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Kultur: 14 Jahre und kein bisschen weise

Thomas Ostermeiers Regie-Arbeit „The Girl on the Sofa“ eröffnet das Theaterprogramm des Edinburgh-Festivals

Von Ulrich Fischer

Sie ist 14 Jahre alt und verfolgt neugierig die sexuellen Eskapaden ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester. Aber „The Girl on the Sofa“ versteht noch nicht ganz, was sie da sieht. Das Stück zum Theaterauftakt des Edinburgh-Festivals stammt von Jon Fosse, jenem norwegischen Dramatiker, der derzeit gerne von den europäischen Theatern gespielt wird. Die englische Übersetzung hat der schottische Stückeschreiber David Harrower vorgenommen, bekannt seit „Messer in Hennen“, einer Inszenierung von Thomas Ostermeier in der inzwischen verblichenen Baracke des Deutschen Theaters Berlin. Und auch in Edinburgh führt Ostermeier von der Berliner Schaubühne die Regie dieser Uraufführung.

Norwegen, Schottland, Deutschland: Hinter der Zusammenstellung der Crew steckt System, möchte Festivalleiter Brian McMaster doch sowohl Spitzenkunst aus aller Welt präsentieren und eben dieser Welt zeigen, dass die Schotten dabei mithalten können.

Das Mädchen auf dem Sofa, inzwischen älter geworden, erinnert sich an die Episoden aus ihrer Jugend: Die Hauptrolle wird von zwei Schauspielerinnen verkörpert. Dabei steckt die ältere Version der Heldin, von Beruf Malerin, in einer Schaffenskrise, die mit einer Partnerkrise einhergeht. Wie nun hängen die einstigen Erfahrungen des jungen Mädchens mit den aktuellen Problemen der erwachsenen Frau zusammen. Fosse lässt die Frage bewusst in der Schwebe - um andere Fragen zu stellen. Was ist das, Zeit? Veränderung? Metamorphose? Fosse wirkt epigonal, wenn er einmal mehr erkenntnistheoretische Skepsis in den Mittelpunkt rückt; das hat ein Pirandello – und nicht nur er – bereits anschaulicher, dramatischer getan.

Fosse beharrt darauf, dass Sexualität und Betrug rätselhafte Chiffren sind. Die Heldin ist unfähig zu zeichnen: Sie kann nicht auf ihren Block bannen, worum es geht - und Fosse kann es auch nicht. Die Rätsel bleiben ungelöst. Thomas Ostermeier hat diesen Kern sublim herauspräpariert: Bevor das Spiel beginnt, werden Schwarzweißfotos wie aus einem Familienalbum auf eine Nesselleinwand projiziert; für den Übergang von einem Dia zum nächsten sorgen weiche Überblendungen. So wird die zentrale Frage, während die Zuschauer noch ihre Plätze einehmen, bereits suggestiv umspielt – die Frage nach dem Prozess der Wandlung. Frei nach Arthur Schnitzler fließen Traum und Wachen, Wahreit und Lüge ineinander.

Das Ensemble im Royal Lyceum, Edinburghs bestem Kammerspiel, agiert konzentriert, auf hohem Niveau. Vor allem die junge Aktrice Abby Ford als 14-jährige Protagonistin löste ihre Aufgabe glänzend.

„The Girl on the Sofa“ ist nur eine von zwei Uraufführungen, mit denen die Sparte Schauspiel beim diesjährigen Festival auftrumpft; die Oper präsentiert Wagners „Parsifal“ als Regie-Arbeit von Peter Stein, die musikalische Leitung hat Claudio Abbado. Jan Fabre zeigt mit dem Königlichen Ballett aus Flandern seine Version des „Schwanensees“; unter den zeitgenössischen Tänzern macht der japanische Choreograph Saburo Teshigawara mit „Luminous“ neugierig.

Und das „Fringe“, das Festival der freien Gruppen, das dem etablierten International Festival von Jahr zu Jahr mehr Konkurrenz macht? Hier wurde einst Tom Stoppards „Rosencrantz und Güldenstern“ aus der Taufe gehoben, ebenso Sarah Kanes „Gier“. Und für dieses Jahre sind allein 10 000 Aufführungen annonciert – die Krux des Erfolgs: Längst besteht das „Fringe“ aus mehreren Festivals, die gleichzeitig über die Bühne gehen. Dazu gehören ein Jazzfestival, ein seltsam elitäres Filmfestival, ein hervorragendes Literaturfestival, zu dem die besten englischsprachigen Autoren für Lesungen und Diskussionen eingeladen sind. Und, last but not least, das „Tattoo“: So heißt lautmalerisch die allabendliche ohrenbetäubende Parade der Militärkapellen auf der Esplanade des Schlosses, das auf dem Burgberg über Edinburgh thront.

Dieses schottenrockbewehrte und tartangeschmückte Dudelsack- und Trommelgewitter zieht Tag für Tag Tausende Besucher an - mehr Publikum als das International Festival selbst. Schließlich wird hier noch einmal nostalgisch Britanniens imperiale Größe beschworen. Dennoch: Die schottische Hauptstadt, einer der schönsten Orte des Vereinigten Königreichs, ist auch ohne Pauken und Trompeten einen Besuch allemal wert, zumal während des alljährlichen Festivals. Wenn es auch die Londoner ärgert - in diesen drei Wochen gibt es nur eine Kulturhauptstadt der englischsprechenden Welt: Edinburgh.

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