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Gothic-Ikone: Der schlafwandelnde Mörder Cesare aus Wienes Klassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari".

© Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

100 Jahre „Das Cabinet des Dr. Caligari“: Eine virtuelle Installation führt in die expressionistische Welt des Klassikers

Das Berliner Museum für Film und Fernsehen widmet Robert Wienes Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ eine Ausstellung.

Höhnisches Gelächter klingt aus den Kopfhörern, verschwörerisches Gemurmel. Man ist irritiert: die Szenerie seltsam verschroben, eckige Formen, perspektivisch unmögliche Schrägen, eingesperrt in ein Gitter aus weißen Linien, das den Betrachter umgibt wie eine virtuelle Gefängniszelle. Im Blickfeld ein offener Sarg, darin ein Mann mit düster umschminkten Augen, während ein zweiter mit altertümlichem Gehrock, Stock und Zylinder den vermeintlich Toten zu beschwören scheint.

Menschen mit allzu sensiblem Gleichgewichtssinn ist „Das Virtuelle Kabinett“ des Dr. Caligari eher nicht zu empfehlen. Man verliert doch ein wenig die Orientierung, so mit VR-Brille auf der Nase, im Ohr unheimliches Geflüster. Der begehbare Würfel, gelb im Grundton und mit Ornamenten à la Caligari dekoriert, ist das Herzstück der Ausstellung, mit der das Museum für Film und Fernsehen den 100. Geburtstag von Robert Wienes expressionistischen Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ feiert. Uraufgeführt wurde er am 26. Februar 1920 im Marmorhaus.

Cesares Gothic-Look inspirierte den Joker

Das Kabinett mit dem Virtual-Reality-Film „Der Traum des Cesare“ wurde vom Goethe-Institut Warschau und der Ufa konzipiert, inklusive einer lebensgroßen, sehr Selfie-tauglichen Figur des mörderischen Schlafwandlers Cesare. Klar, dass man mit diesen beiden geliehenen Stücken, die die Objekte aus dem Bestand der Deutschen Kinemathek ergänzen, auf ein jüngeres Publikum schielt, wie Peter Mänz, einer der beiden Kuratoren, zugibt. Wie auch mit der Fotoschau prominenter Nachfolger des somnambulen Cesare, die deutlich von dessen Gothic-Look inspiriert wurden: Otto Dix‘ Porträt der Skandaltänzerin Anita Berber, Johnny Depp in „Edward mit den Scherenhänden“, Cure-Sänger Robert Smith und Joaquin Phoenix als der„Joker“.

Filmgeschichte kann eben hochaktuell sein. Obwohl gerade im Fall Caligari die Vergangenheit spannend genug ist. Schon die Werbekampagne trommelte damals – ein alter Trick – sehr laut, wobei niemand wusste, worum es eigentlich ging. Der Aufruf „Du musst Caligari werden“ überschwemmte Wochen vor der Premiere Litfaßsäulen und Zeitungsspalten. „Du bist so Manoli“ kannten die Berliner aus einer Zigarettenreklame, Synonym für leichte Verrücktheit. Aber jetzt sollte man…wer sein?

Die Beteiligten spannen ihre eigenen Mythen

Legenden umgeben den Film, gestrickt von den mehr und auch den weniger Beteiligten, um ihren Beitrag zu diesem Jahrhundertwerk herauszustellen. Eine der kuriosesten verbindet sich mit zwei ausgestellten Caligari-Blättern von Walter Röhrig, einem der drei Filmarchitekten - angeblich eigens angefertigt, um in einer Mappe mit weiteren Filmzeichnungen Hitler zu dessen 50. Geburtstag überreicht zu werden. Ob sie Hitler tatsächlich erhielt, ist unwahrscheinlich - und noch zweifelhafter, dass ihm der Film gefallen haben könnte.

Erfunden oder falsch erinnert ist auch die Behauptung des Komponisten Giuseppe Becce, bei der Uraufführung im Marmorhaus sei nur ein Potpourri bekannter Melodien gespielt worden. Erst mit seiner für die Wiederaufführung im Mozartsaal komponierten Musik sei „Caligari“ ein Erfolg geworden. Der Filmhistoriker Olaf Brill hat nachgewiesen, dass Becces Musik schon im Marmorhaus gespielt wurde, nur möglicherweise noch nicht bei einer einzelnen Aufführung vor der Weltpremiere.

Der Film war lange nur bruchstückhaft überliefert

Den Erfolg des Films machten nicht zuletzt die bemalten Kulissen aus. In der Dauerausstellung des Museums ist als Modell das Studio in der heutigen Liebermannstraße in Weißensee zu sehen, wo „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gedreht worden war - rekonstruiert von Hermann Warm, einem der Architekten. Fünf weitere seiner Modelle von Filmräumen, einige von ihm rekonstruierte Set-Zeichnungen und auch eine originale von Walter Reimann, dem dritten im Bunde, sind in der Jubiläumsschau zu sehen.

Sie stehen gleichsam für die vielen Versuche, den beschädigt überlieferten Film wiederherzustellen. Lange war dies allein über lädierte Verleihkopien möglich. Erst vor wenigen Jahren konnte auf das alte und fast komplette Kameranegativ zurückgegriffen werden, das 1945 nach Moskau verschleppt worden war, später im Staatlichen Filmarchiv der DDR und nach der Wende im Bundesfilmarchiv landete. Die restaurierte Fassung wurde auf der Berlinale 2014 vorgestellt, in der Caligari-Schau läuft sie in einem angeschlossenen Minikino in Dauerschleife.
Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Straße 2, bis 20. April

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