegenden in Brandenburg. Die Demografen sagen dem Landkreis zwischen Berlin und Hamburg bis 2030 einen Bevölkerungsrückgang von etwa 24 Prozent voraus. Ein Aktionsraum für Pflegedienste und Altenheimbetreiber tut sich auf. Aber sonst?

Perleberg, Lisa Blumes Heimatstadt, hatte der jungen Frau vor nicht allzu langer Zeit nicht mal einen Job zu bieten. Damals, vor sieben, acht Jahren, seien „so gut wie alle“ ihrer Freunde weggezogen aus der Prignitz, sagt Lisa Blume. Auch sie fand keine Stelle als Zahnarzthelferin, so zog sie fort.

Heute arbeitet sie in Perleberg als Yoga-Lehrerin. „Das läuft auch“, sagt sie. In Perleberg führt sie ein Leben, das eher nach Berlin als in die hübsch restaurierte Kleinstadt passt. Die berufliche Selbstständigkeit, die alternative Orientierung, die ihr wichtig ist, das Interesse an Live-Musik, dem sie in Berlin so gut nachgehen konnte – das ist die Vergangenheit, in der Lisa Blume ihre Tochter Nevia* bekommen hat. Nevia ist jetzt fast ein Jahr alt, und Lisa Blume hat ein Versprechen wahrgemacht, das sie ihrer Mutter gegeben hatte: „Wenn ich Kinder kriege, komme ich zurück.“

Manchmal vermisse sie Berlin, sagt Lisa Blume. Von der Wohngemeinschaft in der Neuköllner Weichselstraße – „da war’s richtig schön“ – in eine Wohnung mit Garten in Perleberg, dazwischen liegt mehr als bloß zwei- oder zweieinhalb Stunden Autofahrt. Sicher, ihre Eltern seien „aufgeblüht“, sagt sie auch. Und ihre kleine Tochter wird mit Oma und Opa erwachsen, sie erlebt Familie und Geborgenheit. Aber abends um acht sei in der Gegend, in der sie jetzt wohnt, „kein Mensch auf der Straße“. Da hört man schon einen Hauch von Sehnsucht nach der großen Stadt voller junger Leute, den Leuten, mit denen Lisa Blume Berlin entdeckt und erobert hat.

Doch das Land, von dem sie kommt, hat sich in den paar Jahren verändert. Eine Kuh, die aus Werbezwecken auf dem Marktplatz von Perleberg gestellt worden war, hat Lisa auf den „Siebengiebelhof“ aufmerksam gemacht, einen Öko-Bauernhof, der bis nach Berlin liefert. Und sie ist auf eine „Kulturkooperative“ gestoßen, die in Perleberg ein Kulturcafé betreibt und Kunstprojekte fördern will. In der Stadt hat ein Bioladen aufgemacht.

In der Prignitz suchen und finden sich, wie überall in Brandenburg, Leute zusammen, die das Landleben mit neuer Lebensfreude, mit Freude an der Weite, der Natur, an Gärten, an Kunst erfüllen. Es ist nicht alles nur Altbau, Verfall und um die Städte herum ein paar Lidls, Nettos und eine Tankstelle. 200 Kilometer nordwestlich der Neuköllner Weichselstraße leben Leute ein bisschen anders, mehr auf Nachhaltigkeit bedacht und nicht versessen auf Vollzeitjobs und Events am Abend. Auch wenn man sich „schon ein bisschen anstrengen“ müsse, um dieses andere Leben auf dem Land zu finden, sagt Lisa Blume.

Sie sitzt dabei in ihrem Garten, guckt in die Sonne und schwärmt von den Himbeeren, die sie im vergangenen Jahr geerntet hat. „Hier kann man sich fokussieren.“ Ihre Katze, die schon in Berlin dabei war, steht am Zaun. Sie beobachtet ein braun gefiedertes Huhn im Nachbargarten. Das Huhn guckt zurück. Über allem dehnt sich der Himmel, so blau, als gäbe es keine andere Landschaft.

*Name geändert. Der Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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