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13. Münchener Musiktheater-Biennale: Wir sind ja so retro

Ferne Klänge: Die 13. Münchener Musiktheater-Biennale präsentiert Geschichten über Mütter, Söhne und Königskinder.

Einen Spiegel des Heute abzugeben, ist ein Hauptbestreben der Münchner Biennale, die seit knapp einem Vierteljahrhundert jungen Komponistinnen und Komponisten eine Plattform bietet, erste Gehversuche auf dem Terrain des Musiktheaters zu tun. Dieser Anspruch öffnet dem vielfach totgesagten Genre immer wieder neue Dimensionen. Angst vor dem Scheitern passt jedenfalls nicht ins Konzept. Ohnehin hat das von der Landeshauptstadt München hoch dotierte Festival es nicht nötig, Quotenrenner zu produzieren.

Unter dem Motto „Der ferne Klang“ (frei nach Schreker) verhandelt man 2012 nun Themen wie Nähe, Verlust und Sehnsucht, fast ein bisschen kleinlaut und retro. Formal keine Spur von den Internetopern und multimedialen Spektakeln der Vergangenheit. So scheiden sich die Geister diesmal in anderen Belangen, etwa in der generellen Erwartungshaltung an heutiges Musiktheater. Die beiden Komponistinnen Sarah Nemtsov und Eunyoung Kim finden darauf fundamental gegensätzliche Antworten.

„Besser gar nichts gebären als Töchter“: Das ist eine bis heute verbreitete Überzeugung in der koreanischen Heimat von Eunyoung Kim, der Komponistin des Musiktheaters „Mama Dolorosa“. Nach zwei Abtreibungen von Mädchen erfüllt sich endlich der Wunsch einer Frau nach einem Sohn, den sie wie einen Mammon vergöttert, selbst dann, als er mordet und vergewaltigt. Dem von der Librettistin und Regisseurin Yona Kim entwickelten Stoff fehlt es weder an Aktualität noch an Relevanz, Männlichkeitsdogmen und Machtmissbrauch sind selbst in westlichen Kulturkreisen keine fernen Klänge.

„Mama Dolorosa“ spielt im modernen Seoul der einfachen Leute und ist von der lärmigen Dauerkulisse des Alltags bestimmt, in die sich die Gesangslinien organisch hineinflechten. Traditionelle koreanische Klänge finden hier keinen Platz. Kims Musik spielt der linear, nach klassischen Regeln der Dramaturgie verlaufenden Handlung perfekt in die Hände – verzichtet dabei aber auf ein eigenständiges Innenleben. Musik und Regie gelingt es, die mit sexueller Spannung aufgeladene Mutterliebe in den unverblümten, leicht grotesken Charakterzeichnungen der Mutter und Großmutter eine starke Präsenz zu verleihen, überzeugend auch die überspannte Klangmischung von Sopran (Rebecca Nelson) und Countertenor (Daniel Gloger). Der Sohn dagegen bleibt stumm. Mit einer erstaunlichen Direktheit erschließen sich die psychologischen Abgründe des Umfelds, und so verlässt man den Saal in der Zufriedenheit, einem exemplarisch funktionierenden neuen Musiktheater beigewohnt zu haben. Eine runde Sache, die beim Publikum verdientermaßen auf Anklang stößt.

Ungleich größere Reibungsflächen bietet dagegen „L’ Absence“ der Berliner Komponistin Sarah Nemtsov. Keine fortlaufende Handlung, keine Bühneneffekte, kein aktuelles Thema – und doch bewegt das Ganze. Nemtsovs Oper liegt das „Buch der Fragen“ von Edmond Jabès zugrunde. In fragmentarischer Form erzählt es von den Liebenden Sarah und Yukel, die nach den Gräueln von Krieg und Holocaust nicht mehr zueinanderfinden. Für Nemtsovs kompositorisches Vorgehen ist vor allem ihre intensive Auseinandersetzung mit dem literarischen Stoff maßgebend, dem sie auch in der Form folgt. Konzeptuell steht also etwas anderes als die dramatische Aktion im Zentrum. Und das zeigt sich bereits im Bühnenbild (Etienne Pluss): Die halbtransparenten Seiten eines Buches entfalten hier ihr Eigenleben, Das Buch, wird klar, hat nicht nur die Allmacht über die Figuren. Es setzt auch den Leser einer schier unzumutbaren Nähe zu ihnen aus. Die von Nemtsov erfundene Figur des weitgehend stummen Lesers hält dieses Gefühl des Ausgeliefertseins durch das gesamte Stück aufrecht.

Durchaus ungewöhnlich ist auch die Rolle der Musik. So sind nicht etwa die gesanglichen Linien Träger der Expressivität, sondern vielmehr das Orchester. Die Protagonisten (Tehlia Nini Goldstein und Assaf Levitin) haben sich an Kantillationen von Thora-Gesängen zu halten. Im Graben aber dominieren schrille Schreie der Holz- und Blechbläser, rohe Schläge von Perkussion und Streichern und vergegenwärtigen so die Erkenntnisschmerzen des Liebespaars. Mit beispielloser Sensibilität für das Nicht-Artikulierbare bringt Sarah Nemtsov diese Dimension ihrer literarischen Vorlage ans Licht. Heldenhaft arbeitet sich das Bundesjugendorcherster unter der Leitung von Rüdiger Bohn durch ihre hochanspruchsvolle Partitur – wobei einiges an dynamischer und gestischer Nuance untergeht.

Erwartungsgemäß stellt „L’ Absence“ die Regisseurin Jasmin Solfaghari vor eine große Herausforderung. Der düstere, schwermütige Grundton der Komposition, die – der Vorlage getreu – ohne Lichtblick und Leichtigkeit verläuft, lässt jede fingierte dramaturgische Dynamik, wie etwa die Humorisierung der fünf Rabbiner, deplatziert erscheinen.

Anders als in den Gründungsjahren der Biennale, als die Oper generell in dem Ruf stand, nichts Relevantes mehr zu transportieren, hat das Musiktheater bei Komponisten heute Konjunktur, bestätigt Biennale-Leiter Peter Ruzicka im Gespräch. Aber was transportiert es heute? Sein eigenes „Funktionieren“ und Immer-noch-da-sein? Das wäre zu wenig, gerade für ein so potentes Festival wie dieses. Der Blick in den Spiegel birgt auch Risiken, wie Sarah Nemtsov zeigt. Progressives Scheitern aber ist besser zu ertragen als satte Zufriedenheit.

13. Münchener Biennale für neues Musiktheater, noch bis 19. Mai. Informationen unter www.muenchenerbiennale.de

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