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Kultur: 13 000 Ölfässer in 350 000 Kubikmeter Nichts

Der Wall türmt sich empor wie ein Werk von Riesenkinderhand, übermütig aufgeschichtet, bereit zum Einsturz oder davonzufliegen - ein Schwarm von dreizehntausend knallbunten Fässern.Doch "The Wall" steht.

Der Wall türmt sich empor wie ein Werk von Riesenkinderhand, übermütig aufgeschichtet, bereit zum Einsturz oder davonzufliegen - ein Schwarm von dreizehntausend knallbunten Fässern.Doch "The Wall" steht.68 Meter lang, 26 Meter hoch und sieben Meter breit durchschneidet der Ölfässerstapel das Rund des Oberhausener Gasometers.Halbiert seine Fläche, schwingt sich bis weit in seine Höhe, bietet mit rotgelber Fröhlichkeit dem finsteren Kathedralraum Paroli.Christo und Jeanne-Claude haben es geschafft.Sie haben den unberührbaren Hohlriesen - 350 000 Kubikmeter Nichts zwischen anthrazitschimmernden Stahlwänden, über hundert Meter hoch - zum Lächeln gebracht.Unvergessen, als - für den europäischen Zuschauer nur im Film - Tausende blauer Schirme in Japan, gelber in Kalifornien gleichzeitig aufgingen.Es war, als erblühe in kilometerlangen Tälern beidseits des Pazifiks ein plötzlicher Frühling."The Umbrellas" öffneten sich 1991, vier Jahre später fiel eine schimmernde Haut über den Berliner Reichstag.

Auch angesichts von "The Wall" reibt man sich wieder die Augen vor einem nie zuvor gesehenen Bild, staunt über jene eigenartige Mischung aus Übermut und Berechnung, aus Gigantomanie und Zartheit.Eine Wand zu errichten ist nicht untypisch für die "Verpackungskünstler" Christo und Jeanne-Claude.Zwar begann Christo 1958 seine Laufbahn damit, kleine Alltagsgegenstände zu verhüllen und sie so aus ihrer Funktionalität zu befreien.Doch dem Prinzip des Sichtbarmachens durch Verbergen gesellte sich bald das des Verbindens durch Versperren hinzu.Es fand 1962 in einer Ölfässerwand seine Uraufführung, die die Pariser Rue Visconti verbarrikadierte.Aus Fässern, selbst Sinnbild von Innen und Außen, hat Christo - seit 1994 Christo und Jeanne-Claude - in den Folgejahren zahlreiche Projekte in Museen entwickelt.Ein gigantisches Außenprojekt, eine Mastaba aus Millionen von Fässern in Abu Dhabi, wurde bislang nicht realisiert; der Oberhausener Wall, in dreimonatiger Arbeit montiert, ist mithin das gewaltigste Stapelwerk des Künstlerpaars.Es ist, wie immer bei Christo-Projekten, kaum beschreibbar.Die Wand ist so groß, daß sie von keinem Punkt aus mit einem Blick zu erfassen ist - es sei denn, man fährt mit dem Innenaufzug unters Dach des Gasometers, dann zeigt sich "The Wall" jedoch als dicker bunter Diagonalstrich durch den Rundraum.Am Fuß der Mauer aber ist der Eindruck der des Widerspruchs von Überwältigung und Leichtigkeit, von Erhabenheit und Augenzwinkern.Die Anordnung der Farben - speziell ausgesuchtes Gelb und Orangerot, durchsprenkelt von Blau, Grün und Grau - folgt keinem Muster; durch die leicht vor- und rückspringende Anordnung der Fässer wirkt die Wandfläche malerisch atmend und löst sich an den Rändern des Blicks pointilistisch auf.Der untere Raum des Gasometers - die ehedem auf dem (Kokerei-)Gas schwimmende Stahlscheibe ist auf vier Metern Höhe fixiert - präsentiert zwei Ausstellungen: Dokumentationen von "The Umbrellas" und "Wrapped Reichstag", die damit erstmals gezeigt werden.Modelle, Skizzen, Großfotos und Filme der beiden verflogenen Projekte, die im Falle der Reichstagsverhüllung auch an den 20 Jahre langen Kampf ums politische Okay für diese Idee erinnern.Im einstmaligen Kohleland Ruhrgebiet eine Mauer aus Ölfässern zu errichten, ist eine ironische Verschiebung, ein fingerschnippender Kommentar auf das vergehende Zeitalter fossiler Energie und seine mentalen Dispositionen.Wie alle Projekte von Christo und Jeanne-Claude ist auch dieses vergänglich; im Gegensatz zu anderen jedoch nicht selbst finanziert: Die nötigen drei Millionen spendierte die Internationale Bauausstellung Emscher Park.

Oberhausen, Gasometer, bis 3.Oktober.Der Katalog kostet 29,95 Mark.Info-Tel.: 0208 / 8503-733.

ULRICH DEUTER

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