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13. Gallery Weekend Berlin: Bitte reden statt surfen

Die Kunst sucht sich wieder Raum für Auseinandersetzungen. An besonderen Orten. Auch die Galerien sind beweglich wie nie.

Wenn zum Auftakt des Gallery Weekends wieder der große Lauf durch die Galerien beginnt, lehnt einer sich entspannt zurück. Der Berliner Maler Jonas Burgert wird dann nicht bloß eine Leinwand in der Galerie Blain Southern installiert haben, die mit 22 Metern Länge alle Maßstäbe für ein verkäufliches Werk sprengt. Burgert muss sich auch keine Gedanken mehr um seine anderen, kleineren Bilder machen, die neben dem monumentalen Kunstwerk hängen. Die Galerie hat eine Warteliste, der Künstler arbeitet im eigenen Slow-Rhythmus: Was er beendet, ist längst reserviert.

Burgert kennt allerdings auch andere Zeiten. Solche, in denen er nur gemalt hat. Ohne Öffentlichkeit, ohne Galeristen, weil die mit seiner Malerei nichts anfangen konnten. Burgert sagt, ihm sei das egal gewesen, damals vor zehn Jahren, es ging allein um die Kunst. Verrenken mochte er sich nicht, lieber verdiente er sein Geld mit Jobs. Gespräche mit Freunden als Resonanz auf seine Bilder waren ihm wichtiger als der Kunstmarkt.

Man mag das für anachronistisch halten in Zeiten von Facebook und anderen Plattformen, in denen Aufmerksamkeit das wichtigste Gut ist. Wenn sich der eigene öffentliche Auftritt jederzeit digital steuern und befeuern lässt, wird selbst eine kurze Auszeit zum riskanten Experiment. Und doch artikuliert sich dieses Bedürfnis gerade an vielen Stellen: überall die Frage, wie man Raum zur inhaltlichen Auseinandersetzung gewinnen oder ihn wieder zurückerobern kann. Was auch die Galerien selbst betrifft, von denen etliche in den letzten Jahren zum Durchlauferhitzer für einen irren Markt mutierten.

Eine radikale Lösung präsentiert Alexander Iskin in der Galerie Sexauer. Der gebürtige Russe, Jahrgang 1990, hat in der Ausstellung „Apple Sauce in Paradise“ seinen Computer und sein Smartphone zerhackt. Nun ist er ein Offliner, pünktlich zum Gallery Weekend – und das als Vertreter einer Generation, für die beide Medien ein existenzielles Kommunikationsmittel sind. Wer die Galerie in Weißensee betritt, der wird mit den Resten seiner Performance konfrontiert. Und mit einem iMac-Imitat, das als Rahmen für ein abstraktes Bild von Iskin fungiert. Der Künstler hat das Original in den Fake-Computer montiert, die Botschaft: Schluss mit den einsamen Recherchen im Netz und der elektronischen Bilderschau. Bitte reden statt surfen.

Die Pop-up-Ausstellung führte die Besucher unter das Dach des Acud

Was Iskin zum Thema seiner brachialen Arbeit macht, lässt sich in Berlin auch andernorts beobachten. An „Gig#1“ zum Beispiel. Die zweitägige Pop-up-Ausstellung führte vergangenes Wochenende direkt unter das Dach des Acud am Weinbergspark. Oben gab’s Getränke aus Plastikbechern, sechs Arbeiten im improvisierten Ausstellungsraum – und an beiden Tagen ein volles Haus. Ein Projekt wie aus dem Lehrbuch für Absolventen der Kunstakademie. Bloß waren hier Professoren und Lehrbeauftragte am Werk: Katrin von Maltzahn, Joachim Blank, Bettina Buck, Martin Eberle. Als man ihnen das Dachgeschoss anbot, war dies eine Rumpelkammer. Die vier haben fast alles weggeräumt: Bettina Buck, Spezialistin für räumliche Interventionen, ließ mehrere Rollen mit gelbem Isoliermaterial und andere Fundsachen stehen und schuf eine temporäre Installation. Die übrigen Arbeiten wurden fünf Stockwerke hochgetragen. Kein Spaß – aber zur Eröffnung herrschte eine Superatmosphäre.

So ein „kurzes, intensives Projekt“ mache unabhängig von den Strukturen, mein Katrin von Maltzahn. „Nicht kompliziert, sondern mit Leichtigkeit denken und dann präzise ausführen“, nach dieser Devise haben sie sich einen Wunsch erfüllt: „Endlich einmal wieder über das zu sprechen, was wir machen.“ Eine Ausstellung, die sich über die sozialen Netzwerke verbreitet, ohne Zwang zu frischen Arbeiten und das Rechnen am Ende, ob sich der Aufwand auch finanziell gelohnt hat. Nur die Kunst an den Wänden und die Konzentration aufs Thema. Im Mai folgt der nächste „Gig“im Werkbundhaus in Charlottenburg, bevor es ein paar Wochen später in eine leere Wohnung in Wilmersdorf geht.

Dass die Premiere vor dem Gallery Weekend stattfand, war eine bewusste Entscheidung. Man wollte keine Konkurrenz mit anderen Veranstaltungen. Doch ein Projekt wie „Gig“ flankiert Berlins erfolgreichstes Marketinginstrument und lässt jene verstummen, die sagen, in dieser Stadt sei so etwas nicht mehr möglich, weil die Räume fehlten und die spontane Kreativität der späten 90er Jahre. Dabei geht gerade ganz viel.

Im Kunstprojekt „The Haus“ in der Nürnberger Straße stehen die Besucher Schlange; an erprobten Orten wie dem Kosmetiksalon Babette, eigentlich eine Bar an der Karl-Marx-Allee, versammelt der Berliner Künstler Albert Weis als Teil einer täglichen Ausstellungsreihe an diesem Freitag Arbeiten von Gerwald Rockenschaub, Karin Sander oder Tilo Schulz im Glaskubus. Von renommierten Künstlern also, die solche Alternativen gar nicht mehr brauchen und dennoch dabei sind. Das Netzwerk Freier Berliner Projekträume und Initiativen quartiert sich bis Mitte Mai in der ehemaligen Galerie Kunstpunkt in der Schlegelstraße ein, um hier „3 Projekträume ohne Raum“ zu präsentieren. Den Anfang macht Walden mit dem Zeichner Frank Diersch und der Malerin Karen Koltermann.

Es muss gehen, der Kunstbetrieb ist viel zu volatil, um sich auf ewig festzulegen. Auch etablierte Galerien schließen alte Orte und eröffnen neue. Mehdi Chouakri zieht von Mitte an den Fasanenplatz und in die Mommsenstraße. Crone hat Kreuzberg verlassen und plant ein Ein-Galerie-Haus an der Friedrichstraße. Auf dem ehemaligen Tagesspiegel-Gelände an der Potsdamer Straße hat der Leipziger Galerist Torsten Reiter seine Räume enorm erweitert. Im selben Haus saß bis Anfang des Jahres 401 Contemporary. Die Galerie gibt es unter diesem Namen nicht mehr – dafür arbeitet Ralf-Otto Hänsel an einem neuen Konzept jenseits der klassischen Präsentation.

Ein Zauberwort, das auch andere Galeristen trotz fester Adresse immer wieder herausfordert. Die Galerie Kewenig etwa lädt zum Weekend offiziell in die eigenen Räume und zugleich in die Ateliers ihrer Künstler Liliane Tomasko und Sean Scully. Wem fällt da nicht jene Aktion von Jonas Burgert zum Gallery Weekend vor zwei Jahren ein. Für „Ngorongoro“ luden er und ein paar Freunde knapp hundert Künstler auf das Grundstück seines Ateliers, international bekannte ebenso wie Newcomer oder bislang Übersehene. Jeder installierte eine Arbeit in den halb verfallenen Gebäuden auf dem Areal – und vier Tage lang strömte das Kunstvolk nach Weißensee. Bis hin zu Glenn Lowry, dem Direktor des New Yorker MoMA.

Dabei tat Burgert nur, was er immer tut: leere Fläche nutzen, Kunst zeigen, Leute versammeln. Bloß im riesigen Maßstab. Dieses Jahr war eigentlich eine Fortsetzung geplant, doch die eigene Arbeit für die Ausstellung bei Blain Southern nahm den Maler zu sehr in Anspruch. 2018 aber wird „Ngorongoro“ fortgesetzt, sagt Jonas Burgert. Versprochen.

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