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Brandenburg: Keine Freizeit, aber immer an der frischen Luft

Von braven Tieren und großen Sorgen: beim Schäfer an der Oder VON CLAUS-DIETER SCHLEYER PohlitzSelbst die zwei zusätzlichen Wollpullover und die dicken langen Unterhosen schützen nicht: Die Kälte dringt durch Mark und Bein.Über die nahe Oder peitscht der Wind feine Tropfen, die wie Nadelstiche im Gesicht brennen.

Von braven Tieren und großen Sorgen: beim Schäfer an der Oder VON CLAUS-DIETER SCHLEYER

PohlitzSelbst die zwei zusätzlichen Wollpullover und die dicken langen Unterhosen schützen nicht: Die Kälte dringt durch Mark und Bein.Über die nahe Oder peitscht der Wind feine Tropfen, die wie Nadelstiche im Gesicht brennen.Kein Baum weit und breit bietet Schutz.Der Schäfer in seinem weiten Mantel lächelt."Ist wohl doch etwas kalt?", fragt Hans-Erich Stolz augenzwinkernd.Er stützt sich auf den Hütestock und schaut auf seine Heidschnuckenschafe. Ihm macht die Kälte offenbar nichts aus.Ruhig streichelt er ein Schaf, um im nächsten Augenblick schon wieder mit seinem Hund zu sprechen."Alles Gewöhnungssache", muntert der Mann mit dichtem Vollbart den frierenden Journalisten auf.Er trage auch im Sommer lange Unterhosen.So bereite ihm das jeweilige Wetter keine Probleme. Schon nach kurzer Zeit auf der Schafweide hinter Eisenhüttenstadt erweist sich, daß das Klischee vom beneidenswerten und sorgenfreien Beruf an frischer Luft und in der Umgebung zufriedener Tiere nicht stimmt. Während der acht Stunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang stützt sich Hans-Erich Stolz höchst selten auf seinen Stock.Dabei prägt gerade dieses Bild die weitläufigen Vorstellungen vom Schäfer: Er steht gelassen in der Gegend herum und verläßt sich auf seinen Hund.Nein, für Schäfer Stolz und seine wenigen verbliebenen Berufskollegen sollte der Tag am besten mehr als 24 Stunden haben."Die Schäferei ist kein normaler Beruf, bei dem nach acht Stunden der Hammer fällt oder es ein freies Wochenende gibt", sagt Stolz."Ein guter Hirte gibt sein Leben für seine Schafe".Dieser Satz, so wirft er ein, sei zwar ein uralter Spruch aus dem Museum.Doch er denke noch immer so. Stolz ist unentwegt mit einem seiner 1100 Tiere beschäftigt.Er schneidet Klauen, hilft bei der Geburt eines Lammes, schützt es vor den Hunden, bewahrt Tiere vor dem Sturz in den Wassergraben, prüft die Stärke des Wollkleides, kümmert sich um Kranke und Schwache.Vor allem aber spricht er mit seiner Herde."Natürlich verstehen sie die Worte nicht, doch entscheidend ist meine Stimme", schwört der Schäfer."Sie müssen fühlen, daß jemand für sie da ist." Gibt es etwa auch Schäferlatein? "Das ist keine Spinnerei.Eine Herde muß ihren Hirten an der Stimme erkennen", sagt Stolz. Doch die Probe aufs Exempel mißlingt.So sehr er sich auch bemüht - es will nicht gelingen, die Tiere allein mit Summen und etwas unverständlichen Worten die Tiere an einen bestimmten Ort zu locken.Das liege wohl an seiner mehrtägigen Abwesenheit von der Weide, sagt er.Der seit einiger Zeit bei ihm arbeitende Schäfer spreche eben nicht mit den Tieren.Da hätten die sich von ihm entwöhnt. Den zweiten Mann mußte Stolz einstellen, damit er sich ab und zu um den Verkauf kümmern kann.Viele Wochenenden fährt er mit seiner Frau auf die Märkte, um wollene oder lederne Sachen oder Lammfleisch anzubieten."Reich werden wir davon nicht", meint Ehefrau Gabriele.Und ohne ein zweites Standbein zur Absicherung der Existenz sei das Risiko viel zu groß.Sie hat sich eine kleine Werbeagentur aufgebaut. Wie mühsam das Geschäft mit den Schafen läuft, zeigt ein Blick auf die Wollpreise: 30 Pfennig gibt es für ein Kilogramm.Von einem Tier können maximal drei Kilo geschoren werden.Wenigstens sind die Fleischpreise in letzter Zeit nicht mehr gesunken.Familie Stolz hat inzwischen feste Abnehmer für ihr frisches Lammfleisch gefunden.Da sie sich auf die in Brandenburg noch seltenen Heidschnuckenschafe spezialisiert haben, hält sich die Konkurrenz in Grenzen.Hans-Erich Stolz kaufte seine Tiere in der Lüneburger Heide.Sie seien anspruchslos und könnten das ganze Jahr über auf der Weide bleiben.Kälte mache ihnen nichts aus.Das Fleisch schmecke ein bißchen nach Reh, was von Kennern besonders geschätzt werde. Seit 1990 wirtschaftet Schäfer Stolz auf eigene Rechnung.Er verließ die sich ohnehin auflösende heimische LPG in Pohlitz, nahm eine Herde von Merino-Schafen - und fiel mit seiner Selbständigkeit fast auf die Nase.Ein kalter Winter und wenige Futtervorräte ließen nur wenige Jungtiere überleben.Durch Zufall erfuhr er von den genügsameren Heidschnucken und baute sich eine neue Existenz auf. Hans-Erich und Gabriele Stolz sind der Schäferei mit Leib und Seele verfallen.Als im letzten Winter ein Berufskollege fast seine gesamte Herde verlor, weil wildernde Hunde die Tiere in die Neiße getrieben hatten, organisierte das Ehepaar eine Hilfsaktion für ihn.Heute plagen sie allerdings selbst Sorgen.Es ist gar nicht einmal die eigene Schafwirtschaft.Irgendwie kämen sie schon über die Runden."Mehr schlaflose Nächte bereiten mir unser Streichelzoo und das Schäfermuseum", berichtet Gabriele Stolz.Sie leitet den Museums-Förderverein mit 40 Mitgliedern, dem selbstverständlich auch er angehört.Im Museum, das in Deutschland seinesgleichen sucht, ist alles Wissenswerte über die Schäferei zusammengetragen.Lebendig geht es im großen Hof zu: Ponys, Esel, Ziegen, Schweine und Kaninchen warten auf ihr Futter.Hans-Erich Stolz versorgt sie nach seiner Schicht. "Allein von den Spenden der Besucher können wir die Tiere nicht halten", sagt Frau Stolz."Fördermittel aber werden nicht gezahlt, ABM-Stellen nicht bewilligt." Dabei seien in diesem Jahr 6000 Besucher auf dem Heidehof gezählt worden.Manche Besucher nahm der Schäfer für einige Stunden mit hinaus auf seine Weide.Die meisten lauschten staunend seinen Geschichten.Doch die längste Zeit ist Hans-Erich Stolz allein mit seinen Heidschnucken - auch heute und über die beiden Weihnachtstage.

Auskünfte zum Heidehof Pohlitz mit dem Schäfermuseum werden unter der Telefonnummer 03 36 53/58 84 erteilt.Der Streichelzoo in Pohlitz ist täglich geöffnet.Von Berlin aus empfiehlt sich die Anreise über die Autobahn Berlin-Frankfurt (Oder) bis zur Abfahrt Müllrose und von hier weiter über Schernsdorf nach Pohlitz.

CLAUS-DIETER SCHLEYER

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