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DHM

© David Heerde

20 Jahre DHM: „Man muss jagen, um Jagdglück zu haben“

Geschichte wird gemacht: Das Deutsche Historische Museum in Berlin wird 20 - seine beiden Generaldirektoren erinnern sich.

Morgen feiert das Deutsche Historische Museum (DHM) 20-jähriges Jubiläum, 20 Jahre, die Sie beide miterlebt und geprägt haben.

CHRISTOPH STÖLZL: Jeder hat ein Jahrhundert gestaltet.

HANS OTTOMEYER: Das kann man so sagen.

Wenn Sie einen jungen Menschen, der am 28. 10. 1987 geboren ist, ins DHM führen würden, welches Bild von deutscher Geschichte bekäme er heute dort vermittelt?

OTTOMEYER: Wir richten den Blick nicht ausschließlich auf die nationalen Katastrophen und kulturellen Höhepunkte, sondern beschreiben Deutschland als Teil Europas. Die Hauptbotschaft ist: Unsere Geschichte ist stets auch die Geschichte der anderen.

STÖLZL: Einmal war der Bundesrechnungshof da und fragte triumphierend: Wir finden hier eine Stadtansicht von Paris von 1686. Was soll das? Schon im Konzept von 1987 wurde deutlich, dass die nationale Verengung im 19. Jahrhundert eine Geschichtslüge gewesen ist, der viel längere Teil der deutschen Geschichte eine europäische Familiensaga.

In der Öffentlichkeit wird stattdessen über 30 Jahre deutscher Herbst diskutiert. Wie aktuell will das DHM sein?

OTTOMEYER: Um eine große Ausstellung tagesaktuell zu machen, müsste man wissen, was in drei Jahren gefragt sein wird. Das ist nicht unsere unmittelbare Aufgabe.

STÖLZL: Ein Geschichtsmuseum hat eine andere Funktion als eine Tageszeitung oder das Fernsehen. Natürlich haben wir von Anfang an darüber nachgedacht, wie wir unsere Arbeit mit den Bedürfnissen nach fundierter Erinnerung verbinden, wie wir auf aktuelle Themen reagieren. Die Bismarck-Ausstellung etwa war unsere Antwort auf die Frage der europäischen Einigung. Was gelang damals mit Deutschlands europäischer Rolle, was war grundfalsch?

Aber ist das DHM auch provokant genug, um Diskussionen auszulösen?

OTTOMEYER: „Kunst und Propaganda“ zum Beispiel war eine sehr gewagte Ausstellung, weil sie dem Besucher die Erkenntnis abverlangte, dass der Vergleich von Ländern wie den USA, Italien, Nazideutschland und der Sowjetunion während der Dreißigerjahre nicht automatisch heißt, sie gleichzusetzen, sondern ebenso das Herausarbeiten von Unterschieden einschließt. Das ist fast wider Erwarten gelungen.

STÖLZL: Dem DHM verübelt mancher noch immer seine geglückte Normalisierung zu einem Haus, das eine vernünftige Ausstellungspolitik macht. Freilich war es bizarr, als damals bei der Gründungsfeier 1987 im Reichstagsgebäude Christian Ströbele mit seinem Lachsack kam. An die turbulenten Hearings der Alternativen Liste denke ich ganz gern. So angegriffen zu werden, macht munter. In Wahrheit war das DHM von Anfang an etwas sehr Liberales. Heute passt seine Philosophie gut zur Aussöhnung der wiedervereinten Deutschen mit ihrer Geschichte.

Das glauben wir nicht, mit Blick auf die RAF oder die Ausstellung über den Bildhauer der Nazis, Arno Breker, in Schwerin.

OTTOMEYER: Wir hatten Breker ausführlich in der Ausstellung „Kunst und Propaganda“. Das DHM will keine einfachen Antworten geben, sondern Geschichtsbilder setzen, die sich oft widersprüchlich verhalten zur gängigen Erzählweise, durch eine Erweiterung der Perspektive jedoch Parallelen verdeutlichen. Die Parallele ist nun einmal ein klassisches Untersuchungsinstrument der Geschichtsschreibung, das Gemeinsamkeiten zeigt und sehr scharf die Unterschiede herausarbeitet.

Welche wären das beim geplanten Zentrum gegen Vertreibungen? Wolfgang Thierse hat unlängst vorgeschlagen, es unter dem Dach des DHM zu verwirklichen.

OTTOMEYER: Dazu liegt noch nicht einmal ein Beschluss der Bundesregierung vor. Es bestehen aber Vorüberlegungen.

Als das DHM 1987 auf Anregung von Helmuth Kohl gegründet wurde, befürchteten viele eine nationalistische Wende in der Geschichtspolitik. Was ist von diesem Konflikt geblieben?

STÖLZL: Nichts. Im Herbst 1985 gab es ein erstes Treffen der Sachverständigen bei Kohl. Pfälzer Wein und Gugelhupf. Der Kanzler hat – selbstverständlich – überhaupt keine konzeptionellen Vorgaben gemacht. Aber er freute sich über die Grundidee, deutsche Geschichte als europäische Erzählung darzustellen. Übrigens spielte die Frage nach geeigneten Objekten erstaunlicherweise nur eine Nebenrolle. Meine Überzeugung war: Das Museum steht und fällt mit dem Aufbau einer aussagekräftigen Kollektion historischer Objekte.

Welche Rolle spielte die Übernahme des Museums für Deutsche Geschichte 1990?

OTTOMEYER: 60 Prozent aller Exponate der neuen Dauerausstellung sind Ankäufe, nur 20 Prozent stammen aus der Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte. Unser Vorteil war: Wir konnten immer im Windschatten des Kunstmarktes sammeln. Der Kunstmarkt kümmert sich nicht um historisch aussagekräftige Bilder und materielle Zeugnisse der Geschichte, sondern nur um Künstlernamen. So war es möglich, historische Porträts zu sammeln, Ereignisbilder, Schlachtengemälde, Karikaturen und Propaganda. Wir hatten sicher viel Glück. Aber man muss jagen, um Jagdglück zu haben.

Wo steht das DHM heute?

OTTOMEYER: Wir haben drei große Ausstellungs-Zyklen fortgeführt oder entwickelt. Das ist einmal der Zyklus über Mythen, also die historische Nacherzählung großer Epochen im Vergleich zwischen den europäischen Völkern zu überprüfen. Ein neues Thema ist die Migration in der Geschichte Europas. Und dann die Epochenausstellungen, wo wir versuchen, auf einen Zeitabschnitt zu schauen, in dem ein konstituierendes neues Moment auftritt, von dem sich dann vieles ableiten lässt für die Jahrhunderte danach.

Ein paar hundert Meter vom DHM entfernt gibt es ein sehr erfolgreiches privates DDR-Museum, das ein weniger differenziertes Geschichtsbild vermittelt.

OTTOMEYER: Ich bin da aus Zeitmangel noch nicht drin gewesen. In unserer letzten DDR-Ausstellung ging es um die Diskrepanz zwischen dem Alltag und einem allüberwachenden Staat. Darüber haben sich die Besucher in der Ausstellung aufs Heftigste gestritten. Man gewann den Eindruck, dass es genau so viele verschiedene Sichtweisen wie DDR-Biografien gab.

STÖLZL: Nach 1990 wurde es äußerst positiv aufgenommen, dass wir uns überhaupt – wenn auch kritisch – mit der DDR beschäftigt haben. Das begann mit der Eröffnungsausstellung, Stefan Moses' Projekt „Abschied und Anfang“. Moses ist 1989/90 im Auftrag des DHM durch die DDR gereist und hat die Menschen dort fotografiert. Als das im Herbst 1991 ausgestellt wurde, reagierten die Besucher kontrovers. Die Einen sagten, wir sind doch nicht im Zoo, und die Anderen sagten, endlich kommt einer, der uns ins Gesicht schaut. Wenn man diese Konfrontation des Besuchers mit den Erinnerungszeichen fair organisiert, hat man schon etwas erreicht. Die Leute sollen aufgeregter raus gehen, als sie hereingekommen sind.

Erreichen Sie dieses Erregungspotential auch bei der vor 15 Monaten eröffneten Dauerausstellung zur deutschen Geschichte?

OTTOMEYER: Nein, man könnte das sicher noch weiter pointieren. Das hatten wir auch vor, indem wir 31 Biografien gegen die kollektive Geschichtserzählung setzen wollten. Sie sind dem knappen Etat zum Opfer gefallen. Ich möchte diese Gegenerzählungen unbedingt noch realisieren. Doch die Ausstellung ist ja bereits in sich bipolar aufgebaut. Sie erzählt nicht eine Geschichte, sondern setzt Geschichten gegeneinander: die der Gründerväter gegen die der Industriearbeiter; die der Republikaner gegen die der Monarchisten. Der Besucher muss sich letztlich darauf seinen Reim machen.

Versteht sich das DHM als Identitätsstifter? Vorhin haben Sie ja die Nationalgeschichte für obsolet erklärt…

STÖLZL: Das habe ich nicht. Die Nation hat eine moderne Form, die Bundesrepublik Deutschland ist eine Sprach- und Verfassungsnation. Der gehöre ich an, bin aber auch Europäer nach Geschichte und Kultur. Als Deutscher kann ich auch Lokalpatriot sein, etwa als Bayer. Von all diesen Elementen unserer Identität finde ich Bausteine im DHM. Es ist ein visuell unerhört eindrucksvoller Ort für das Gemeinsame, für den Satz: Wir sind, was wir geworden sind. Um alles zu verstehen, muss man Zeit mitbringen. Am schönsten ist es, wenn man sachkundig geführt wird: Erinnerung als Gespräch. Ein Problem ist natürlich, dass die Kinder des Medienzeitalters erst wieder lernen müssen, auf nicht animierte Objekte zu schauen.

OTTOMEYER: Das tun sie aber. 30 bis 40 Prozent unserer Besucher sind Jugendliche. Die kommen nicht nur, weil es für sie keinen Eintritt kostet. Es gibt ein Bedürfnis, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, gerade bei Neun- bis 13-Jährigen. Die wollen erfahren, was Zeit ist und wie vorherige Generationen gelebt haben. Sie schleppen sogar ihre widerstrebenden Eltern ins Museum. Unser 500 000. Besucher – in der Zwischenzeit sind es fast eine Million – war ein 10-jähriger Junge, der sich seinen dritten Museumsbesuch zum Geburtstag gewünscht hatte. Wir bedienen ganz primäre Erkenntnisinteressen. Das ist das eigentliche Geheimnis dieser Ausstellung. Hier geht es darum, sich auf seine Wahrnehmung einzulassen und sich so seiner selbst zu vergewissern.

Das Gespräch führten Christina Tilmann und Michael Zajonz.

Hans Ottomeyer, geb. 1946, studierte Archäologie, Literatur- und Kunstgeschichte sowie Jura. 1983 wurde er stellvertretender Direktor des Münchner Stadtmuseums, 1995 Direktor des Staatlichen Museums Kassel. Seit 2000 leitet er als Generaldirektor das DHM.

Christoph Stölzl, geb. 1944, hat als Historiker, Politiker und Publizist gearbeitet. Seit 1980 leitete er das Münchner Stadtmuseum. 1987 berief ihn die Bundesregierung zum Gründungsdirektor des DHM (bis 1999). 2000/2001 war er Kultursenator in Berlin. Seit 2006 gehört er zu den Geschäftsführern des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach.

Programm: Morgen feiert das DHM ab 10 Uhr bis Mitternacht, u.a. mit einer Festveranstaltung. Der Eintritt ist frei. Infos: www.dhm.de

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