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Brandenburg: Kräfte sammeln für das Kommende

Trotz Enteignungsaffäre und Kommunalwahl: Politik und Wirtschaft blicken auf ein eher ruhiges Jahr zurück. 2009 wird turbulenter

Potsdam - Das hatte es in der Bundesrepublik bis dahin nicht gegeben: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes im Frühjahr stand plötzlich das ganze offizielle Brandenburg wie ein ertappter Sünder da. Ausgerechnet das Land hatte sich, wie die Leipziger Richter ungewöhnlich scharf rügten, 1999/2000 „sittenwidrig“ und „eines Rechtsstaates unwürdig“ verhalten, als es sich rund zehntausend frühere Bodenreform-Grundstücke von Neubauern unter den Nagel riss. Brandenburg hatte, erstmals seit längerem, wieder eine handfeste Affäre.

Welch ein dramatischer Auftakt des Jahres 2008! Der dünnhäutiger als früher wirkende Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) musste, wie einst bei der schon fast vergessenen Trennungsgeld- Affäre, in einer Regierungserklärung vor dem Landtag Buße tun – wenn auch widerwillig und nur stellvertretend für seinen Vorgänger Manfred Stolpe (SPD). Die Links-Opposition setzte einen Untersuchungsausschuss durch, der noch immer ermittelt, wie es zu der rechtswidrigen Massenent eignung kommen konnte.

Trotzdem ging die Landespolitik dann erstaunlich schnell wieder zur Tagesordnung über, blieb dieses Jahr 2008 fortan seltsamerweise ein sehr, sehr brandenburgisches Jahr: Politisch ruhig, unaufgeregt, ohne große aufgewühlte Debatten, ohne Eruptionen, die das Land erschütterten. Die SPD/CDU-Koalition übte sich mehr im Verwalten, als dass sie zum Ende der Legislaturperiode – nächsten Herbst ist Landtagswahl – noch Akzente gesetzt hätte. Doch es ging ja, das ist die positive Erklärung, auch aufwärts mit dem Land. Die Wirtschaft brummte, die Arbeitslosigkeit war niedrig wie seit Ewigkeiten nicht, die Zukunftsagentur (ZAB) konnte eine Rekordbilanz bei Ansiedlungen und Investitionen verkünden. Am neuen Großflughafen BBI in Schönefeld wird im Eiltempo gebaut, irische Unternehmer wollen im Umfeld 1,1 Milliarden Euro investieren. Das Werk in Tschernitz wurde gerettet, in Eisenhüttenstadt der Grundstein für eine 600-Millionen-Euro-Papierfabrik gelegt. Brandenburgs Schüler wurden laut Pisa-Studie deutlich besser, Dahme- Spreewald der wirtschaftlich stärkste Landkreis Ostdeutschlands, Brandenburg rückte bei der Förderung erneuerbarer Energien an die erste Stelle der Bundesländer. Kein Wunder eigentlich, dass die Kommunalwahlen am 28. September eher als Pflichtübung über die Bühne gingen, mit den üblichen Internetpannen am Wahlabend und einem auch ansonsten erwarteten Ausgang: Die SPD lag vorn, knapp zwar, aber wie seit Jahren vor der Linken und der wie mittlerweile gewohnt auf Platz drei verwiesenen Union.

Fast sieht es im Rückblick so aus, als hätten 2008 alle noch einmal Kräfte sammeln wollten, bevor es dicke kommt. Vor der Wirtschaftskrise, vor dem Superwahljahr 2009, in dem nicht nur der Landtag, sondern auch das Europaparlament und der Bundestag neu bestimmt werden.

Fest steht, dass Brandenburgs Parteien dieses Vorwahl-Jahr 2008 mit der Generalprobe der Gemeinde- und Kreiswahlen auf je ihre Weise zur Vorbereitung nutzten. Da schickt die SPD mit Rainer Speer, Holger Rupprecht oder Ex-Bundesgeschäftsführer Martin Gorholt ihre Promis aufs Land, da holte sie sich den Außenminister und Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier als Bundestagsdirektkandidaten in der Stadt Brandenburg. So dass die Genossen in die Doppelwahl mit einer Doppelspitze Platzeck/Steinmeier gehen.

Auch die zerkämpfte CDU sortierte noch einmal ihr Führungspersonal neu – diesmal ohne Turbulenzen. Nun ist ein neuer Rekord zu verzeichnen: Von den vier CDU-Ministern im Kabinett waren alle bis auf Justizministerin Beate Blechinger schon mal Parteivorsitzende. Nach Innenminister Jörg Schönbohm und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns soll nun Wissenschaftsministerin Johanna Wanka, die sich mit dem Lager um den stellvertretenden Parteichef Sven Petke arrangiert hat, die Partei in die Wahlkämpfe führen. Ob das hält?

Schließlich: die Linke, die Rot-Rot anpeilt, stark startete und am Ende des Jahres doch Rätsel aufgab. Mit einer erfolgreichen Volksinitiative gegen Elternbeiträge für Schülerbeförderung und dem Volksbegehren für ein Sozialticket wurde die SPD/CDU-Koalition durch Druck von unten zum sozialpolitischen Einlenken gezwungen. Platzeck ließ ein „Mobilitätsticket“ einführen und ein Sozialpaket schnüren, das nachträglich vom im Dezember veröffentlichten Armutsbericht der Regierung bestätigt wurde: Jedes vierte Kind in Brandenburg lebt von Hartz IV, die wirtschaftliche Kluft zwischen dem Berliner Umland und benachteiligten Regionen wie der Uckermark oder der Lausitz wächst. In der Energiepolitik aber, dem zweiten Megathema, verkalkulierte sich die Opposition gründlich: Das Volksbegehren gegen neue Tagebaue in der Lausitz hat kaum noch Chancen. Und am Ende verpatzte die Linke sogar den Start ins Wahljahr, als sie ihre Fraktionschefin Kerstin Kaiser mit einem blamablen 75-Prozent-Ergebnis zur Spitzenkandidatin kürten.

So bleibt die Frage offen: Wird Matthias Platzeck 2009 mit Wanka oder mit Kaiser koalieren? Der Regierungschef ließ sich da nicht in die Karten gucken. Dafür machte er 2008 einen anderen Bund offiziell: Als er am 8. Juni seine Liebste Jeanette Jesorka in der Dorfkirche Ringenwalde heiratete – und schneeweiße Tauben in den uckermärkischen Himmel steigen ließ.

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