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Big in Berlin. Der Hamburger Frank Spilker, Jahrgang 1966, ist Gründer, Gitarrist und Sänger des einflussreichen Indie-Trios Die Sterne. Ihr neues Album „Für Anfänger“ ist bei dem bandeigenen Label Materie Records erschienen.

© Kitty Kleist-Heinrich

20 Jahre Die Sterne: Frank Spilker: „Meine Wut war kontraproduktiv“

Seit zwei Jahrzehnten gibt es das Indie-Trio Die Sterne. Im Interview spricht Sänger Frank Spilker über alte Lieder mit neuer Wucht – und seinen ersten Roman.

Herr Spilker, zum Zwanzigjährigen haben Die Sterne fünf alte Lieder neu aufgenommen, dazu zwei Coverversionen. Gehen Ihnen die frischen Ideen aus?

Das ist eher eine Frage des Timings. Aufgenommen haben wir die Stücke nach unserer letzten Tour im Herbst 2010. Wir haben gesagt: Lass uns die jetzt, wo sie gut in der Hand sind, aufnehmen, nächstes Jahr ist Zwanzigjähriges, da können wir sie bestimmt irgendwie verwenden.

Zum Beispiel im Soundtrack von Christian Ulmens Fake-Doku „Jonas“. Aber Sie nehmen schon noch neue Songs auf, oder?

Ja, aber wir wollen, dass unser nächstes Album als Sterne-Album, als Zeitbeitrag gesehen wird. Und nicht unter der Frage: Was wollt ihr uns jetzt über 20 Jahre Sterne sagen? So befreien wir uns ein bisschen von dem Jubiläum.

Die neu aufgenommenen Lieder sind teils 20 Jahre alt, etwa „Fickt das System“ von 1992. Wie haben sich die Stücke verändert?

Das ist jetzt so eine Musiker-Sicht. „Was hat dich bloß so ruiniert“ ist jetzt ein bisschen langsamer, weil wir gemerkt haben: Man muss das nicht schnell spielen, sondern druckvoller. Wir haben uns die Originalaufnahmen nicht noch mal angehört, sondern die Stück einfach so aufgenommen, wie wir sie jetzt live spielen.

„Für Anfänger“ heißt das neue Album. Musik für die Nachgeborenen?

Ein Einstieg in die Geschichte der Sterne. Jemandem, der vielleicht „Life in Quiz“ vom letzten Album toll findet, dann zum Konzert kommt und sich fragt: Was machen die ganzen alten Leute hier, und was spielt die Band da für Kram, das kenne ich alles nicht – so jemandem kann man nicht zumuten, neun Alben nachzukaufen.

Haben Sie bei den Re-Recordings etwas Neues über die alten Songs gelernt?

Ich habe mich erinnert, wann ich die Lieder geschrieben und eingesungen habe. Die persönlichen Geschichten, die im Hintergrund eines Textes stehen, verschwinden, die Worte stehen irgendwann für sich. Und diesen Prozess fühlt man, das ist schon irre. Die Aufregung, die Wut, die ich in den Gesang gelegt habe, ist oft kontraproduktiv gewesen.

Man kann die Wut auch sympathisch finden. 2012 klingen die Stücke flotter, fröhlicher, ein bisschen weniger verzweifelt.
Das ist das Ergebnis davon, dass wir die Lieder auf der Bühne feiern und inszenieren. Und nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger dastehen und sagen: Ihr müsst Folgendes begreifen.

Es ist frappierend, dass alle Lieder auf „Für Anfänger“ von Rückschau, Älterwerden, Durchhalten handeln. „Es gibt nur ein Leben“, singen Sie in dem gleichnamigen Superpunk-Cover, „darum weigere ich mich aufzugeben“.

In dem Satz steckt auch viel Ausweglosigkeit. Es gibt ja eigentlich keine Alternative zum Nicht-Aufgeben. Das ist genau die Art von Blues, die ich höre, um weitermachen zu können.

Wie überlebt man zwei Jahrzehnte, als Musiker, als Band?

Das Wichtigste ist die Frage: Fällt mir noch was ein? Habe ich noch Interesse? Das eindeutigste Zeichen dafür, dass man etwas sagen will, ist immer noch, dass man es tut, obwohl die Umstände widrig sind. Für uns ist Musikmachen kein Geschäft, es ist ein Teil des Lebens. Noch wichtiger als gute neue Songs zu schreiben ist es mir, auf Tour zu gehen, in Verbindung zu bleiben mit den Fans, den Leuten, die immer wiederkommen, mit denen man inzwischen schon befreundet ist.

Aber es wird ja neue Songs geben.

Wenn ich mein Buch abgeschlossen habe, hoffe ich, dass wir in die Proben einsteigen. Ich sammle Textideen, erfahrungsgemäß geht das dann so fix, dass wir im Herbst aufnehmen können. Die Musik entsteht bei uns schnell. Wenn ich zehn Texte habe, im Entwurfsstadium, weiß ich, wir können das Studio buchen.

Wie wird das Album klingen?

Bluesrock finde ich im Moment total stark. Das ist unserem Alter ja angemessen, dass man anfängt zu jammern, das Leben ist so schwer … nein, Scherz. Ich glaube, dass ich meine Band nicht dazu kriege, das wird wohl noch ein Soloalbum.

Erst mal der Roman, der ja im Herbst erscheinen soll.

Arbeitstitel ist „Die Kur“. Der Protagonist könnte auch ich sein. Er hat eine Krise, findet nirgendwo das Heil, nicht im Ausgehen, nicht im Drogennehmen, die Beziehung ist weg. Es geht um eine Art Erwachsenwerden: die Verhältnisse in einem anderen Licht zu sehen.

Ist Musik ein Thema?

Gar nicht. Die Hauptfigur ist Grafiker. Aber das ist ja das gleiche Milieu. Andreas Troppelmann, Tropical Design.

Ha. Alles inspiriert vom Leben des F. S.?

Mein Leben ist das, was ich am besten beobachtet habe. Ich bin auch anfängerscheu, hab mir nicht zugetraut, mir eine Geschichte komplett auszudenken. Im vergangenen Jahr habe ich sehr viel gelernt, wenn ich noch mal anfangen müsste, würde ich es wohl komplett anders machen. Muss ich aber nicht.

Ein Buch, ein Re-Recording-Album, irgendwann eine neue Platte. Eigentlich geht es ja einfach weiter. Wo ist die Zäsur?

Es gibt eine Zäsur, die aber auf der formalen Ebene gar nicht stattfindet. Natürlich schreibe ich weiter, singe weiter und so weiter. Aber für mich ist die Hamburger Schule ganz weit weg. Der Szenezusammenhang ist weg.

„Big in Berlin“ ist ein Abgesang darauf.

Ich empfinde das heute noch viel stärker als damals. Nicht dass ich denke, die sind alle doof. Aber ich arbeite jetzt eigenständiger. Habe andere Ansprechpartner. Das hat auch was mit Lebensphasen zu tun, ich bin Familienvater mit zwei fast erwachsenen Kindern.

Dieser Auflösungsprozess hat doch schon vor Jahren stattgefunden.

Natürlich, man kann das den letzten drei Alben anhören. Aber ich kam durch das Schreiben wieder darauf. Es ist die Hintergrundmelodie der Geschichte.

Wie transformieren Sie Ihre Musiker- in Grafiker-Erfahrungen?

Die Branche ist doch für alle zusammengebrochen: Kreative, Musiker, Grafiker. Die Krise! Leute, die bei Plattenfirmen gearbeitet haben, haben Würstchenbuden aufgemacht. Das ist das Wichtige für Troppelmann: Die Krise bewältigen.

Wie macht er das?

Das bleibt offen. Es gibt keine Lösung, jedenfalls keine wirtschaftliche Lösung. Sondern eine andere Haltung.

Natürlich war die Frage ein Trick, um rauszufinden, wie Sie das so machen.

Bei mir ist jetzt das Buch am Start. Ich bin nicht besonders eitel. Ich muss nicht Platten machen, muss nicht Musik machen. Man muss zusehen, dass man seine Talente nicht brachliegen lässt. Dass man nicht Taxifahrer wird.

Oder Tellerwäscher. Hauptsache, man hat irgendeinen kreativen Kanal?

Man kann es an Sven Regener sehen: Es befruchtet sich gegenseitig. Die Leute, die die Bücher lesen, kaufen vielleicht auch die Platten. Für mich geht es auch um eine Perspektive. Wenn man zehn Jahre lang erlebt hat, dass alles den Bach runtergeht, CD-Verkäufe, Touren, außerdem wird man älter – da ist das wichtig.

Das Gespräch führte Jan Oberländer.

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