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150 Jahre Nationalgalerie: Der Fels der Moderne

150 Jahre Nationalgalerie: ein Berliner Symposium ergründet Anfänge und Mythos

150 Jahre alt ist die Nationalgalerie in diesem Jahr geworden, gerechnet ab der Schenkung Wagener. Der Bankier Johann Heinrich Wilhelm Wagener (1782-1861) sammelte, was er für „die“ zeitgenössische Kunst hielt, und vermachte sie 1861 dem preußischen König. Es sollten 16 Jahre vergehen, bis Wageners Wunsch nach einer Nationalgalerie in Erfüllung ging. In einem zweitägigen Symposium gingen die Staatlichen Museen jetzt der Geschichte der Wagenerschen Sammlung nach, aber auch der Entstehung von Nationalgalerien überhaupt. Direktor Udo Kittelmann verkündete eingangs, den „herrschenden Kanon“ zu „hinterfragen“ und Gemälde künftig miteinander zu zeigen, die stilistisch auseinanderliegen, aber zeitlich nahe beieinander, wie Caspar David Friedrichs „Watzmann“ von 1825 und ein Genrebild des vergessenen Johann Adam Klain, das den bayerischen Berg als Staffage zeigt.

Nun ja, hinterfragt worden ist der jeweilige Kanon immer schon, sonst wären Wageners Bilder nicht im Laufe der Jahre weitgehend im Keller verschwunden. Philipp Demandt, künftiger Leiter der Alten Nationalgalerie, malte die Epoche der freundlich Biedermeier genannten Restaurationszeit aus, in der die Bilder entstanden, die Wagener sammelte. Nach dieser Geschichtsstunde stellte Bénédicte Savoy, Professorin an der TU Berlin, die im 19. Jahrhundert entstandenen Nationalmuseen und -galerien vor. Und siehe da: Sie gleichen einander wie traute Geschwister, von Berlin bis Stockholm, von Washington bis Kalkutta. Nicht nur von außen, mit den Säulen und Giebeln ihrer griechischen Tempelfronten, sondern auch in Aufbau und Präsentation ihrer Sammlungen, bis hin zum doppelseitigen Plüschsofa wie heute noch in Wien.

Fast ausschließlich Deutsches hatte Wagener gesammelt, aber auch Bilder ausländischer Künstler; rund ein Fünftel seiner Hinterlassenschaft von 262 Gemälden entstammt fremden „Schulen“, wie man damals sagte. Doch als der griechische Tempel der Nationalgalerie eröffnet wurde, hatte sich bereits ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Wagener-Sammlung rückte buchstäblich an den Rand, in die Umgänge um die zentralen Säle nämlich, in denen die Kartons des Spät-Nazareners Peter Cornelius für den nie zustande gekommenen „Campo Santo“ des preußischen Königshauses prangten.

Und bereits zur Zeit der Eröffnung wurde die Wagener-Sammlung als korrekturbedürftig angesehen. Die Kritik gipfelte in dem Vorschlag, ein Drittel ihres Bestandes durch Verkauf auszusondern. Francoise Forster-Hahn von der University of California at Riverside, die seit vielen Jahren über Museumsgeschichte forscht, machte in ihrem Vortrag deutlich, dass die Sammlung Wagener zum Zeitpunkt ihrer Präsentation bereits kaum mehr Interesse fand, während das Gebäude im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand – einerseits als Bereicherung des Berliner Stadtbildes, andererseits aber als hoffnungslos überholt. Wageners nach der gescheiterten Revolution von 1848 geborene Vision eines wenigstens durch die Kunst vereinten Deutschland wurde selbst auf dieser Ebene verworfen, als mehr und mehr Schlachtengemälde, dazu ein Doppelporträt des Kaiserpaares Wilhelm I. und Auguste als Blickfang ins Haus kamen. Das „Vaterländische“ der Epoche Wageners mutierte zum dezidiert Preußischen.

Die Historienschinken, über die Jörn Grabowski vom Zentralarchiv der Staatlichen Museen berichtete, verdeckten zunächst die Campo-Santo-Kartons – denn anders war kein Platz –, bis sie ihrerseits von Werken der anbrechenden Moderne konterkariert wurden, die der neue Direktor Hugo von Tschudi um die Jahrhundertwende herbeiholte.

Peter-Klaus Schuster, Ex-Generaldirektor der Staatlichen Museen, pochte in seinem Schlussvortrag darauf, dass die Moderne im französischen Impressionismus ihren Gipfelpunkt erreichte. Edouard Manets „Wintergarten“ ist bei Schuster unverrückbar der Fels, auf den die Moderne in der Berliner Galerie gebaut ist. Und die Nationalgalerie der Ort einer „Gleichzeitigkeit des Verschiedenen“, des „doppelten Kanons“ Tschudis, der zum einen sich zur Internationalität der Nationalgalerie bekannt habe und zum anderen die Gleichberechtigung der Strömungen deutscher Kunst abbildete, von den Nazarenern bis zu Böcklin, von C.D. Friedrich bis Menzel. Letzterer, der bedeutendste deutsche Künstler der zweiten Jahrhunderthälfte, fehlt in Wageners Sammlung. Sie gab den Anstoß zur Nationalgalerie, ohne dass sie deren Kern je hätte bilden können.

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