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Roman Polanski erzählt: Die wilde Vita eines Meisterregisseurs

Familientragödien, Justizkonflikte, Oscar-Ruhm: Der Dokumentarfilm „Roman Polanski. A Film Memoir“ protokolliert die Lebensstationen einer beschädigten Seele.

Sein internationaler Durchbruch liegt genau fünfzig Jahre zurück: 1962 lief seine coole, in Schwarz-Weiß gefilmte Dreiecksgeschichte „Das Messer im Wasser" im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig und brachte ihm eine erste Oscarnominierung ein. Seitdem ist Roman Polanski ein weltweit angesehener Regisseur, der auf einige Meisterwerke, einige kommerzielle Erfolge und einige respektable Misserfolge zurückblicken kann. Die Coen-Brüder, Atom Egoyan und auch Darren Aronofsky betrachten ihn ausdrücklich als Vorbild. Fragt man allerdings den Mann von der Straße, was ihm zu Roman Polanski einfällt, dann wird er wahrscheinlich sagen: Das ist doch der Kerl, der wegen Sex mit einer Minderjährigen verhaftet wurde.

Diese verengte Sicht auf einen großen Künstler muss man wohl zum Schein übernehmen, um das Kinopublikum für eine Dokumentation zu interessieren. Laurent Bouzereau, der schon rund 150 „Making of“-Videos gedreht hat, lässt seinen Film mit der Verhaftung Polanskis im September 2009 beginnen. Es folgen Interviews, die der aus der Haft entlassene, unter Hausarrest stehende Regisseur seinem alten Freund Andrew Braunsberg gegeben hat. Sein Leben wird chronologisch erzählt, begleitet von Wochenschauaufnahmen und Ausschnitten aus Spielfilmen. Am Ende freuen sich alle Beteiligten über die Entscheidung der Schweizer Justiz, Polanski nicht an die USA auszuliefern.

Bouzereaus konventioneller Ansatz erweist sich als Vorzug. Polanskis Leben war und ist aufregend genug, da muss nichts mehr visuell oder akustisch aufgepeppt werden. Von diesem Film geht eine Ruhe aus, die ihn nicht nur von herkömmlichen TV-Dokumentationen abhebt. Alexandre Desplat hat eine kaum wahrnehmbare Musik komponiert, und auch Pawel Edelman, Polanskis ständiger Kameramann seit „Der Pianist“, glänzt auf uneigennützige Weise. Man spürt die Gegenwart von Vollprofis, die im Hintergrund bleiben wollen.

Diese Atmosphäre prägt in erster Linie Polanski selbst. Er bleibt bescheiden, wo andere geprahlt hätten. Über seine schrecklichsten Erlebnisse spricht er sachlich, wirkt aber nicht emotional abgestumpft. Nie verliert er seinen Sinn für Ironie. Die kurze Haft vor dem Hausarrest in der Schweiz sei gut für ihn gewesen, da habe er endlich einmal Zeit für sich gehabt. Besonders gern erinnert er sich an Venedig 1962: „Damals waren Festivals noch etwas, worauf man sich freuen konnte.“ Damit spielt er auf das Zürcher Filmfestival an, das ihm einen Preis für das Lebenswerk sowie ein „aufregendes und inspirierendes Erlebnis“ versprach. Das Versprechen ist von der Schweizer Polizei eingelöst worden.

Bei der Auswahl der Filmausschnitte wird der autobiografische Charakter betont. In „Der Pianist“, womit er 2002 die Goldene Palme und später den Regie-Oscar gewann, rekonstruierte Polanski auch die eigene Kindheit im Warschauer Ghetto. Aber auch ein unter Eskapismusverdacht stehender Film wie „Tess“ basiert auf Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg: Als kleiner Junge überlebte Polanski den Holocaust, weil polnische Bauern ihn bei sich versteckten. Er half ihnen bei der Heuernte – nur wenige Kilometer von den Vernichtungslagern entfernt.

Seine Mutter war schwanger, als sie in Auschwitz ermordet wurde. Dieses Wissen löste bei Polanski eine Art Schwangerschaftstrauma aus, das er 1968 in „Rosemaries Baby“ thematisiert hat. Noch verstärkt wurde es, als seine hochschwangere Frau Sharon Tate 1969 einer Gruppe von Satanisten zum Opfer fiel.

Und der Fall Samantha Geimer? Er bleibt ungeklärt. Was genau 1977 dem Mädchen angetan worden ist, will oder darf Polanski nicht mit eigenen Worten schildern. Er tut das auch ihr zuliebe. Geimer macht in einem zitierten TV-Interview deutlich, dass sie auf die Justiz und die Presse wütend ist, nicht (mehr) auf Polanski. Ihm wäre es ohnehin am liebsten, man würde sich nur seiner Filme wegen an ihn erinnern. Und welche Filmdose soll man zu ihm ins Grab legen? „Der Pianist“ natürlich. Frank Noack

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