zum Hauptinhalt
Ein Mann steht vor eine Schautafel mit dem Bildnis von Gavrilo Princip in Sarajevo. Der bosnisch-serbische Arbeiter erschoss Franz Ferdinand und Sophie in 1914.

© reuters

100 Jahre Erster Weltkrieg: Die Schüsse von Sarajevo - der Unheilsmoment

Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek überlebten ein erstes Attentat nur knapp. Ein Zweites kostete beiden das Leben. Heute vor 100 Jahren fielen die Schüsse von Sarajevo. Sie leiteten den Ersten Weltkrieg ein.

Heute vor hundert Jahren, am 28. Juni 1914, wurde Joseph Roth von einer Nachricht überrascht. „Es war Sonntag, ich war Student“, erinnerte er sich später. „Am Nachmittag kam ein Mädchen, man trug damals Zöpfe. Sie trug einen großen, gelben Strohhut in der Hand, er war wie ein Sommer, erinnerte an Heu, Grillen und Mohn. Im Strohhut lag ein Telegramm, die erste Extra-Ausgabe, die ich je gesehen hatte, zerknüllt, furchtbar, ein Blitz in Papier. ,Weißt’, sagte das Mädchen, ,sie haben den Thronfolger erschossen.“

Ein herrlicher, sonnendurchfluteter Tag muss das in Sarajevo gewesen sein, auf den historischen Fotos erkennt man Schlagschatten. Erzherzog Franz Ferdinand, der habsburgische Thronerbe, und seine Frau Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin besuchten die Stadt und fuhren in einem offenen Automobil vom Bahnhof zum Rathaus. Entlang ihrer Route hatten sich sieben Terroristen aufgebaut, die vom serbischen Geheimbund „Schwarze Hand“ instruiert worden waren. Als der Wagen einige Kais an der Flussseite erreichte, warf ein Attentäter eine Bombe. Sie verfehlte ihr Ziel, explodierte unter dem folgenden Fahrzeug und verletzte mehrere Offiziere. Die Kolonne erreichte ohne weitere Zwischenfälle das Rathaus. Franz Ferdinand hielt eine Ansprache, in der er sich für „jubelnden Ovationen“ der Bevölkerung bedankte, in denen er auch einen „Ausdruck der Freude über das Misslingen des Attentats“ sah.

Der zweite Angriff

Fatalerweise wollte das Erzherzogspaar anschließend ein Krankenhaus besuchen, in dem einer der verwundeten Offiziere lag. Ihr Wagen folgte der Route, auf der er zum Rathaus gekommen war. Als die Kolonne an der Franz-Joseph-Straße stoppte, trat der bosnisch-serbische Hilfsarbeiter Gavrilo Princip aus dem Schatten einer Markise und erschoss Franz Ferdinand und Sophie.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Schüsse von Sarajevo markieren einen welthistorischen Wendepunkt, sie waren das Gegenteil von dem, was Stefan Zweig „Sternstunden der Menschheit“ nannte: ein Unheilsmoment. Er erinnert an das unheilvolle Grummeln, das wahrzunehmen sein soll, bevor ein Vulkan ausbricht. Das Blut des Thronfolgers und seiner Frau, das gegen 10 Uhr 50 vergossen wurde, war das erste Blut, das der Erste Weltkrieg fordern sollte. Es folgte ein Monat voller Drohungen, Ultimaten und Verhandlungen, dann begannen die Mobilmachungen und Kriegserklärungen. Kaiser Wilhelm II. nutzte den Juli für eine Reise mit seiner Jacht „Hohenzollern“ durch norwegische Fjorde.

Mobilmachung zum Krieg

Der große Krieg sollte weit schrecklicher werden als jeder Krieg, der damals vorstellbar war. Es starben fast zwanzig Millionen Menschen. Sarkastisch hat Siegfried Kracauer, der nicht an die Front musste, in seinem Roman „Ginster“ die aus Patriotismus und Apathie gemischte Stimmung in der Heimat geschildert: „Jeder einfache Soldat war ein Held, auch die Hausfrauen benahmen sich heldisch. Ginster war von einer Bevölkerung umgeben, die aus lauter Helden bestand. Aus ihr ragten besondere Helden hervor, die Flieger abschossen, Schützennester aushoben und Schiffe versenkten. Ab und zu trat ein neues Land in den Krieg.“

Der Erste Weltkrieg entwickelte sich zum ersten totalen Krieg. Die Heimat wurde zur Heimatfront, niemand in Europa konnte ihm entkommen. Selbst der „Zauberberg“, die Lungenheilanstalt in der neutralen Schweiz, in die sich das „treuherzige Sorgenkind“ Hans Castorp geflüchtet hatte, wurde von der Mobilmachung erfasst. Thomas Mann spricht vom Tag von Sarajevo als „betäubender Detonation lang angesammelter Unheilsgemenge aus Stumpfsinn und Gereiztheit“. Castorp verlässt den Zauberberg und meldet sich zur Armee. Am Ende des Romans sieht ihn der Leser wie auf einem Wimmelbild inmitten eines scheiternden deutschen Angriffs. „Sie werden getroffen, sie fallen, mit den Armen fechtend, in die Stirn, in das Herz, ins Gedärm geschossen. Sie liegen, die Gesichter im Kot, und rühren sich nicht mehr.“ Ob Hans Castorp den Krieg überlebt hat? Wir wissen es nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false