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Kultur: ...Zugeschlagen

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (die nächste Sendung am 7. September, 23.

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (die nächste Sendung am 7. September, 23.30 Uhr, u. a. mit Günter Grass als Gast).

10. Joanne Fedler: Weiberabend (Deutsch von Katharina Volk, Knaur Verlag, 384 Seiten, 12,95 €)

Acht Frauen, allesamt Mütter, versammeln sich einen Abend bei vegetarischer Lasagne und Garnelencurry, um Fragen zu erörtern wie: Was ist schlimmer für meine Tochter, ein gebrochener Arm oder ein abgebrochener Zahn? Joanne Fedlers in lupenreiner Östrogenprosa verfasstes Wortprotokoll dieser Gespräche ist ein schönes Beispiel jener verblödenden Gehirnwäsche, die kluge Frauen zu willenlosen Gebärmaschinen dressiert. Ist irgendwo noch ein Mutterschaftskreuz übrig?

9. Stephenie Meyer: Bis(s) zur Mittagsstunde (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Ein schönes Mädchen, ein Vampir und ein Werwolf treffen im Amerika der Gegenwart aufeinander: Darüber ließe sich gewiss Spannendes schreiben. Aber diese Geschichte wird von einer bekennenden Mormonin erzählt, weshalb Meyer ihr Personal nicht einfach durch Wälder oder Betten toben lassen kann, sondern aufgrund ihrer moralischen Beißhemmung über fünfhundert Seiten lang einander anschmachten lassen muss. Deshalb verhält sich Meyers Triebverzichtsschmonzette zu einem guten Fantasyroman wie ein Tofu-Bratling zu einer Bulette: nur etwas für konditionierte Gaumen.

8. Ralf Husmann: Nicht mein Tag (Scherz Verlag, 256 Seiten, 13,90 €)

Auch mal schön: ein lustiger deutscher Unterhaltungsroman mit geschliffenen Dialogen, hervorragendem Timing und bemerkenswerter Beobachtungsgabe. „Sie gehört zu den Frauen, die einen Namen für ihr Auto haben (ihres heißt ‚Ploppy’, wenn er das richtig verstanden hat) und die ‚Kompi’ zu ihrem Computer sagen.“ Ralf Husmann erzählt von einem Mann auf der Flucht vor seinem Seitenscheitel und über den haarfeinen Unterschied zwischen einem Bankräuber und einem Bankangestellten.

7. Henning Mankell: Der Chinese (Deutsch von Wolfgang Butt, Zsolnay Verlag, 606 Seiten, 24,90 €)

Natürlich ist der psychologische Realismus nicht die allgemein verbindliche Form des Kriminalromans. Andererseits: Haben Sie schon mal daran gedacht, jemanden umzubringen, weil Ihre Vorfahren vor gut 150 Jahren ausgebeutet wurden? Als Krimi ächzt der neue Mankell unter der Implausibilität der Motive, die der Autor konstruieren muss, weil er unbedingt vom Elend chinesischer Eisenbahnarbeiter im Amerika des 19. Jahrhunderts und vom Neoimperialismus in Afrika erzählen möchte. Ein Leitartikel wäre hierfür die geeignetere Form gewesen.

6. Dora Heldt: Urlaub mit Papa (dtv, 319 Seiten, 12,90 €)

Früher hätte man so etwas einen „heiteren Familienroman“ genannt. Warum nur liegt über dieser Geschichte um eine 45-jährige Tochter, die mit ihrem trotteligen, aber umso meinungsstärkeren Vater zwei Wochen auf Norderney verbringen muss, eine mindestens so dicke Patina wie auf einer Heinz-Erhardt-Komödie? Weil ihr Gesellschaftsbild nicht aus der Wirklichkeit, sondern aus deutschen Vorabendserien stammt.

5. Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels (Deutsch von Gabriela Zehnder, DTV, 364 Seiten, 14.90 €)

Noch ein Unterhaltungsroman, aber in der intelligenten und bittersüßen französischen Variante. Barberys Geschichte um eine lebenskluge Concierge, einen suizidgefährdeten Teenager und einen Japaner in Paris besticht durch eingeschmuggelte, aber nie deplatziert wirkende Sätze, die auch eines Kafka oder Heiner Müller würdig wären: „Was ist das für ein Krieg, den wir angesichts der Eindeutigkeit unserer Niederlage führen? Morgen für Morgen, schon erschöpft von all den kommenden Schlachten, erneuern wir den Schrecken des Alltag, diesen endlosen Korridor, der uns in den letzten Stunden zum Schicksal gereicht, weil er so lange abgeschritten worden ist.“

4. Siegfried Lenz: Schweigeminute (Hoffmann und Campe, 128 Seiten, 15,95 €)

Berührend, aber diskret und wohltuend entschleunigt erzählt Siegfried Lenz von der Liebe zwischen einem Schüler und einer Englischlehrerin und entfaltet dabei unangestrengt und wie selbstverständlich einen weiten intellektuellen Raum: von der Interpretation von Orwells „Animal Farm“ über Heringsquoten bis hin zu der treffenden Feststellung, dass es einem Engländer nie in den Sinn käme, „How do you like my country?“ zu fragen. Ein großes kleines Buch.

3.Ken Follett: „Die Tore der Welt“ (Deutsch von Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt, Lübbe, 1120 Seiten, 24,95 €)

Wem „Die Säulen der Erde“ gefallen hat, wird in Follets zwei Jahrhunderte später spielenden Fortsetzung auch nicht schlechter bedient. Allerdings erzählt einem dieser Roman ausschließlich Dinge übers Mittelalter, die man ohnehin schon wusste. Wer mehr will, sollte zu Valentin Groebners zum Weiterdenken einladenden Essay „Das Mittelalter hört nicht auf“ (C. H. Beck, 192 Seiten, 19,90 €) greifen.

2. Cecila Ahern: Ich hab dich im Gefühl (Deutsch von Christine Strüh, Krüger Verlag , 414 Seiten, 16,90 €)

In der Wirklichkeit hat man nach einer Bluttransfusion unter Umständen AIDS oder Hepatitis. In der Welt von Cecilia Aherns neuem, unsäglich zerdehnten Kitschroman kann man nach einer Bluttransfusion bislang unbekannte Fremdsprachen verstehen, und es spuken einem fremde Erinnerungen an Paris durch den Kopf. Wenn dem so wäre, wünschte ich mir, Cecila Ahern bekäme umgehend Blut von Brigitte Kronauer gespendet. Ein klitzekleines Tröpfchen müsste reichen.

1. Charlotte Roche: Feuchtgebiete

(DuMont, 219 Seiten, 14,90 €)

Es gibt Romane, von denen wünscht man sich, sie würden nie zu Ende gehen. Und dann gibt es Romane, von denen wünscht man sich, sie würden endlich mal anfangen. So wie dieser über das Scheidungskind Helen Memel, das sich nichts so sehr wünscht, wie dass Mama und Papa sich wieder vertragen, und einstweilen gegen den vermeintlichen Hygieneterror unserer Gesellschaft rebelliert. Ein Trost aber bleibt. Roche formuliert ihn auf Seite 176 : „Die angebliche Seele, das Gedächtnis, jede Erinnerung und die Liebe werden zusammen mit dem Gehirn einfach zu Wurmscheiße verarbeitet. Auch die Augen. Und die Muschi.“ Also auch auch dieses Buch. Saubere Sache das.

Fortsetzung von Seite 23

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