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Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrem Büro im Kanzleramt.

© dpa

20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (XV): Berlin, Stadt der Weltkulturen

Berlin ist nicht irgendein Bundesland, sondern dienender Mittelpunkt. Deshalb ist es gut, dass 40 Prozent des Bundeskulturetats an die Hauptstadt gehen. Die Stadt braucht eine Vision - im Humboldt-Forum kann sie Gestalt annehmen.

In der Tagesspiegel-Debatte zum 20. Geburtstag des zu ergänzenden Bonn-Berlin-Gesetzes meldet sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu Wort. Die 52-jährige Kulturpolitikerin ist seit Dezember 2013 im Amt.

Bis heute ist nicht ganz klar, was genau Fontane mit seiner Feststellung gemeint haben mag, vor Gott seien eigentlich alle Menschen Berliner. Fest steht hingegen, dass dies nicht vor dem Bundesfinanzminister gilt – zumindest dann nicht, wenn es um die Durchsetzbarkeit der in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Forderungen nach mehr Geld des Bundes für die Hauptstadtkultur geht.

Keine Frage – im kulturellen Selbstverständnis Deutschlands hat Berlin eine Sonderstellung. Dem grundgesetzlich verankerten Kulturföderalismus geschuldet ist dabei Kulturpolitik in und für Berlin zunächst Landespolitik, und damit Anstoß selbstbewussten Wetteiferns im Konzert der anderen föderalen Glieder unseres Landes. Weil aber Berlin der Ort brandenburgischer, preußischer, deutscher, europäischer und Welt-Politik gewesen ist, sind in Berlins Kulturpolitik stets Motive, Potenziale, Spannungen, Verpflichtungen und Chancen inbegriffen, die das „normale“ Kulturinteresse eines Stadtstaates hinter sich lassen.

Ein immenses Bauprogramm wird finanziert - um den Sanierungsstau aus DDR-Zeiten aufzuholen

Berlin ist die Hauptstadt. Was hier kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben. Was dort misslingt, dafür wird, von außen jedenfalls, das ganze Land verantwortlich gemacht. Kulturpolitik in Berlin ist also, ob sie es will oder nicht, auch Bundespolitik. Und die Bundes-Kulturpolitik in und für Berlin ist Ausdruck der Anerkennung der besonderen Rolle der Hauptstadt für die Nation.

Im Rahmen der Föderalismusreform hat der Deutsche Bundestag 2006 deshalb die Hauptstadtfunktion Berlins im Grundgesetz verankert. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Der Gesetzgeber normierte damit die zuvor ungeschriebene, aber stets praktizierte Bundeszuständigkeit für die Repräsentation des Gesamtstaates ausdrücklich als Verfassungsaufgabe. Seiner sich daraus ergebenden Verantwortung kommt der Bund in einer Weise nach, die in anderen, an gesamtstaatlich bedeutenden kulturellen Schätzen ebenfalls nicht armen Städten unseres Landes mitunter Unverständnis und auch Neid auslöst.

Sanierungsstau: Die Museumsinsel von der Schlossbrücke aus, mit der im Bau befindlichen James Simon-Galerie als neue Eingangshalle nach einem Entwurf von David Chipperfield. Eine Simulation von Toni Yli-Suvato
Sanierungsstau: Die Museumsinsel von der Schlossbrücke aus, mit der im Bau befindlichen James Simon-Galerie als neue Eingangshalle nach einem Entwurf von David Chipperfield. Eine Simulation von Toni Yli-Suvato

© Toni Yli-Suvato/Stiftung Preußischer Kulturbesitz/dpa

Knapp 40 Prozent des Etats der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien von rund 1,3 Milliarden Euro fließen in Einrichtungen und Projekte in der Hauptstadt. Den größten Teil der Bundesförderung erhält die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die mit ihren Museen, Bibliotheken und Archiven zu den bedeutendsten Kulturträgern weltweit gehört – nicht zuletzt mit erheblichen Summen für das Bauprogramm, vor allem um den jahrzehntelangen Sanierungsstau aus DDR-Zeiten aufzuholen. Allein 1,4 Milliarden Euro werden über drei Jahrzehnte in das Unesco-Welterbe Museumsinsel fließen. Und wenn nebenan auf dem Schlossplatz ab 2019 das Humboldt-Forum eröffnet ist, werden wir im Zusammenspiel zwischen Museumsinsel und Humboldt-Forum ein einzigartiges Ensemble für die Kulturen der Welt vorfinden – von der Antike bis zur Neuzeit.

In der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH (KBB) sind gleich mehrere Berliner Kultureinrichtungen zusammengeschlossen, darunter die Berliner Festspiele mit dem Martin-Gropius- Bau, das Haus der Kulturen der Welt und nicht zuletzt die Berlinale. Rund 10 Millionen Euro gehen darüber hinaus jährlich an den Hauptstadtkulturfonds, aus dem Bund und Berlin gemeinsam innovative Projekte mit besonderer Strahlkraft fördern. Die alleinige Verantwortung hat der Bund zuletzt auch für die Akademie der Künste und die Stiftung Deutsche Kinemathek übernommen – in der bis heute leider unerfüllten Erwartung, dass Berlin die frei werdenden Mittel in kulturpolitische Modellprojekte steckt.

Die Neugier auf das Fremde, das Andere, bekommt im Humboldt-Forum einen Ort

Der relativ üppige Anteil Berlins am Bundeskulturetat ist also mitnichten ein Privileg der Berlinerinnen und Berliner. Besser beschreibt man Berlins kulturpolitische Rolle als die eines Katalysators von Meinungsbildungsprozessen im Politischen wie im Ästhetischen. In Berlin müssen sich Land und Bund eben zuerst nach ihrer Verantwortung gegenüber dem ganzen Land, dann Europa und schließlich der Welt fragen. In der Kulturpolitik muss den Ländern klargemacht werden, dass Berlin kein konkurrierendes Bundesland ist, sondern allen dienender Mittelpunkt. Dieser Gestus fehlt den Verantwortlichen hier leider zuweilen. Und Berlin selbst muss den Bund überzeugen, dass er außenpolitisch als Erster von einer Kulturblüte seiner Hauptstadt profitiert.

Ein neues Gesetz über die Rolle der Hauptstadt brauchen wir nicht, wohl aber braucht eine Hauptstadt wie Berlin eine Vision. Im Humboldt-Forum könnte diese Vision Gestalt annehmen. In einer einzigartigen Verbindung werden die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Humboldt-Universität und der Zentral- und Landesbibliothek das Humboldt-Forum in der Mitte der Hauptstadt beherbergen. Hier sollen sich die außereuropäischen Kulturen selbstbewusst präsentieren. Die Neugier auf das Fremde, das Andere soll im stadträumlichen Bezug zu den Zeugnissen unserer europäischen Kunst- und Kulturgeschichte gegenüber der Museumsinsel Gestalt annehmen. Dabei geht es um die Betrachtungen der großen Menschheitsthemen wie die Grenzen des Lebens, wie Gott und die Bedeutung der Religionen, wie Identität und Migration.

Mehr Mut, mehr Ehrgeiz - auch von Seiten der Berliner Landespolitik

Wir alle erleben immer wieder, was es heißt, einer Minderheit anzugehören – ein Schwabe in Prenzlauer Berg oder eine Katholikin in Marzahn. Aber gerade kosmopolitische Städte wie Berlin sind die Zukunft. Vor allem in Museen kann man das sichtbar machen. Hier müssen wir zeigen: Alle Menschen sind gleich, die Unterschiede sind kleiner als die Gemeinsamkeiten. Wir wollen interdisziplinär und auf hohem Niveau mit unseren Weltklasse-Sammlungen über Europa und die Welt diskutieren.

Für Deutschland, für eine der bedeutendsten Kulturnationen der Welt, und für seine Hauptstadt Berlin ist dies die große Zukunftschance. Berlin ist der Sehnsuchtsort, Deutschland ein attraktives Land für die Jugend der Welt – das Humboldt-Forum lädt sie alle ein, dort sprechen wir eine neue, junge Sprache. Die mit dem Humboldt-Forum verbundene Idee ist einzigartig, denn es geht um nichts weniger als um neuartige Kunst- und Kulturerfahrungen, um das Wissen über gleichberechtigte Weltkulturen und um neue Kompetenzen im Weltverständnis.

Berlin könnte, wenn Visionen nicht immer wieder in kleinmütigen Debatten zerrieben würden, noch viel mehr als bisher kulturpolitisches Experimentierfeld sein. Dafür wünsche ich mir mehr Mut und Ehrgeiz, auch aus der Berliner Landespolitik – nicht nur als Kulturstaatsministerin, sondern vor allem als Herzensberlinerin.

In unserer Hauptstadt-Debatte schrieben bisher Rupert Scholz, Peter Raue, Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm, Michael Naumann, George Turner, Edzard Reuter, Ingo Kramer, Joachim Braun und Egon Bahr, Alexander Otto, Adrienne Goehler, Norbert Lammert, Hermann Borghorst. Nachzulesen auf tagesspiegel.de/kultur.

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