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10. Todestag von Rio Reiser: "König von Deutschland"

Am 20. August 1996 starb Rio Reiser auf seinem Hof in Fresenhagen. Bekannt wurde er als Sänger der Berliner Rockband Ton Steine Scherben («Macht kaputt, was Euch kaputt macht»).

Fresenhagen - Ein schlichter weißer Holzzaun umsäumt das auf der Rückseite eines alten friesischen Bauernhofs gelegene Grab. Den Zugang zur Grabstelle umrahmt ein Efeubogen. Nur ein paar Kilometer südlich der deutsch-dänischen Grenze ruht hier in Fresenhagen inmitten des beschaulichen Nordfrieslands seit zehn Jahren Ralph Möbius, bekannter unter seinem Künstlernamen Rio Reiser, der "König von Deutschland".

Ein gläsernes Herz samt dazugehöriger Kerze liegt auf dem Grab. Direkt auf dem Stein liegen ein von Wind und Wetter gezeichnetes Holz-Percussioninstrument und ein Ring. Täglich besuchen Fans des Musikers das Grab, besonders viele sind es während der Sommermonate. "Hier hat man geniale Ideen gehabt", lobt Ingolf Becker und schaut dabei vom Grab aus auf den reetgedeckten Hof. Der Eisenacher nutzte seinen Urlaub an der Küste zu einem Abstecher in den kleinen Ort bei Leck.

"Die Band wollte raus aus Berlin"

Reiser war Frontmann der Berliner Rockband Ton Steine Scherben ("Macht kaputt, was Euch kaputt macht"). 1975 siedelte die Gruppe nach Schleswig-Holstein um, ließ sich auf dem Hof nieder. "Die Band wollte damals raus aus Berlin", sagt Reisers Bruder Gert Möbius. Der Druck aus der linken Bewegung auf die Kultrockband sei damals zu groß gewesen. "Sie wollten sich nicht so vereinnahmen lassen von einer Bewegung, sie waren ja schließlich eine Rockband." Durch Zufall sei die Band auf den damals heruntergekommenen Hof in Fresenhagen gestoßen.

Überall in dem Hof erinnern Fotos an diese Zeit, in dem die Scherben in der norddeutschen Idylle lebten und arbeiteten. Heute können acht Zimmer in dem Anwesen von Fans gemietet werden, 25 Euro die Nacht inklusive Frühstück. Über den Betten hängen die Songtexte der jeweils nach einem Lied des Musikers benannten Zimmer. Das Café ist nach Problemen mit dem Bauamt derzeit geschlossen. Fast unberührt ist noch heute das Arbeitszimmer des Sängers. Im Flur davor steht sein Videoarchiv: 397 durchnummerierte Kassetten, größtenteils mit dem eigenen Videorekorder aufgenommen. "Der Pate Teil 1" ist dort genauso zu finden wie "Alf".

Im Arbeitszimmer liegt auf einem Klavier der Hut des Mannes mit der rauen Stimme und den lyrischen, teilweise sehr politischen Texten. Über den vollen Bücherregalen hängen Spinnenweben. Neben religiösen Büchern stehen dort auch die Bände von Karl May. Auf einer dunklen Säule thront die schwarze Totenmaske des Künstlers. "Wenn Rio an Texten gearbeitet hat, durfte nur ich den Raum betreten, aber nur kommentarlos", erzählt Jan "fun" Bajen. Er war laut Arbeitsvertrag ab 1994 "Fahrer und Adjutant" von Rio Reiser, später der letzte Lebensgefährte des Musikers. Als Rio starb, war der heute 35-Jährige gerade Hund Alfa Gassi führen. Reiser starb am 20. August 1996 ganz überraschend. "Er ist erstickt", sagt Bajen.

Jeder Auftritt war ein Minusgeschäft

In der norddeutschen Idylle schrieb der Musiker auch seine Hits "König von Deutschland" und "Junimond". Von einigen alten Weggefährten wurde er für das kommerziell erfolgreiche Soloalbum "Rio I." allerdings kritisiert. Dabei konnte er mit dem Geld des Plattenvertrags die Schulden der Scherben tilgen. Angesichts der niedrigen Eintrittspreise von zehn Mark "war ein Auftritt damals jedes Mal ein Minusgeschäft", sagt Möbius.

Ein Minusgeschäft ist heute auch der Hof in Nordfriesland. "Ein einziger Zuschussbetrieb", sagt Möbius. An eine Aufgabe denkt er deshalb aber noch lange nicht. Schließlich verdiene sein Bruder ja posthum durch Tantiemen weiter Geld.

Am Wochenende wird wieder reichlich Leben einziehen in Fresenhagen. Dann spielen acht Gruppen um den mit 5000 Euro dotierten Rio-Reiser-Songpreis. Am Freitag und Samstag werden wahrscheinlich mehr als 1000 Fans auf dem Hof feiern. Den bislang letzten Songpreis 2003 gewannen übrigens Juli. Von stillem Gedenken auch am Sonntag, dem zehnten Todestag, keine Spur. "Vielleicht spielt eine Band am Grab Rios Songs auf klassischen Instrumenten", sagt Möbius. (tso/André Klohn, ddp)

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