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Kultur: 119 Minuten mit ... Kate Winslet

Harald Martenstein begrüßt den Wandel der Deutschen im Hollywood-Kino.

Irgendwie ist Deutschland für einen vermutlich kurzen Moment in das Zentrum des Weltkinos gestolpert. Im Kino läuft ja immer noch der Stauffenberg-Film von Tom Cruise, bei der Eröffnung der Berlinale sieht man fast als erstes den Berliner Hauptbahnhof, vor dem es – eine typische Hollywoodlüge – massenhaft Parkplätze gibt, dann die deutsche Liebesgeschichte „Der Vorleser“, bald „Deutschland 09“, der Episodenfilm.

Früher war es so. Wenn ein Regisseur eine Figur dem Weltpublikum als einen typischen Deutschen vorstellen wollte, dann sprach diese Figur zackig, hatte einen speckigen Nacken und schlug die Hacken zusammen. Heute ist der typische Deutsche eine Figur, die sich, trotz Rauchverbotes, nachdenklich eine Zigarette anzündet. In „Der Vorleser“ sitzen deutsche Juristen über SS-Mördern zu Gericht. Und die Nazibestie hat, im Bewusstsein des Weltkinos, bis auf weiteres das schöne Gesicht von Kate Winslet.

In jeder herzzerreißenden Liebesgeschichte kommt es darauf an, zwischen einem Paar, das füreinander wie geschaffen scheint, ein möglichst großes Hindernis zu errichten, bei Romeo und Julia sind es die verfeindeten Familien. Hier heißt das Hindernis Auschwitz.

Vor ein paar Jahren konnte fast jeder den Satz herunterbeten, dass es nach Auschwitz kein Gedicht mehr geben dürfe, nicht einmal das, nur Schweigen. Jetzt kann es eine Hollywood-Kino-Liebesgeschichte geben, deren Julia eine SS-Frau ist. Das bedeutet, wir sind, von Adorno zu Schlink, klüger geworden. Die Mörder waren wirklich ganz normale Leute, und das ist eben gerade keine Verharmlosung, im Gegenteil. Es wäre zu einfach, und zu harmlos, wenn nur Außerirdische zu solchen Taten imstande wären. Und danach? Man kann sie nicht erschießen, man kann sie nicht alle wegsperren, man kann nicht einmal schweigen. Sie leben weiter, sie lieben, sie leiden, sie freuen sich, sie lernen lesen, Erlösung ist nicht im Programm vorgesehen, denn, wie einer der besten Sätze dieses, trotz schrecklicher Musik, guten Films lautet: „Die Toten sind immer noch tot.“

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