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Der Tiger in der Tracht der Kolonisatoren. Ausschnitt aus Ho Tzu Nyens Doppelkanal-Projektion „One or Several Tigers“.

© Ho Tzu Nyen

13. Gallery Weekend Berlin: Kunst aus Asien - Ein Kontinent verschiebt sich

Pünktlich zum Weekend: Die Ausstellungen „2 oder 3 Tiger“ und „Misfits“ im Haus der Kulturen der Welt zeigen aktuelle Werke und Helden der Moderne aus Asien.

Als der Koreaner Im Heung-soon vor zwei Jahren auf der Biennale in Venedig für seinen Dokumentarfilm „Factory Complex“ über den Kampf asiatischer Arbeiterinnen als vielversprechendster Künstler den Silbernen Löwen gewann, mag sich so mancher über sein Alter gewundert haben: mit 45 Jahren noch Nachwuchskünstler? Natürlich war Heung-soon das längst nicht mehr. Aber die Juroren hatten doch den Wunsch, sein Werk zu würdigen, und trafen mit dem Etikett „junger Künstler“ zugleich den Kern eines Problems.

Erst in den letzten Jahren werden zeitgenössische Maler, Bildhauer, Performer aus Asien zunehmend ernsthaft im Westen rezipiert. Einer der großen Türöffner für sie war Ai Weiwei. Dem hiesigen Publikum gelten die asiatischen Künstler oft genug pauschal als jung, egal wie alt sie tatsächlich sind. Ein gewaltiger Markt hat sich damit eröffnet, der nicht zuletzt von einer sich vor Ort herausbildenden Sammlerschicht befeuert wird. Die Niederlassungen westlicher Galerien in asiatischen Metropolen, die Gründung neuer Kunstmessen in Hongkong und Singapur zeugen davon. Den Teil des Kuchens will sich niemand entgehen lassen. Umgekehrt gehört mindestens ein asiatischer Künstler ins Programm einer avancierten Galerie, will sie global mithalten können.

Nun ist Im Heung-soon auch in Berlin zu sehen, als Teilnehmer der Ausstellung „2 oder 3 Tiger“ im Haus der Kulturen der Welt. Gezeigt werden aktuelle Werke aus Südostasien, an denen sich die Verschiebung der Kunst-Kontinente ablesen lässt. Im Fernen Osten werden die gleichen Medien bedient, wird eine ähnliche Bildsprache gesprochen. Die dortigen Künstler befinden sich auf Augenhöhe mit der internationalen Szene, viele haben im Westen studiert. Jedoch verfolgen sie ihre ganz eigenen Fragestellungen. „2 oder 3 Tiger“ beschäftigt sich mit den Folgen von Kolonialismus, Militarismus, Nationalismus, Neoliberalismus vor Ort.

Krieg und Kultur gemixt im Kunstwerk

Für all diese Ismen ist der Tiger ein Passepartout. Auch in Im Heung-soons Projektion „Come back Home“ kommt er vor: Eine Gruppe koreanischer Soldaten posiert in Vietnam mit einem erlegten Tiger. Stolz stehen sie nebeneinander aufgereiht, die Beute vor sich abgelegt, wie es die europäischen Kolonialherren einst machten. Der Tiger symbolisierte während der japanischen Besatzungszeit das aufkommende Nationalbewusstsein Koreas und wurde doch dort in genau dieser Zeit ausgerottet. Dem Tier im Feindesland das Gleiche anzutun, es zur Strecke zu bringen, muss für die koreanischen Soldaten auf dem Foto Genugtuung und Selbststrafung zugleich gewesen sein. In Im Heung-Soons Projektion verwandeln sich die Männer langsam in ein Gipsrelief, auf dem ihr stolzes Lächeln endgültig zur Fratze erstarrt.

Die von Anselm Franke, Chef der Kunst- und Filmabteilung am Haus der Kulturen, und Hyunjin Kim als Gastkuratorin eingerichtete Ausstellung „2 oder 3 Tiger“ liefert Anschauungsunterricht, welchen Traumata die Region immer noch ausgesetzt ist, die aktuell wieder die Folgen des Kalten Krieges zu spüren bekommt. Der in Berlin und Atami lebende japanische Künstler Yuichiro Tamura zeigt, wie sich dies bis in heutige Dresscodes ausdrücken kann. An zwei Kleiderstangen hängen Bomber- oder Baseballjacken mit asiatischer Stickerei. Die Besucher dürfen sie anziehen und sich darin im Spiegel bewundern.

Die ungewöhnlichen Ausstellungsstücke, „Sukajan“ genannt, sind Sammelstücke, zum Teil noch aus den 50er und 60er Jahren. Getragen wurden sie ursprünglich von US-Soldaten, die während des Koreakrieges in Japan stationiert waren und das exotisch aufgeladene Kleidungsstück als Souvenir mit nach Hause nahmen. Bestickt mit Tigern, Drachen, Landkarten, Flugrouten der amerikanischen Bomber und Frauen im Kimono mixen sie Krieg und Kultur des Landes. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die „Sukajan“ in den 70er und 80ern mit den Symbolen der Yakuza-Mafia assoziiert wurden und heute bei Hipstern ein begehrter Modeartikel sind. Wie beim Tiger haben sich auch hier die Zuordnungen verändert, die Lesart wird diffus.

Kalligrafische Abstraktion. Ausschnitt einer Tuschearbeit von Tang Chang, entstanden 1982 in Thailand.
Kalligrafische Abstraktion. Ausschnitt einer Tuschearbeit von Tang Chang, entstanden 1982 in Thailand.

© Courtesy: Thip Tang

Von den Mühen der späteren kunsthistorischen Aufarbeitung berichtet die parallele Ausstellung „Misfits: Lose Blätter aus der Geschichte der Moderne“ in der seit der HKW-Wiedereröffnung erstmals bespielten zweiten Halle. Der in Singapur lebende Kurator David Teh hat sich drei Künstler vorgenommen, deren Werk sich lange vor dem Erwachen des Kunstmarktes entwickelte und jetzt erst für ein westliches Publikum entdeckt werden. Nicht nur der Markt ist auf den südostasiatischen Raum aufmerksam geworden, auch die Museen haben bemerkt, dass in einer globalisierten Welt eine Fortschreibung des bisherigen Narrativs der klassischen Moderne nicht mehr funktioniert. Auf dem Dhaka Art Summit im vergangenen Jahr waren ebenso die Scouts von Sotheby’s unterwegs wie die Trustees der Tate Modern in London, die sich seit Eröffnung ihres Anbaus dezidiert um eine weltumspannende Darstellung künstlerischen Schaffens bemüht. Weder die aktuellen Produktionen noch historischen Positionen im Süden wie Osten lassen sich länger ignorieren.

David Tehs Ausstellung wirkt da wie ein Praeludium für das „Museum global“, das gegenwärtig in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt anhand der eigenen Sammlungen des 20. Jahrhunderts geprobt und ab Herbst im Hamburger Bahnhof zu sehen sein wird. Seine drei „Unangepassten“ aus Myanmar, Thailand und von den Philippinen würden ebenfalls ins „Museum global“ passen. Bagyi Aung Soe gilt heute als Wegbereiter der Moderne in Myanmar. Er schuf Plakate, illustrierte Bücher und war doch seinen Landsleuten weit mehr als Schauspieler ein Begriff. Der Autodidakt Tang Chang bestand inmitten Thailands immer störrisch auf seiner chinesischen Herkunft und wurde allein dadurch zum Außenseiter. Seine abstrakten kalligrafischen Bilder, seine konkrete Poesie in Thai, das er erst spät zu schreiben lernte, besitzen eine umwerfende Frische. Rox Lee, der als Einziger heute noch lebt, entwickelte die Comic-Kultfigur Cesar Asar und drehte auf den Philippinen Punk-Filme.

Die nächste Rezeptionsphase wird nicht lange auf sich warten lassen

Alle drei stellen eine Herausforderung an westliche Sichtweisen dar. Die eindeutige Zuordnung von Identitäten, Ländern, Kulturen erweist sich als kompliziert, durch ihre verschiedenen Tätigkeiten mischen sich die Felder Comic, Film, Poesie, Illustration und Malerei. Zugleich ist die Versuchung groß, ihr Schaffen in westliche Muster wie Pop-Art, abstrakter Expressionismus oder Konzeptkunst zu pressen. Diese Überstülpung zu unterlassen und ihre Eigenheit anzuerkennen, stellt den Reiz der Ausstellung dar. Die nächste Rezeptionsphase wird nicht lange auf sich warten lassen nach dem Berliner Auftritt: die endgültige Anerkennung ihres Werks im Westen durch Ankäufe öffentlicher Sammlungen, nicht zuletzt ihre Merkantilisierung durch den Markt.

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, bis 3.7.; tägl. 10-19 Uhr

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