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Schriftsteller Alaa al-Aswani über die Unruhen in Ägypten: "Das sind historische Tage"

Alaa al-Aswani zählt zu den bekanntesten Schriftstellern Ägyptens. Mit dem Tagesspiegel sprach er über die gegenwärtigen Proteste.

Herr al-Aswani, Sie waren auf dem Tahrir-Platz in Kairo am ersten „Tag des Zorns“ dabei. Was geht vor in Ägypten?

Das sind historische Tage. Die Leute haben keine Angst mehr. Vor allem die jungen Menschen haben klare Vorstellungen und Forderungen. Sie wollen demokratische Reformen und eine offene Gesellschaft. Viele haben studiert, sind aber arbeitslos oder in miserablen Jobs. Sie sehen für sich keine Zukunft – sie können keine Familien gründen. Und sie verstehen, dass ihre Lage das Ergebnis von Korruption und Diktatur ist.

Wird das Regime von Präsident Hosni Mubarak nun stürzen?

In einer so aufgeheizten Lage kann das niemand sagen. Die jungen Organisatoren haben über Facebook Hunderttausende mobilisiert. Das zeigt, es hat sich etwas Fundamentales geändert. Vielleicht hat Mubarak noch eine letzte Chance, auf die Forderungen einzugehen. Wenn er das aber nicht tut, wird sein Regime stürzen.

Was sind die wichtigsten Forderungen der Demonstranten?

Sie wollen tief greifende Reformen. Sie wollen, dass die letzten, total gefälschten Parlamentswahlen annulliert werden und der seit 30 Jahren herrschende Ausnahmezustand beendet wird. Sie wollen, dass Mubarak in den Ruhestand geht. Und sie wollen einen neuen Präsidenten bestimmen durch faire und freie Wahlen.

Könnte Mohammed el Baradei der nächste Präsident Ägyptens werden? Er will am Freitag zum ersten Mal an den Demonstrationen teilnehmen.

Baradei ist ein sehr guter politischer Führer, aber längst nicht der einzige. In Ägypten gibt es tausende exzellenter Leute. Doch wir Ägypter konnten in den letzten dreißig Jahren unsere Regierung nie frei wählen. Die Protestierer gehen nicht für Baradei persönlich auf die Straße.

Was ist die Rolle des Militärs? Wird es sich loyal gegenüber Mubarak verhalten?

Das ist keine Frage der Loyalität zu Mubarak, sondern von Loyalität zu Land und Leuten. Das Militär in Ägypten war immer eine mysteriöse Einrichtung. Keiner weiß wirklich, was in ihrem Inneren vorgeht. Die Protestierer repräsentieren das Volk. Am Dienstag auf dem Tahrir-Platz haben viele Polizeioffiziere offensichtlich mit den Demonstranten sympathisiert. Die Leute waren friedlich, diszipliniert, das Ganze hatte fast die Züge einer Party. Erst nachts, als die Polizisten andere Befehle bekamen, sind sie brutal vorgegangen.

Was ist die Lektion für den Westen? Er hat Mubarak immer unterstützt.

Die Bürger und die öffentliche Meinung werden sicher auf unserer Seite stehen. Denn wir fordern Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde. Diese Werte gehören zum Kern der westlichen Zivilisationen. Anders die Regierungen. Sie haben es in der arabischen Welt lieber mit korrupten Diktatoren zu tun als mit einer frei gewählten Führung. Eine demokratische Regierung muss auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, sie sagt also öfter Nein. Die schrecklichsten Diktatoren der arabischen Welt wurden vom Westen hofiert, besonders von den USA. Aber wenn sie stürzen, lässt man sie sofort fallen. Schauen Sie sich das Schicksal von Ben Ali an. Nach seinem Sturz wollte Sarkozy plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben und warf sogar seine Verwandten aus dem Land. Das ist die Lektion für unsere Diktatoren: Wenn ihr eure Macht verliert, habt ihr alles verloren.

Wird Ägypten im Chaos versinken?

Ich hoffe nicht. Die bisherigen Toten sind das Ergebnis exzessiver Gewalt seitens der Polizei – vor allem in der Stadt Suez. Wir Ägypter sind nicht gewalttätig, wir sind Künstler des Kompromisses. Wenn Kompromisse schließen eine Wissenschaft wäre, wären wir die Professoren. Wir lachen gerne und erzählen gerne Witze. Nur wenn man uns in die Ecke drängt, dann revoltieren wir.

Das Gespräch führte Martin Gehlen.

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