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Philip-Lorca diCorcia zahlte beiden jeweils 30 Dollar, so viel hätten sie für Sex genommen. Dann durfte er das Prostituiertenpaar fotografieren.

© Galerie

10 Jahre Gallery Weekend in Berlin: Stadt der Sterne

Das Gallery Weekend in Berlin feiert Jubiläum: Wie aus einer Sicherungsmaßnahme ein Modell wurde, das selbst die New Yorker kopieren.

Zehn Jahre lang dasselbe tun, was für eine elende Routine: die Sammler zusammentrommeln, Multiplikatoren informieren und Ausstellungen der eigenen Starkünstler immer brav in das Frühjahr legen. Man könnte meinen, das Gallery Weekend, das am Freitag mit einem langen Abend der Eröffnungen begonnen hat, legt Berlins Galeristen in Fesseln. Ein erzwungener Rhythmus, dem sich beugen muss, wer dabei sein will. Man kann es auch anders sehen: Zehn Jahre war Zeit, um aus einem x-beliebigen Wochenende ein Ereignis zu machen. Das Gallery Weekend funktioniert bis nach New York als Vorbild und ist längst Pflichttermin für den internationalen Jetset der Kunst. „Alle Messeleiter und alle Kuratoren sind an diesem Wochenende in Berlin“, sagt Galerist Alexander Schröder als einer der Organisatoren. Welche Chance für die Stadt der Ateliers und Galerien!

Längst nicht alle dürfen mitmischen. Das Weekend ist über die Jahre zwar gewachsen, lädt aber nicht mehr als 50 Teilnehmer ein. Darunter finden sich Galerien wie Neugerriemschneider, Contemporary Fine Arts oder Neu, die einst rund um die Auguststraße saßen und immer weiter gewachsen sind. Aber auch Capitain Petzel oder Sprüth Magers hat man bald nach ihrer Ankunft in den exklusiven Zirkel gebeten. Obwohl sie Stammhäuser in anderen Städten haben und erst kamen, als Berlins Ruf gefestigt war. Das missfällt vielen Kunsthändlern der ersten Stunde. Dennoch profitieren am Ende alle in der Stadt Ansässigen von der Energie jener privaten Initiative: Wer sich nicht inoffiziell anschließt und seine Räume ebenfalls das Wochenende über öffnet, der hat die Zeichen der Zeit schlicht verschlafen.

Was niemand leugnet: Das Gallery Weekend ist aus Eigennutz entstanden. Gegründet wurde es von einer Handvoll Galeristen, die in den Nullerjahren spürten, dass sich die Tektonik des Kunstmarktes verschiebt. Was heute für alle sichtbar ist, die neuen Zentren in Fernost oder das schnelle Wachstum künstlich befeuerter Hotspots wie Los Angeles, kündigte sich an. Dagegen halfen keine spektakulären Einzelgänge – sondern nur konzertierte Aktionen, wie es die Kunstmesse Art Forum bis 2010 war. Oder gemeinsame Ausstellungen mit etablierten Künstlerpositionen, die auch Auswärtige komfortabel an einem Wochenende abwandern können. So erweist sich das Gallery Weekend zum Jubiläum als kluge Maßnahme. Als Schutz, damit das immer noch hoch gehandelte Berlin nicht irgendwann zum marginalen Punkt auf der Landkarte schrumpft.

Neue Künstler, tolle Orte und Wiederentdeckungen

Denn der Kunstmarkt lebt von Entdeckungen ebenso wie von der Bewegung. Im Fokus können Orte oder Künstler stehen. Beides bietet das Gallery Weekend verlässlich in den Konturen von Berlin. Es hat ein verfallendes Kaufhaus auf der Wallstraße entdeckt, ein expressives Justizgebäude in Charlottenburg und immer neue, eigenwillige Ausstellungsräume, die von Galeristen temporär hinzugemietet werden. Dass es selbst in Mitte noch unbekannte Areale gibt, beweist etwa die Galerie Neu zu ihrem 20-jährigen Jubiläum mit einem Umzug zurück zur Auguststraße – in ein stillgelegtes Heizwerk. Nicht zu vergessen Johann König, der mit der Betonarchitektur von St. Agnes seit 2011 einen Ort hat, den jeder Künstler anders interpretiert.

Eine frische Adresse ist vergangenen Herbst auch mit der Galerie Kewenig hinzugekommen. Sie hat in der Brüderstraße in Mitte eines der wenigen verbliebenen Stadthäuser aus barocken Zeiten entdeckt und denkmalgerecht sanieren lassen. Dass es von hohen Plattenbauten geradezu eingekesselt und an einer Stelle sogar geschnitten wird, macht das sogenannte Galgenhaus zu einer charmanten Entdeckung. Mit dem französischen Künstler Bertrand Lavier stellt hier aktuell ein Vertreter geometrischer Malerei mit klaren, intensiven Farben aus. Peres Projects bietet mit David Ostrowski einen jungen Künstler, dessen Gemälde dem Galeristen geradezu von der Wand gerissen werden. Mit Georg Karl Pfahler, Jahrgang 1926, präsentiert die Galerie Crone eine Wiederentdeckung, Gordon Matta-Clark wünscht man sich nach einem Besuch der Galerie Thomas Schulte gleich im institutionellen Überblick. Ähnlich verhält es sich mit Gerhard von Graevenitz und seiner Op-Art bei Wolfgang Werner. Verlässliche Namen bieten Esther Schipper mit Liam Gillick, die Galerie Buchmann mit Wolfgang Laib oder Michael Haas, der Arnulf Rainer und Dennis Scholl im Doppelpack zeigt. Die etablierte amerikanische Künstlerin Pae White stellt in den Räumen der Galerie Neugerriemschneider aus, die parallel das Atelier des 2002 verstorbenen Michel Majerus für ein kuratorisches Experiment öffnet.

Weshalb längst nicht jede Galerie mit den großen Namen ihres Programms winkt, erklärt Galerist Guido Baudach vom Weekend-Team: „Solche Ausstellungen haben den Standort etabliert. Vor diesem Hintergrund kann man das Gallery Weekend entspannter sehen und die Entscheidung treffen, eben nicht die Zugpferde zu präsentieren. Sondern Künstler, die vielleicht unverdient nicht so im Fokus stehen. In solchen Momenten werden auch mal Stars geboren.“

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