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2. Juni 1967: Die Nacht der langen Knüppel

Den Schuss, der am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg tötete, hielten die meisten seiner Mitdemonstranten im ersten Moment für einen Knallkörper. Der Berliner Polizei trauten sie vieles zu, nicht aber den Gebrauch von Schusswaffen. Nun, 41 Jahre danach, geht doch noch ein Feuerwerk los.

Todesschütze Karl-Heinz Kurras hat als IM „Bohl“ für die Stasi gearbeitet. Deshalb muss die Geschichte der 68er-Bewegung nicht neu geschrieben werden. Vielleicht sollte man sie aber neu und anders lesen. Besser gesagt: noch einmal lesen.

Das „Kursbuch“, damals sozusagen das Zentralorgan der Rebellion, veröffentlichte im April 1968 eine 200-seitige Dokumentation über die Ereignisse des „Berliner Sommers“ unter der Überschrift „Der nicht erklärte Notstand“. Der Titel war polemisch, die hysterische Linke sah den Staat in einen neuen Faschismus driften. Doch der Tonfall des Textes, der sich auf den Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses stützt, bleibt weitgehend nüchtern. Trocken wird die Eskalation des Polizeieinsatzes geschildert, ein Drama, das sich in mehreren Akten abspielte. Die Stimmung war aufgeheizt, es sollte ein Zeichen gesetzt werden. „Na, heute können diese Burschen sich ja auf etwas gefasst machen, heute gibt es Dresche!“, frotzelte der Senatssprecher gegenüber Journalisten.

In der Deutschen Oper sah der Schah von Persien die „Zauberflöte“, auf der Bismarckstraße gegenüber waren etwa 3000 Demonstranten und Schaulustige auf einem hundert Meter breiten Streifen hinter gitterartigen Barrieren eingekeilt. Der Theatervorhang hatte sich kaum gehoben, da begann die Polizei, den Platz zu räumen. „Knüppel frei!“, lautete das Kommando. „Ich habe gesehen, wie ein Polizist einem jungen Mann auf das rechte Auge schlug, so dass die ganze Gesichtshälfte blutüberströmt war“, berichtet ein Zeuge. „Er lief rückwärts und zeigte auf den Polizisten und rief immer wieder: Der war es! Der Polizist schlug weiter auf den Blutüberströmten ein.“

Ein Teil der Demonstranten wird in die Krumme Straße gedrängt. Dort befindet sich ein Parkhof, der zur Falle wird. Unter den Polizisten geht das Gerücht um, die Studenten seien bewaffnet: „Jungs, da werden unsere Kollegen umgebracht.“ So aufgestachelt, prügeln die Beamten einige Opfer krankenhausreif. Auf Benno Ohnesorg, der in der Sackgasse gefangen ist, wird noch eingedroschen, als er bereits tödlich getroffen am Boden liegt. Eine Augenzeugin eilt zu ihm. „Ich bückte mich zu ihm herunter“, erzählt sie. „Als ich zu den Beamten hochblickte, sah ich, dass sie immer noch ihre Schlagstöcke in der Hand hatten, und bat sie: Nicht schlagen. Ich fühlte seinen Puls, er ging schwach, ich öffnete ein Auge und sah keine Pupille. Seine Lippen bewegten sich, und ich nahm an, er wolle etwas sagen. Ich beugte mich herunter, konnte aber nur ein Röcheln vernehmen.“

Geschossen hatte Polizei-Obermeister, Waffennarr und SED-Mitglied Kurras, den man heute auf Fotos fröhlich mit dem Bierhumpen prosten sehen kann. Er handelte wohl nicht auf Weisung seiner Partei, sondern aus eigenem Ordnungsfanatismus heraus. Sein Schuss und sein späterer Freispruch setzten das Signal zur Radikalisierung der Studenten. Aber vor allem war der 2. Juni die „Nacht der langen Knüppel“, wie Sebastian Haffner 1967 schrieb. Derlei Polizeistaatsmethoden gehören heute der Vergangenheit an: ein Zivilisationsgewinn, den die Republik auch den 68ern verdankt.

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