zum Hauptinhalt
Alles eine Frage der Organisation. Die 17 Hippies sind eigentlich zu zwölft, derzeit verstärkt sie ein Zusatzschlagwerker.

© Georg Moritz

17 Hippies: Jenseits des Viervierteltaktes

Das Jahr klingt gut aus – mit den 17 Hippies. Ein Probenbesuch bei den Genremix-Meistern in Prenzlauer Berg, die zum Abschluss ihrer "Biester"-Tour zweimal in Berlin spielen.

Ständig sind die 17 Hippies unterwegs, spielen überall auf der Welt vor dichtem Zuschauergedränge. Über 1700 Konzerte in etwa dreißig Ländern haben sie gegeben seit ihrer Gründung vor knapp zwanzig Jahren. Derzeit sind sie mit ihrem Album „Biester“ auf Konzertreise.

Die Gruppe mal an ihrem Heimatstandort anzutreffen ist hingegen schwer. Und die Wegbeschreibung zu ihnen klingt kompliziert, wie bei einer Schatzsuche. Aus der Tiefgarage hoch in einen Hof. Durch einen Durchgang, und schon ist man eingekeilt im Gewühle des Weihnachtsmarkts in der Kulturbrauerei, einem Gedränge so dicht wie bei einem Konzert der 17 Hippies. Mühsam arbeitet man sich vor zur Band. Durch einen weiteren Hof, vorbei an einer Wendeltreppe, noch ein Hof, noch ein Durchgang, eine schmale Tür, es steht nichts dran, man steigt durch einen dunklen Treppenaufgang in den zweiten Stock. Da steht kein Name, geheimnisvoll. Diese Tür? Verschlossen. Die andere – Aha! Und plötzlich steht man mittendrin: bei den 17 Hippies. In einer Art Wohnzimmer, Sitzecke mit Sofas, Küchenzeile. „Willst du ’n Kaffee?“ Und Kekse. Alles da. Auch schon drei von den 17 Hippies.

Lüül, eigentlich Lutz Ulbrich, ist mit 62 der Älteste, der erstaunlich alterslos wirkt, zeitlos wie die Musik der 17 Hippies, diese charmante Mischung aus slawischen Tanzmelodien, schrägen Balkanrhythmen, Seemansliederromantik, französischer Chansonseligkeit, mexikanischen Mariachi-Trompeten und Cajun-Akkordeons, unblutiger Stierkampfmusik, Klezmer-Klängen, modalen arabischen Skalen und Folk-und-Country-Anleihen, Rock ’n’ Roll und Jazz. Lüül ist in der Band der Zeitgeber, Rhythmiker, Taktgeber mit dem unbeirrbaren Plickern seines Banjos.

Die 17 Hippies machen vom Briefmarkenkleben bis zum Bühenaufbau alles selbst

Und schon ist man wieder mittendrin, reingezogen in ein Gespräch, mitgezogen, nein, ein Interview ist das nicht. Eher wie ein Konzert der Band: inspirierend, rasant und wild, mehrstimmig und harmonisch – tanzbar fast. Über Hölzchen, Stöckchen, Steinchen werfen sie sich die Bälle zu, zum herausragenden Solo jedes Einzelnen. Hier allerdings erst mal nur in kleinerer Besetzung, mit drei der normalerweise zwölf 17 Hippies: Lüül, Christopher Blenkinsop, Kiki Sauer – die „Oberhippies“, „Bestimmerhippies“, „Organisationshippies“ – Primi inter Pares in der sonst sehr demokratischen Organisation der 17-Hippies-Gesellschaft. Ja, sie haben eine Gesellschaft gegründet: 17 Hippies, Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts. Wenn eine Band „independent“ ist, dann sind sie es. Alles machen sie selbst: Plattenlabel, Musikverlag, Management, Covers falten, Briefmarken kleben, Bühnenaufbau. Alles. „Eine französische Band unserer Größe hätte mindestens zwölf Techniker auf Tour. Wir haben einen, für den Ton“, sagt Kiki Sauer.

Sie kümmert sich ums geschäftliche und Christopher ums musikalische Management. „Willste mal sehen?“, fragt Sauer. Sie zeigt den nächsten Raum. Ein geräumiges Büro mit mehreren Schreibtischen, Computern und Regalen, mit jeder Menge Aktenordnern, CDs, Promomaterial. Sehr geordnet alles, aufgeräumt. „Die gute Organisation der Geschäftsangelegenheiten hilft uns, eine größere Freiheit für das Kreative zu bekommen“ sagt sie. „Und hier hinten ist unser Probenraum und Studio.“ Raum für das Kreative. Da sind auch zwei kleine schallgedämmte Studiokabinen, wo sie den größten Teil ihrer CD „Biester“ aufgenommen haben. Mit der neuen Platte sei er ja erst mal skeptisch gewesen, sagt Lüül: „Weil wir für uns eher untypische Sachen gespielt haben. Und dann auch noch mit so vielen Gastmusikern. Mit nur einer Probe vorher. Puh.“

Auf dem Album "Biester" hatten die 17 Hippies viele Gastmusiker

Alles eine Frage der Organisation. Die 17 Hippies sind eigentlich zu zwölft, derzeit verstärkt sie ein Zusatzschlagwerker.
Alles eine Frage der Organisation. Die 17 Hippies sind eigentlich zu zwölft, derzeit verstärkt sie ein Zusatzschlagwerker.

© Georg Moritz

Untypisch sind tatsächlich Songs wie „Peaches En Regalia“ von Frank Zappa aus dem Jahr 1969, „Worksong“ vom Avantgardebassisten Bill Laswell. Oder „In Memory Of Elizabeth Reed“ von den Allman Brothers – wo eine klassische Rockbesetzung mit zwei Leadgitarren von den 17 Hippies zauberhaft übertragen wurde auf Bläser und Streicher. Und doch sind auch daraus wieder sehr typische 17-Hippies- Nummern geworden. Unverwechselbar.

Was macht den Sound der Band eigentlich so einzigartig? Zwölf ganz verschiedene Musiker mit unterschiedlichsten musikalischen Vorlieben, Kenntnissen und Einflüssen. Man lernt voneinander, inspiriert sich gegenseitig, und schließlich wird daraus so viel mehr als die Summe der Teile. „Zum Beispiel dieses Balkan-Ding, diese krummen Takte“, sagt Lüül. „Ich kannte nur Vierviertel, Dreiviertel und vielleicht noch Sechsachtel. Aber jetzt kommt da einer mit Neunachtel oder Elfachtel. Hey, wie soll man das denn spielen? Das hat man ja nicht im Blut, das muss man erst mal lernen. Solchen Herausforderungen muss man sich ständig stellen in dieser Band.“

Tatsächlich ist das, was so leicht und schwebend klingt bei den 17 Hippies, auch auf ihrem jüngsten Album, Resultat mühevoller Arbeit. „Es ist ein ständiges Ringen um Dinge, ein nie endendes Suchen nach Möglichkeiten, wie man etwas machen kann“, sagt Christopher Blenkinsop und erklärt, was auch nicht so einfach war: Die diversen Gastmusiker zu integrieren. „Wenn die Musiker aus demselben Genre kommen, dann wissen sie, was sie zu tun haben. Aber unsere Gäste kamen aus völlig anderen Richtungen.“ Da waren zum Beispiel diese ganz jungen Schlagzeuger die Christopher auf einer Gewerkschaftsveranstaltung entdeckt hat. „Dann hatten wir hier sieben Schlagzeuge aufgebaut und haben die in Abschnitten für das Zappa-Stück aufgenommen. Am Ende habe ich drei Stunden Lärm zusammengeschnitten.“ Und es klingt hervorragend.

Den Balaphonspieler Aly Keita von der Elfenbeinküste haben die 17 Hippies mit einem Balkanstück konfrontiert. „Da haben wir versucht rauszufinden: Wie können wir ihn dazu bringen, Begeisterung zu entwickeln für eine Musik, die ganz anders ist als seine eigene.“ Das Ergebnis ist überwältigend. Allmählich trudeln auch die anderen 17 Hippies zur Probe ein. Sehr pünktlich, diszipliniert und gut gelaunt rücken sie zusammen in einem engen Kreis, stimmen ihre Instrumente, gehen noch einmal die Setliste durch. Probieren eine neue Linie des Bassisten Daniel Cordes zum älteren Song „Adieu“. Debattieren über Synkopen und Arrangements in „Elizabeth Reed“. Die Bläser Antje Henkel, Elmar Gutmann, Uwe Langer singen ihre Stimmen, bevor sie sie spielen. Gemeinsam wird gerungen um ein Geigensolo von Daniel Friedrichs. Dirk Trageser singt ein melancholisches Stück, und der Akkordeonist Kruisko repariert zwischendrin Kiki Sauers Ziehharmonika.

Wie bekommt man so viele 17 Hippies organisatorisch so wunderbar unter einen Hut? Sauer lacht: „Ab dem dritten Kind wird alles einfacher, hat mein Vater immer gesagt. Wir waren fünf Geschwister.“

Konzert: Kesselhaus der Kulturbrauerei, 28.12. (ausverkauft) und 29.12., 20.30 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false