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Kommentar: Schlaue Jungs braucht die Mark

Thorsten Metzner über die Schwierigkeiten der Jungen in Brandenburg. Die "wilden Kerle" sind offenkundig die Verlierer der Bildungsreformen.

Zwei von drei Schulabbrechern, Sitzenbleibern und Förderschülern zwischen Uckermark und Lausitz sind Jungen. Das brachte jetzt erneut eine Studie an den Tag. Dagegen machen, wen wundert’s, mehr Mädchen das Abitur. Dass das angeblich „starke Geschlecht“ hinterherhinkt, fängt schon bei den Kleinen an. Es sind vorwiegend Jungen, die bei der Einschulung zurückgestellt werden, weil sie etwa nicht gut sprechen können. Soweit die Befunde, zu denen Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) schon vor zwei Jahren in einem Bericht für den Landtag gekommen war. Nun wirft die CDU dem Minister, Koalition hin oder her, wenige Monate vor der Landtagswahl in Oppositionsmanier Untätigkeit vor. Mit Recht?

Das Gegenteil stimmt, woran die Christdemokraten selbst gehörig Anteil haben. Brandenburgs wilde Kerle – insbesondere aus sozial schwachen Familien – sind offenkundig die Verlierer der von der SPD-CDU-Koalition seit 1999 durchgesetzten Bildungsreformen. Mit diesen kehrte der vorher sträflich vernachlässigte Leistungsgedanke an die Schulen zurück. Das Land rückte beim letzten Pisatest ins deutsche Mittelfeld vor. Aber da ist eben auch die Kehrseite, die beachtet werden muss: Leistungsschwächere Kinder haben es heute noch schwerer als früher, im Unterricht mitzuhalten – vorwiegend Jungs. Das demotiviert, das führt zu einer Abwärtsspirale: Der vor allem von den Christdemokraten durchgesetzte höhere Leistungsdruck hat das noch verschärft. Ein „Jungenbeauftragter“ an jeder Schule soll das richten? Lächerlich.

Es geht längst nicht mehr um ein Schulproblem. Brandenburg werden in ein paar Jahren Hunderttausende Fachkräfte fehlen. Noch immer verlassen junge, kluge Frauen das Land, suchen sich anderswo Jobs, gründen dort Familien. Als der Wissenschaftler Ulf Matthiesen vor ein paar Jahren vor den Folgen des märkischen „Brain Drain“ besonders für die berlinfernen Regionen warnte, in denen „arbeitslose Deppen ohne Chance auf Familien- und Paarbeziehungen“ übrig blieben, gab es einen Aufschrei. Der Trend zur „Verblödung“ ist nicht gestoppt.

Brandenburgs Sozialdemokraten, die seit 1990 die Bildungspolitik in diesem Land verantworten, haben allen Grund, für die nächste Wahlperiode eine Bildungsoffensive zu versprechen. Mehr Lehrer und Erzieher an die Schulen und Kitas, eine bessere Frühförderung, ein individuelleres Eingehen auf besonders Schwache – alles ist richtig. Es ist sogar zwingend, wenn Brandenburg nicht in frühere Stagnation zurückfallen will. Mit Blick auf die benachteiligten Jungen ist zu ergänzen: Mehr Männer in Erzieherberufe, Unterricht, der kleine Rabauken anspricht, Texte im Lesebuch, in denen es auch mal um Autos, Fußball oder Computer geht.

Man darf im Wahljahr 2009 daran erinnern, dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) den Anspruch formuliert hat, in Brandenburg kein Kind mehr zurückzulassen. Das Ziel wurde im letzten Schuljahr 2248 Mal verfehlt. So viele Jugendliche verließen Schulen ohne Abschluss, die meisten davon junge Männer. Es waren, als sie einst die Zuckertüte trugen, keine dummen Jungen.

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